Sahra Wagenknecht „Hilfsgelder für die Ukraine stoppen“

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Finanzmärkte als Feind?

 

Was wäre Ihre Lösung?

Ich wünsche mir eine Zentralbank, die die Kreditvergabe an Banken konditioniert nach dem Motto: Ihr bekommt günstiges Geld, aber nur, wenn ihr das Geld über Kredite an Unternehmen weitergebt und damit nicht an den Finanzmärkten spekuliert. So eine Kreditsteuerung ist nichts Ungewöhnliches. Das hat etwa die japanische Zentralbank lange gemacht. Als sie Ende der Achtziger damit aufhörte, folgte eine gigantische Immobilienblase, die anschließend platzte.

 

Die Finanzmärkte sind bekanntermaßen Ihr erklärter Feind. Hat die Börse in Ihrer Welt überhaupt eine Funktion?

Die Börse hat die klassische Funktion, Unternehmen Eigenkapital zu verschaffen. Aber das ist weitgehend Vergangenheit. Inzwischen kaufen die Unternehmen per Saldo mehr Aktien zurück als sie emittieren. Die Börsen sind heute ein riesiges Casino, viele Geschäfte haben überhaupt keinen realwirtschaftlichen Hintergrund. Warren Buffet hat Derivate mal als finanzielle Massenvernichtungswaffen bezeichnet, und ich denke, er hat recht. 99 Prozent dieser Konstrukte liegt kein reales Geschäft zugrunde, sie dienen stattdessen dazu, Regeln zu umgehen, Steuern zu sparen oder einfach nur zu zocken. Da sollte vieles wegreguliert werden.

 

Und wie?

Wir fordern einen Finanz-TÜV auf europäischer Ebene. Die Emittenten von Kapitalmarktprodukten sollten nachweisen, dass ihr Derivat eine sinnvolle Funktion hat, bevor sie es auf den Markt bringen dürfen. Bei Medikamenten finden wir es doch auch selbstverständlich, dass nicht jedes Unternehmen ohne Kontrolle irgendwelche Pillen verkaufen darf. Ein Finanz-TÜV könnte so aufgebaut sein wie die Stiftung Warentest. Es sollte ein Institut sein, das nicht profitorientiert arbeitet.

 

Deutschland steht auf dem Höhepunkt wirtschaftlicher Stärke. Warum erkennen Sie die Erfolge nicht an?

Höhepunkt? Die Investitionen waren noch nie so niedrig wie heute, entsprechend steigt die Produktivität kaum noch. Die Beschäftigtenzahl ist zwar deutlich höher als vor 15 Jahren, aber doch nur, weil es sehr viel prekäre Arbeit gibt. Wenn ich einen Vollzeitjob in drei Mini-Jobs umwandele, habe ich zwei zusätzliche Jobs geschaffen. Aber es gibt jetzt drei Beschäftigte, die von ihrer Arbeit nicht mehr leben können. Wir haben in Deutschland seit der Jahrtausendwende die schlechteste Lohnentwicklung in Europa. Wir haben eine extrem ungleiche Vermögensverteilung. Die mittleren Vermögen sind niedriger als in den meisten westeuropäischen Staaten. Und das soll eine Erfolgsbilanz sein?

 

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