Tarifkonflikte Wie Dauer-Streiks entschärft werden könnten

Mitglieder der Lokführergewerkschaft GDL streiken Quelle: dpa

90.000 Reisende müssen wegen neuer Streiks an Flughäfen umplanen, die Lokführer drohen mit Wellenstreiks. Sollte das Streikrecht eingeschränkt werden? Die FDP wäre dafür offen, muss aber den Bundeskanzler überzeugen.

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Kaum hat die Lokführergewerkschaft GDL ihren Streik  –  den mittlerweile sechsten in diesem Tarifkonflikt – beendet, bringen Warnstreiks des Luftsicherheitspersonals an vielen Flughäfen den Verkehr zum Erliegen. Nach Schätzungen des Flughafenverbandes ADV dürften deshalb mehr als 580 Flugverbindungen abgesagt werden, 90.000 Reisende müssen umplanen. Dabei haben auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und private Sicherheitsdienstleister bereits fünf Mal verhandelt, bislang jedoch ohne Ergebnis.

Und nicht nur auf der Schiene und an den Flughäfen wird Deutschland ausgebremst. Verdi ruft nahezu täglich Mitglieder auf, ihre Forderungen mit Streiks durchzusetzen. Seit bald einem Jahr streiken auch Verdi-Mitglieder im Handel, zudem kommt es im Nahverkehr und bei der Lufthansa immer wieder zu Streiks. Kann das so weitergehen?

„Das Streikrecht muss gesetzlich geregelt werden“

„Wir benötigen ein Arbeitskampfrecht“, fordert Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands. „Das Streikrecht muss gesetzlich geregelt werden“, sagt die Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, Gitta Connemann. „Neue Regeln“ wünscht sich der Ehrenvorsitzende des Fahrgastverbands Pro Bahn, Karl-Peter Naumann.

Wirtschaft, Opposition und Fahrgastverbände sind sich also einig: Dass es in Deutschland kein Gesetz gibt, das Streiks regelt und in den vergangenen Jahren deshalb vor allem Arbeitsgerichte das Recht setzten, soll sich ändern.

Nun erreicht die Diskussion die Bundesregierung. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gehen die zuletzt immer häufigeren Streiks inzwischen zu weit. „Das können wir uns in der Tat im Moment nicht leisten“, ärgerte er sich.

Wenn der Tarifkonflikt zwischen Deutscher Bahn und GDL beigelegt sei, „muss geprüft werden, ob wir eine Änderung brauchen oder nicht“, sagte Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) in der ARD. Sein Parteikollege Reinhard Houben wird konkreter: „Wir sollten eine gesetzliche Regelung für Streiks finden, die die kritische Infrastruktur und die Grundversorgung betreffen“, fordert der wirtschaftspolitische Sprecher der Liberalen.

Denn wo Streikende wüssten, dass für ihr Unternehmen eine Bestandsgarantie gelte wie bei der Deutschen Bahn, sei kein Tarifkonflikt auf Augenhöhe möglich – es komme zu unverhältnismäßigen Streiks, die Bürgern und Bürgerinnen sowie der Wirtschaft schadeten. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) geht davon aus, dass ein eintägiger bundesweiter Bahnstreik bis zu 100 Millionen Euro an Wirtschaftsleistung kostet.

Was Houben meint: Streiken Beschäftigte in der Automobilindustrie, wissen sie, dass ihr Unternehmen weniger produzieren, verkaufen und einnehmen kann. Am Ende träfe es sie selbst. Deutsche Bahn und Nahverkehr bezahlen aber Bund, Länder und Kommunen – oder finanzieren sie umfangreich mit. Das Angebot wird nicht verschwinden, die Arbeitsplätze sind quasi sicher.

Houben hält es daher für notwendig, die Debatte über Regelungen für Streiks in diesen Branchen zu führen. Er kann sich ein Streikschlichtungsgesetz vorstellen – inklusive Pflicht, erst einmal an einem Schlichtungsverfahren teilnehmen zu müssen, bevor gestreikt werden darf. Auch sei eine verpflichtende Vorwarnzeit gegenüber der gegnerischen Partei nötig, zum Beispiel 60 Stunden. Kurzfristige Wellenstreiks wie die der GDL wären dann nicht mehr möglich.

Versorgung in Krankenhäusern nicht geregelt

„Wenn es um kritische Infrastruktur geht, sollte nur ein Teil der Gewerkschaftsmitglieder gleichzeitig streiken dürfen“, ergänzt Houben. Beispielsweise sei die gängige Praxis, dass in Krankenhäusern an Streiktagen geplante Operationen verschoben, Notfälle aber behandelt würden, gesetzlich nicht geregelt. „Ein Mindestmaß an Sicherheit sollte man doch für alle Seiten gesetzlich klarstellen.“

Dabei geht es Houben explizit nicht um den klassischen Streik in der Industrie: Beschäftigte fordern ihren Anteil an der erfolgreichen Entwicklung beispielsweise eines Autokonzerns ein, sind unzufrieden mit dem, was ihren Vertretern angeboten wird, und legen die Arbeit nieder. „Das ist soziale Marktwirtschaft, gut eingeübt und völlig korrekt.“

Auch das Tarifeinheitsgesetz (TEG) spielt für Houben eine untergeordnete Rolle. Es sollte Betrieben mit mehreren Gewerkschaften eigentlich das Leben erleichtern und die Zersplitterung in Kleingewerkschaften aufhalten. In den allermeisten Unternehmen hat das auch funktioniert.

Bei der Deutschen Bahn hingegen führte es zum Gegenteil: zu einem „Überbietungswettbewerb“ zwischen der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft und der kleineren GDL sowie einer „unerbittlichen Kampfsituation“ zwischen Bahn und Gewerkschaft, sagt Streikexperte Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel. Änderungen am TEG wären für Houben daher vor allem ein Deutsche-Bahn-Gesetz. Er halte aber eine grundsätzliche Regelung für sinnvoll.

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zuletzt mögliche Gesetzesänderungen mit Blick auf Streiks der GDL zurückgewiesen. Deutschland habe „aus guten Gründen ein sehr gutes Verfassungsrecht“. Als Sozialdemokrat dürfte er kaum über Änderungen am Streikrecht reden wollen. In dieser Legislaturperiode und in dieser Regierungskoalition werde es voraussichtlich nicht zu neuen Regelungen kommen, gibt Houben zu. Die Ampel habe Entsprechendes nicht im Koalitionsvertrag verankert: „Aber ich halte es für angebracht, dass wir das Thema jetzt offen diskutieren.“

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