Eigentlich ist es kein Wunder, dass der Konflikt in der Ukraine täglich weiter eskaliert. Europa mäandert durch die schwerste politische Krise seit dem Mauerfall. Aber statt über deren Lösung zu sinnieren, überschlagen sich vermeintlich Sachverständige hüben wie drüben in ihrem Drängen nach Radikallösungen, Provokationen und Polarisierungen.
Die Russen betreiben Kriegspropaganda und radikalisieren die Menschen in der Ostukraine, die ukrainische Regierung hofiert den CIA-Chef statt mit den Menschen in der Ostukraine zu kommunizieren. Nein, es will in beiden Ländern niemand den Krieg. Aber beide Regierungen eskalieren die Lage immer weiter.
Europas Diplomaten geben in dieser Lage keine gute Figur ab. Ihr Genfer Abkommen haben Russland und die Ukraine von Anfang an ignoriert: Die Vereinbarungen sind butterweich formuliert, auf die Nichteinhaltung folgen keine Strafen, ein Fahrplan zur Deeskalation wurde nicht beschlossen.
Noch immer sind im Osten des Landes wie auch in Kiew Gebäude besetzt, die Geiselnahme der OSZE-Militärbeobachter vom Wochenende verleiht der Krise eine neue Schärfe. Am Genfer See ist unter Zutun von US-Außenminister John Kerry und der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton ein typisch europäisches Papier herausgekommen, das der Politik ein wenig Luft zum Hoffen auf eine friedliche Lösung verschafft. Mit dem Scheitern kehren die Europäer wieder zur unsäglichen Sanktionsdebatte zurück.
Sanktionen machen Russland gefährlicher
Heute will Brüssel beschließen, wie die Russen neuerdings bestraft werden können. Es wird auf die Sperrung von Konten russischer Offizieller hinauslaufen, die Ausweitung der Einreiseverbote, nicht aber auf ein Embargo gegen russische Öl- und Gasimporte.
Das würde die europäische Wirtschaft alsbald in die Krise stürzen, denn auf eine Kompensation der russischen Importe ist hierzulande niemand vorbereitet. Für Deutschland sind die russischen Lieferungen die wichtigste Ölquelle, und mehr als ein Drittel des Erdgases kommt aus Russland. Regionen wie das Baltikum oder Südosteuropa hängen gänzlich am Tropf russischer Gasimporte.
Dass Europa diese Abhängigkeit reduzieren will, hilft uns kurzfristig nicht weiter – und schadet Russland allenfalls langfristig. Sollte es zu harten Sanktionen kommen, könnte Putin die Anlagevermögen ausländischer Investoren konfiszieren.
Mal abgesehen davon, dass selbst harte Sanktionen im Moment nicht wirken, da sie uns in Europa kurzfristig mehr schaden als Russland: Schon die Debatte um Sanktionen richtet mächtig Schaden an, denn sie gibt Wasser auf die Mühlen der Demagogen in Russland.
Die verbreiten medial sehr erfolgreich das Bild des von Amerika dominierten Westens, der mit seinen Sanktionen alle Andersdenkenden auf seine Linie zwingen will. Die EU-Spitzen spielen hierbei zuverlässig die Rolle des Oberlehrers, der den bösen Russen mal auf die Finger haut. Mit handfesten politischen Zielen, die den eigenen Interessen folgt, ist das nicht verknüpft.
Das hat üble Folgen für das Ost-West-Verhältnis. Es gehört zur Strategie der Polit-Technologen im Kreml, einen Keil zwischen den Westen mit seinen markwirtschaftlich-demokratischen Ideen und seinen eigentlich europäisch orientierten Landsleuten zu treiben, die noch vor zwei Jahren zu Tausenden gegen Wahlfälschungen auf die Straße gegangen waren. Sanktionen würden Europa einen Bärendienst erweisen, indem sie den russischen Bären immer weiter von uns entfernen – bis er gar nicht mehr kontrollierbar ist. Das nennt sich irgendwann kalter Krieg, aber nur im besten Falle.
Postmoderne gegen 19. Jahrhundert
Statt zu polarisieren und die Russen zum Feind zu stilisieren, sollte die Politik jetzt erst recht an einer diplomatischen Lösung der Krise arbeiten. Anders als in Europa, wo man erst langsam die Grenzen der postmodernen Friede-Freude-Eierkuchen-Politik erkennt, spielt Putin auf der Klaviatur der geostrategischen Machtpolitik des 19. Jahrhunderts. Man kann sich darüber echauffieren, aber diese Politik hat den Vorteil, klar Interessen-geleitet zu sein. Russlands Interessen muss man kennen und mit den eigenen Interessen austarieren – in einem Kompromiss, dessen Einhaltung man mit einer Drohkulisse in Gestalt von Sanktionen absichert.