Streit in der Union Warum die CDU Seehofer dankbar sein sollte

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Warum der Putsch gegen Merkel ausblieb

Hatten einige verzweifelte CDU-Querdenker und Journalisten im Flüchtlingskrisen-Herbst des vergangenen Jahres noch einen Putsch erwartet und Wolfgang Schäuble als den Kanzlererben herbeifantasiert, ist davon schon seit vielen Monaten nicht einmal mehr ansatzweise die Rede. Von einzelnen, wie dem Euro-Rebellen Klaus-Peter Willsch oder den zaghaften Mitgliedern des konservativen „Berliner Kreises“ abgesehen, erstickte die Partei-Elite der Funktionäre und Mandatsträger jeden Gedanken an Widerspruch gegen die Linie der Kanzlerin im Rausch einer 9-minütigen Klatschorgie auf dem Parteitag von Karlsruhe.  Ein Aufruf des „Berliner Kreises“ vom Mai, der mehr Konservatives und Wirtschaftsliberales einforderte, war kraftlos. Denn die Machtfrage wurde nicht gestellt. Merkel konnte die 15 konservativen Abgeordneten um Wolfgang Bosbach ignorieren. Dem parteiinternen Aufstand fehlte jede Basis, da von den alten Flügeln in der Partei, die ihn hätten organisieren können, nur noch Trümmer übrig sind.

Autosuggestion statt Aufstand

Das Gros der Mandats- und Funktionsträger in der CDU, Wolfgang Schäuble eingeschlossen, fand eine andere, bequemere Lösung, mit der Verunsicherung und den Sorgen angesichts der Wahl- und Umfrageverluste fertig zu werden. Statt des riskanten Aufstands vollbrachte man ein Kunststück der Autosuggestion: Der Zorn wurde umgeleitet. Von der eigenen Parteispitze weg, gegen die Schwesterpartei CSU.

Denn nörgelt die nicht, angeführt von Horst Seehofer, seit Monaten despektierlich an der Kanzlerin und deren Kurs herum? Zerstören Seehofer und seine aufmüpfigen Bayern damit nicht die Geschlossenheit? Und ist die nicht das wichtigste Gut der Union? Es gebe keinen „Streit zwischen Seehofer und Merkel“, sondern „Attacken“ gegen die Kanzlerin, sagte Schäuble. Die CSU ist also der Abtrünnige und Aggressor. Und dies, so die im Konrad-Adenauer-Haus dominante Deutung, vergraule die Wähler der CDU.

Doch stimmt das? Unwahrscheinlich. Im Gegenteil: Man mag sich kaum ausdenken, was es für die politische Stimmung im Lande und die Wahlergebnisse bedeutete, wenn es keine CSU gäbe oder wenn sie so handzahm wäre, wie man sie sich in Merkels Umfeld wünscht. Merkel muss Seehofer und der CSU sogar dankbar sein.

Eine weniger querschießende, Merkel-freundlichere CSU hätte die Wiederbelebung der zuvor bereits fast erledigten AfD durch die „Torheit der Regierenden“ (Barbara Tuchmann) in der zweiten Jahreshälfte 2015 vermutlich noch deutlich verschärft. Ohne die CSU bleibt der großen Zahl der Bürger, die Merkels Linie ablehnen, nur die politische Verzweiflung – oder die AfD. Denn die CSU ist die einzige nicht unter moralischem Bann stehende Option des konservativ motivierten Widerspruchs gegen Merkels de facto Allparteienkoalition. Zumindest auf dem derzeit dominanten Feld der Einwanderungspolitik.  

Vermutlich verhält es sich genau umgekehrt, wie die Geschlossenheitsfetischisten der CDU predigen: Der Widerspruch der CSU begrenzt die Verluste der Union in der Wählergunst. Denn auch nichtbayrische Gegner Merkels können sich überwinden, weiterhin CDU zu wählen, da deren Sieg immerhin auch eine Regierungsbeteiligung der CSU bedeutet. Ohne Seehofers unionsinterne Opposition wäre vermutlich die Frustration der von der Merkel-CDU Verprellten noch größer – und der durch Alternativlosigkeit des etablierten Spektrums genährte Furor triebe sie in noch größerer Zahl zur AfD.  

Merkel und ihre Bannerträger in Berlin sollten Seehofer nicht gram sein. Die Kritik aus Bayern ist schließlich für die intellektuell völlig vertrocknete, nur noch von Merkels Macht getragene CDU immerhin ein Ersatz für den in vitalen Parteien notwendigen innerparteilichen Kampf der Überzeugungen und Interessen.

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