Freytags-Frage

Was kommt auf den neuen Bundespräsidenten zu?

Aller Voraussicht nach wird Frank-Walter Steinmeier am Sonntag zum neuen Bundespräsidenten gewählt. Er sollte die Bewahrung einer demokratischen Debattenkultur zu seinem Anliegen machen.

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Frank-Walter Steinmeier. Quelle: dpa

Am Sonntag, den 12. Februar, wählt die Bundesversammlung einen neuen Bundespräsidenten. Die Amtszeit des jetzigen Bundespräsidenten Joachim Gauck endet am 18. März, weil Herr Gauck nicht erneut antritt. Danach beginnt eine neue Ära. Unter den vier männlichen Kandidaten gibt es einen klaren Favoriten, den ehemaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

Unabhängig vom Ausgang der Wahl wird der neue Bundespräsident sein Amt in schwierigen Zeiten antreten. Demokratie und Marktwirtschaft sind unter Druck geraten und werden von allen Seiten unter Beschuss genommen. Die Ursachen dafür sind vielfältig und haben mit einer gewissen Politik- und Elitenverdrossenheit in einigen Teilen der Bevölkerung der westlichen Welt zu tun. Es sind aber keineswegs nur die Verlierer des Strukturwandels, die sich in rechtsextremen Parteien oder Bewegungen organisieren oder sich von ihnen besser vertreten sehen als von den etablierten Parteien. Auch die wohlhabende Mittelschicht wendet sich zum Teil ab und reagiert voller Aggressionen, bisweilen sogar Hass. Dies ist nicht ein allein deutsches Problem, anderswo ist es offenbar noch stärker ausgeprägt.

Das Aggressionspotential in der öffentlichen Auseinandersetzung ist dabei insgesamt gestiegen. Es sind eben nicht nur die PEGIDA oder Vertreter der Alternative für Deutschland (AfD), die gegen Andersdenkende, anders Aussehende oder anders Gläubige polemisieren oder gar diese attackieren. Auch Auffassungsunterschiede in der Umwelt- Sozial-, Energie- oder Handelspolitik werden aggressiv ausgetragen; die handelspolitische Debatte oder der Streit um Wohnungspolitik in Berlin sind Beispiele; selbst das Verhalten der sog. Traditionsvereine in der Fußballbundesliga (z.B. der börsennotierten Borussia aus Dortmund) den Leipziger Neulingen gegenüber kann derart interpretiert werden.

Die Wahrheit bzw. die empirische Evidenz spielt dabei zumeist eine nachgeordnete Rolle. Vielfach haben die Initiatoren von Kampagnen kein Problem damit zuzugeben, dass die Wahrheit ihnen nicht besonders wichtig ist, wenn es um Mobilisierung der Massen geht. Horrorszenarien heraufzubeschwören fällt den Gegnern handelspolitischer Vorschläge ebenso leicht wie denjenigen, die gegen Flüchtlinge wettern.

Es ist wie gesagt sehr schwierig zu verstehen, welche Ursachen diesem Verfall der Streitkultur zugrundeliegen. Denn es kann keinen Zweifel geben, dass man zu den oben genannten Themen der Migrationspolitik, Sozial- und Umweltpolitik sowie der Wirtschaftspolitik sehr unterschiedliche Auffassungen haben kann; oftmals Interessensgegensätze, gelegentlich ideologisch begründet. Diese Auffassungen sollten mit Verve vertreten werden, die Diskussion muss entsprechend leidenschaftlich sein. Allerdings ist es unzivilisiert und vor-aufklärerisch, die Diskussion hasserfüllt zu führen, andere Haltungen nicht zuzulassen oder deren Vertreter zu bedrohen.

Genau an dieser Stelle kann der neue Bundespräsident wirken. Als unparteiischer Vertreter aller Deutschen hat er die Chance und die Pflicht, auf den Werten demokratischen Zusammenlebens zu bestehen bzw. für sie zu werben. Je mehr Zustimmung der neue Bundespräsident am Sonntag für sich verbuchen kann, desto leichter wird ihm dies wahrscheinlich fallen.

Die deutschen Bundespräsidenten
Joachim Gauck (seit 2012)Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck wurde am 18. März 2012 mit einer überwältigenden Mehrheit von 80 Prozent zum Bundespräsidenten gewählt. Er übernahm das Amt von seinem Vorgänger Christian Wulff, der nach nur 20 Monaten im Amt zurücktrat. Gauck, Jahrgang 1940, gehört keiner Partei an. Der Theologe und frühere Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde gilt als integer und redlich. Er ist der erste Ostdeutsche, der das höchste Staatsamt der Bundesrepublik bekleidet. Als wichtigste Aufgabe seiner Amtszeit verkündete Gauck in seiner Rede nach der Wahl, Regierung und Bevölkerung wieder näher zueinander bringen zu wollen. Im Februar 2017 wird er im Amt abgelöst. Quelle: dpa
Christian Wulff Quelle: dapd
Host Köhler Quelle: dpa
Johannes Rau Quelle: AP
Roman Herzog Quelle: AP
Richard von Weizsäcker Quelle: BPA
Karls Carstens Quelle: BPA

Dabei geht es nicht darum, für bestimmte Politiken oder Parteien zu werben. Das sollte er eher unterlassen; es ist nicht seine Aufgabe. Natürlich kann er in bestimmte Richtungen denken und Anregungen geben. Aber er sollte unparteiisch und unvoreingenommen sein, wenn es um einzelne Menschen oder Gruppen geht. Vielmehr geht es darum, die Debatten zu versachlichen und diejenigen anzusprechen, die sich von der Demokratie und "dem System" abgewendet haben. Somit stellen sich
zwei getrennte Aufgaben.

Erstens bedeutet Versachlichung, dass der Bundespräsident bei intensiv geführten Debatten gelegentlich eingreift und die Sprache kommentiert. Die oft gehörte Phrase "TTIP tötet" ist schwachsinnig und schürt Ängste. Hier um eine gepflegte Argumentation zu bitten und - wenn es um Außenhandel geht - zum Beispiel zu einem runden Tisch von Globalisierungsbefürwortern und -gegnern einzuladen, wäre eine solche Aufgabe. Wenn sich solche Ermahnungen an alle Diskutanten und nicht nur an bestimmte Gruppen richten, kann der Bundespräsident glaubwürdig sein und moderierend wirken.

Zweitens sollte der deutsche Bundespräsident den Dialog suchen, auch und gerade mit denjenigen, die am lautesten pöbeln. Das heißt nicht unbedingt, dass sich der Bundespräsident mit Herrn Höcke zum Kaffee treffen sollte; für den sind klare Worte angebracht. Aber dessen Zuhörer sollte er stellen und mit ihnen sprechen. Sie sollten in ihren Ängsten ernst genommen werden und trotzdem nicht mit Samthandschuhen angefasst werden. Sie sollten vom Bundespräsidenten auf jeden Fall als Gruppe ernst genommen werden. Nur so können sie zurück ins Boot der Demokratie geholt werden.

Dies geht nicht ohne Unterstützung derjenigen, die so lauthals kritisiert werden. Es ist unredlich, AfD-Wähler zu beschimpfen und Kritiker der gegenwärtigen Europapolitik als tumbe Nationalisten zu verunglimpfen; jedes Argument muss ernst genommen werden. Nur dann kann man verlangen, dass andere sich ebenfalls den Argumenten und Fakten stellen.

Der Favorit Herr Steinmeier ist von außen betrachtet der ideale Kandidat für diese Herkulesaufgabe. Er ist ein bekennender Familienmensch, bodenständig und absolut integer. Er hat sich vielen Herausforderungen gestellt, dabei ohne Gejohle gewonnen bzw. mit Würde verloren, und er ist erfahren. Sollte er am Sonntag gewinnen, kann man ihm nur viel Erfolg wünschen!

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