Ökonom Straubhaar "In Deutschland werden Chancen immer noch vererbt"

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"Wir müssen über das bedingungslose Grundeinkommen diskutieren"

Kaufkraft heißt: ein Grundeinkommen?
Genau. Man muss die Menschen, die wollen und können, ermächtigen, sich weiterzubilden und aus diesen – in vielen Fällen ungewollten – Lebenslagen zu befreien. Da hat das Trickle-Down-Paradigma meines Erachtens komplett versagt. Denn gerade in Deutschland werden Lebenschancen immer noch vererbt. Mein Vorschlag ist, radikal umzudenken. Ich verstehe, dass damit nicht alle Probleme gelöst werden können, es werden auch viele andere und heute noch völlig unbekannte Herausforderungen auf uns warten. Aber an diesem Modell müsste man jeden alternativen Reformvorschlag messen.

Sprechen wir konkret über Zahlen. In Finnland läuft gerade ein Grundeinkommensversuch mit 560 Euro pro Monat.
Viel zu wenig!

Laut Umfragen sind zwei Drittel der Befragten für das Experiment mit dem Grundeinkommen. Welchen Betrag schlagen Sie denn vor?
Für Deutschland sind 560 Euro für ein Grundeinkommen gar keine Diskussionsgrundlage. Hartz-IV-Empfänger erhalten bereits 409 Euro. Mit Wohn- und Heizgeld sind sie bei weit über 600 Euro, ohne erwerbstätig zu sein. Ich habe es mir ganz einfach gemacht: Ich habe die heutigen Gesamtausgaben des Sozialstaat genommen, das sind rund 900 Milliarden Euro pro Jahr, und sie durch 80 Millionen geteilt. Dann kommen sie auf Größenordnungen von rund 1000 Euro pro Person pro Monat.

Wie ließe sich das finanzieren?
Die Nettowertschöpfung in Deutschland beträgt etwa zweieinhalb Billionen Euro. Wenn ein 50-prozentiger Steuersatz auf alle Wertschöpfung erhoben wird, kann man den Sozialstaat gerade so finanzieren. Dann bleibt noch genügend Geld übrig für alle anderen öffentlichen Güter, wenn die Mehrwertsteuer bei 19 Prozent bliebe.

Halten Sie dieses Modell für durchsetzbar?
Um das Grundeinkommen politisch durchzusetzen, gilt es, viele Gegner zu überwinden, das ist wahr. Aber wir müssen darüber diskutieren! Unser heutiges Steuer- und Abgabensystem ist leistungsfeindlich und hat keine nachhaltig tragfähigen Antworten auf die Fragen der Zukunft.

Kommen wir noch einmal zur Gegenwart zurück. US-Präsident Donald Trump will die Unternehmenssteuer von 35 auf 15 Prozent und den Spitzensteuersatz von 40 auf 33 Prozent senken. Was würde es bedeuten, wenn er damit erfolgreich ist?
Unter Ronald Reagan war die Lage ganz anders: Da lagen die Spitzensteuersätze bei heute unvorstellbaren 70 Prozent und mehr. Da würde ich schon sagen, dass die Reaganomics mittel- und längerfristig zielführend und richtig war. Heute sprechen wir in den USA von einer vergleichsweise geringeren Steuerlast, die noch etwas gedämpft werden soll. Wenn daraus folgt, dass das Unternehmensklima verbessert werden könnte und mehr Arbeitsplätze geschaffen würden, wäre das ein Schritt in die richtige Richtung.

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