Vom Drogenloch zur Boomstadt Wie die EZB die Stadt Frankfurt aufpoliert

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Frankfurt ist bunt, aber nicht frei von Schatten

Klinke schätzt die Stadt für ihre seit der Nachkriegszeit geübte Toleranz, ihre Freiräume und ihre „Überraschungskultur. Jeder kann machen, was er will, wenn er kreativ und ausdauernd ist“, sagt er. Er sitzt auf einer Bank im Park des Skulpturenmuseums „Liebieghaus“, ein Frankfurter Vorzeigeplatz, die frühere Fabrikantenvilla ist nur wenige Meter vom Main entfernt. Vor 30 Jahren beschlossen die Planer, die damals stinkende Dreckbrühe als natürliche Mitte der Stadt zurückzugewinnen. Das hat geklappt, heute ist der Fluss im Sommer Ausflugsziel für Hunderte Ruderer, Spaziergänger und sogar Schwimmer. „Frankfurt ist nicht mehr kalt und schwarz-weiß, sondern bunt und lebendig“, sagt Klinke.

Aber nicht frei von Schatten. Klinke nervt das Gerede über soziales Auseinanderbrechen, die Netzwerke der Stadt seien stark genug, um das zu verhindern. „Was fehlt, ist eine Debatte, eine Vision, bei der sich alle fragen, wie sie die Zukunft mitten in Europa gestalten wollen“, sagt er. Der Erfolg lulle die Verantwortlichen ein, es fehle der folgenreiche Dialog zwischen Unternehmen und Kultur, Engagement beschränke sich auf das ablassartige Sponsoring einer Ausstellung. „Meine Generation tritt wohlversorgt ab“, sagt Klinke. „Die Jüngeren sind oft sehr schnell erfolgreich geworden, mit ihren internationalen Lebensläufen aber lockerer an die Stadt gebunden. Deshalb spüren sie weniger Verantwortung.“

Wo Frankfurt am schönsten ist
Skatepark im OsthafenWenn mir der Kopf am Abend brummt vom Zahlensalat aus Leitzinsen, Deflation und Inflation, dann lasse  ich die Seele gern im neuen Skatepark im Osthafen der Stadt baumeln. Da lässt sich nicht nur gut skaten, sondern nebendran gibt’s auch Schaukeln -  was sehr entspannend ist. Der Blick kann schweifen entweder zum Mainufer oder zum imposanten neuen  EZB-Gebäude – je nach Stimmung.   Angela Hennersdorf, Korrespondentin Politik und Weltwirtschaft Quelle: dpa
Main-CocktailbarUrlaub in der Stadt bietet die Stand-Up-Cocktailbar am Sachsenhäuser Mainufer. Ihre Drinks schlürfen die Gäste auf klappbaren aber gemütlichen Campingstühlen sitzend, mit Blick auf die Skyline. Die Location ist auch einer der romantischsten Plätze, um in Frankfurt den Sonnenuntergang zu beobachten. Der Stand steht in Sachsenhausen in der Nähe der Flösserbrücke. Falls jemand verzweifelt sucht: Die Bar ist mobil, sie wird nur bei gutem, beständigen Wetter aufgebaut. Wer wissen will, ob auf oder zu ist, checkt die Internetseite: www.main-cocktailbar.de. Annina Reimann, Redakteurin Geld und Börse  Quelle: dpa
Café im Liebighaus Wer aus dem hektischen Frankfurter Stadtleben abtauchen möchte, ist im Café des Skulpturenmuseums Liebighaus richtig. Die schlossähnliche Villa liegt am Museumsufer, auf der Sachsenhäuser Seite des Mains. Wer keine Lust auf Kultur hat, geht durch den Museumsgarten in einen kleinen Innenhof und von dort direkt zur Selbstbedienungstheke des Cafés. Es klingt wie Kantine, ist aber viel netter: Hier gibt es feine Salate, Kuchen und kleinere Snacks sowie guten Kaffee und Tee. Bestenfalls findet man im Sommer noch einen freien Tisch zwischen den mit wildem Wein und Efeu  umrankten Museumsmauern, im Winter sitzt man gemütlich unter einer Gewölbedecke an kleinen Bistrotischen. Sonntags gibt es im Museum vormittags manchmal Events speziell für Kinder, Eltern können das Frühstück genießen. Montags ist Ruhetag.  Heike Schwerdtfeger, Redakteurin Geld und Börse Quelle: Café im Liebieghaus
Goethe-UniKlar, hell und offen, umgeben von viel Grün, dahinter der weitläufige Campus der Goethe-Uni. Das macht den ehemaligen IG-Farben-Komplex und das heutige Hochschulgelände zu einer der schönsten Anlagen in Frankfurt. Ein willkommener Kontrapunkt zu den schattigen und lauten Straßenschluchten zwischen den Bankentürmen des Finanzviertels.Mark Fehr, Bankenkorrespondent Quelle: Goethe-Universität
LiLu - Licht- und LuftbadIch bin in Frankfurt geboren. Das ist in dieser Stadt ungewöhnlich. Als Kind war ich im Sommer fast jeden Tag im Licht- und Luftbad. Über den Spielplatz wachte ein älterer Mann, der im Krieg einen Arm verloren hatte. Einmal erzählte der, dass er früher oft durch den Main geschwommen war. Das war damals unvorstellbar. Der Fluss war Ende der 1970er Jahre eine schwarze Schmutzbrühe, in der ab und zu ein toter Fisch vorbeitrieb. Heute ist das „Lilu“ der ideale Ort für entspannte Stunden an einem Sommertag. Es ist lebendig und international, modern und bodenständig, es liegt zentral und doch so abgelegen, dass es sich nicht inszenieren muss. Im ziemlich hellen Wasser schwimmen manchmal sogar Kinder. Den Einarmigen gibt es längst nicht mehr. Ihm hätte es gefallen. Cornelius Welp, Bankenkorrespondent Quelle: dpa/dpaweb
JazzkellerIst es ein Konzerthaus? Eine Jazzbar? Hipster-Location? Der Frankfurter Jazzkeller kann sie alle, ist Institution der gepflegten Musik seit mehr als 50 Jahren. Legenden wie Louis Armstrong und Albert Mangelsdorff haben auf der kleinen Bühne im Gewölbekeller gespielt. Jeden Mittwoch jazzen bei der Jam-Session die Profis von morgen.Maximilian Nowroth, Volontär Quelle: Privat
GrüngürtelEine kurzfristige Stadtflucht in 20 Minuten geht so: City-Getümmel und Shoppinggedrängel beiseiteschieben und dem Grüngürteltier, einem Geschöpf aus Robert Gernhardts Zeichenfeder, folgen. In den 1960er Jahren hat Architekt Till Behrens begonnen, Restgrünflächen des sich ballenden Wirtschaftszentrums Frankfurt zu einem Landschaftsband zu verbinden und seit 1991 haben Stadtplaner schließlich den Ring aus Grünanlagen durchgesetzt, der seither die Stadt frischluftig umarmt – durch Wildwuchs, Wasser und dekoriert mit Komischer Kunst der Neuen Frankfurter Schule. Das Brentanobad im westlichen Gürtel, benannt nach den Frankfurter Romantikern - vor rund 90 Jahren im Zusammenhang mit der Niddaregulierung als Flussschwimmbad errichtet - ist umgeben von einem wildromantischen Park als Liegewiese, während des Sommers mit attraktivem Open-Air-Programm. Trockener ist der Ausflug auf das Gelände des ehemaligen Feldflughafens der US-amerikanischen Streitkräfte im nördlichen Bonames: Zu einer geführten Kräuterwanderung, einem Frühstücksbuffet für sonntägliche Frühaufsteher. (Ab 12 Uhr gibt es nur noch Deftiges). Schauen Sie doch auf der einstigen Landebahn Kindern beim Hinfallen zu oder skaten Sie lieber gleich selbst. Mit etwas Glück schlendern Sie hier an einem der schönsten Flohmärkte Frankfurts vorbei. Falls Sie diese Fülle erdrückt, steigen Sie kurzerhand auf Hans Traxlers „Ich-Denkmal“ der südöstlichen Mainuferanlage – für ein Bild mit Dame, Hund oder durchaus alleine. Verpassen Sie nicht den legendären Pinkelbaum des Frankfurter Karikaturisten F.K.Waechter! Enträtseln Sie, weshalb der Baum zurückpinkelt, wenn man ihm zu nahe kommt. Pinkelpause gibt es hier nur während der Wintermonate.Annemarie Schickert, Redaktionsassistenz   Quelle: Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt, Foto: Karola Neder

Notenbank als Katalysator

Der Bauzaun mit bunten Pinocchios und einem Chor düsterer Affen aus der Sprühdose schirmt das Hochhaus weitläufig ab, Hammerschläge hallen herüber, Männer mit Helmen laufen auf und ab. 185 Meter ragt die Glasfassade aus der Brachlandschaft um die ehemalige Großmarkthalle empor, sie wirkt, als wäre sie direkt aus Stanley Kubricks Filmklassiker „2001“ gelandet. Vier Jahre hat der Bau der neuen Zentrale der Europäischen Zentralbank gedauert, 1,2 Milliarden Euro gekostet, selbst eine neue Brücke über den Main hat die Stadt gebaut. 2300 Menschen sollen hier arbeiten, Ende dieses Jahres ziehen die ersten Mitarbeiter ein. Es ist „Viertel vor Entwicklung“, wie das Plakat am Zaun verkündet.

Entwickeln sollen die Neuankömmlinge das Ostend, das bisherige trübe Industriegrau soll weichen. Viel ist davon noch nicht zu sehen. Die Durchfahrtstraßen säumen ein Matratzenlager, Welt der Farben und Eisen Fischer, zwischen den Wohnhäusern flanieren Männer mit offenen Bierflaschen der Lokalmarken Binding und Henninger. Die Lokale heißen Hesse Wirtschaft und Zur Kutscherklause, Mittagsschnitzel gibt es hier für 6,90 Euro. Einsames Zeichen der neuen Zeit ist das Restaurant Oosten, ein großer Glaskasten direkt am Main, vor dem eine Gruppe jüngerer Anzugträger in der Mittagssonne Salat knabbert. Mehr soll folgen: Gerade hat die Stadt große Pläne durchgewinkt für 650 Wohnungen, Büros, bis zu drei Hotels.

Ausreichend ausgestattet, um für Aufschwung zu sorgen, sind die EZB-Leute. Ein Bankenwächter kassiert zwischen 65.000 und 100.000 Euro im Jahr – deutlich mehr, als nationale Behörden zahlen. Richtig attraktiv machen den Job die Vergünstigungen. Es gibt steuerfreie Zulagen, 325 Euro pro Kind, hauseigene Betreuung für kleinere und Plätze in der internationalen Schule für größere Kinder. Ausländer bekommen 16 Prozent Ortszulage, es gibt Hilfe bei der Suche nach einem Job für den Lebenspartner und nach einer Wohnung und auch noch zwei Monatsgehälter extra – für Möbel. Alle zahlen keine deutsche Einkommensteuer, sondern einen deutlich niedrigeren Satz direkt in den EU-Haushalt.

„Wir haben überall in Europa Werbung für Frankfurts Lebensqualität gemacht“, sagt EZB-Personaler Rennpferdt. Tausende Neuankömmlinge machen nun den Realitäts-Check, unbelastet von alten Klischees.

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