Die Bundesregierung hat ihre quälende Debatte um das Für und Wider schwerer Waffenlieferungen beendet. Was vor einigen Wochen noch undenkbar schien, geht jetzt im Eiltempo. Abgesehen von ohnehin bereits gelieferten Waffen im Wert von rund 192 Millionen Euro in den ersten zwei Kriegsmonaten sagte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) der Ukraine erst die Lieferung des Flugabwehrpanzers Gepard zu. Jetzt hat sie in der Slowakei auch die Ausfuhr von sieben Panzerhaubitzen 2000 bestätigt – samt 40-tägiger Ausbildung ukrainischer Soldaten am Gerät.
Der heutige Freitag markiert die endgültige Ankunft der Ampelkoalition in der Zeitenwende. Die Bundesrepublik liefert der Ukraine schwere Waffen. Nicht nur zur Verteidigung. Sondern auch für den (Gegen-)Angriff.
Und ganz gleich, ob diese Entscheidung aus später Überzeugung oder unter dem Druck öffentlicher Kritik getroffen wurde: Dass es sich hier um eine fundamentale Weichenstellung handelt, hatte jüngst bereits der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags festgestellt. Die Ausbildung ukrainischer Soldaten könne völkerrechtlich als Kriegseintritt gewertet werden, heißt es in dessen Gutachten.
Machen wir uns endlich ehrlich: Die Frage, ob Deutschland sich im Krieg befindet oder nicht, ist faktisch längst beantwortet. Mit der Lieferung von Munition, Panzerfäusten und jetzt eben auch Panzern und schweren Geschützen samt Ausbildung ist die Bundesrepublik längst mitten drin, egal ob das „K-Wort“ fällt oder nicht. Von Anfang an hätte die Bundesregierung (und allen voran Olaf Scholz) die Bürgerinnen und Bürger darauf vorbereiten müssen, dass Zeitenwende eben mehr bedeutet als nur die eigene Truppe mit 100 Milliarden Euro auf den Stand der militärischen Gegenwart zu katapultieren.
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Vielleicht wird Scholz dies am Sonntag in der offenbar geplanten Fernsehansprache nachholen. Höchste Zeit wäre es.
Denn schon einen Tag später wird Wladimir Putin seine Rede zum 9. Mai halten, dem russischen Tag des Sieges über den Faschismus. Geheimdienstler der Ukraine warnen bereits vor der „Generalmobilmachung“, also vor einer offiziellen Kriegserklärung. Was ist, wenn Putin diese nicht nur für die Ukraine ausspricht? Und selbst wenn er sich zurückhält, vielleicht spricht er dann in einigen Wochen oder sogar Monaten vom offenen Konflikt mit der Nato. Putins „Krieg“ wird leider nicht schnell vorüberziehen, so viel sollte mittlerweile allen klar sein.
Mit ihren Waffenlieferungen hat die Bundesregierung einen Automatismus in Gang gesetzt, der sich jetzt kaum noch stoppen lässt. Sie wird von nun an immer weiter liefern müssen. Die durchaus gute Idee eines Ringtauschs etwa wird irgendwann an ihr Ende kommen, wenn das sowjetische Material der osteuropäischen Nato-Partner sprichwörtlich verschossen ist. Dann wird die Ukraine aus nachvollziehbaren Gründen neues Material, Gerät und Ausbildung direkt aus Deutschland und anderen Nato-Partnerländern verlangen. „Ihr habt angefangen, ihr könnt jetzt nicht aufhören“, wird Wolodymyr Selenskyj zu Recht rufen.
Politischer Wille und Entschlossenheit sind mittlerweile offenbar vorhanden. Aber auch die Fähigkeit? „Wenn Deutschland in einigen Wochen am Ende der Kapazitäten des Ringtauschs steht, müssen wir allerdings schnell mehr tun“, sagt ein Insider der Rüstungsindustrie. Die dazu notwendigen Entscheidungen und Vorbereitungen müssten jetzt sofort fallen. Denn es stimmt ja: Neues Material braucht Zeit, sogar die Instandsetzung von ausgemustertem Gerät dauert zum Teil Monate. Dazu kommt die Planung der Logistik und Ausbildung.
Bisher passiert das alles offenbar nach dem alten Corona-Prinzip „Auf Sicht fahren“ – und das wird nicht reichen.
Olaf Scholz hält sich für den besten Planer der deutschen Politik. Es wäre gut zu wissen, wie dieser Plan aussieht.
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