Gerade die aufsteigende Entwicklung der vergangenen drei, vier Monate lässt die Union frohlocken. Noch im Sommer 2012 hatte die CDU unter heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen gelitten. Große Teile der Partei waren gegen den Atomausstieg, waren gegen die Präimplantationsdiagnostik, haderten mit Papst-kritischen Worten, dem Betreuungsgeld, Lohnuntergrenzen oder der Abschaffung der Wehrpflicht. Doch Parteichefin Angela Merkel liess sich nicht beirren und hielt an ihrem Kurs fest. In Sachen Euro hatte die Kanzlerin überdies das Glück, dass sich die Lage in den südlichen Peripherieländern spürbar beruhigt hat.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Michael Grosse-Brömer, verwies auf die 42 Prozent, bei denen die Union bundesweit derzeit stehe. Und der Koalitionspartner FDP solle bis September, wenn im Bund gewählt werde, endlich aus eigener Kraft ein ordentliches Ergebnis erzielen, betonte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt am gestrigen Wahlabend. So viele Leihstimmen wie diesmal in Niedersachsen werde es dann nicht mehr geben, so die Drohung. Auch eine Partei, die das christliche im Namen trägt, kann schließlich nur ein begrenztes Maß an parlamentarischer Nächstenliebe verkraften. Die Wahlparty bei der CDU hatte sich längst aufgelöst, als mit dem amtlichen Endergebnis die beruhigenden Gefühle des frühen Abends zerstoben.
Lag Schwarz-Gelb in den ersten Hochrechnungen noch knapp vorn, so bröckelten die Prozente im Verlauf des Abends zehntelweise ab. Am Ende blieb ein Rückstand auf Rot-Grün von 0,3 Prozentpunkten – und jener eine Sitz im Landtag zu Hannover, der nun über die Regierungsbildung entscheidet.
Die Niederlage von CDU und FDP wird nun zum Menetekel für die Bundestagswahl. Denn nun spricht der erste Anschein dafür, dass es nicht mehr für eine bürgerliche Mehrheit langt, schon gar nicht, wenn – anders als in Niedersachsen mit nur vier Parteien – auf Bundesebene mindestens fünf Gruppierungen im Plenum sitzen (die Linkspartei kommt sicher in den Bundestag, weil dafür neben dem Mindestmaß von fünf Prozent punkten auch drei Direktmandate genügen).
Zwar ist es strittig, ob sich der noch amtierende Ministerpräsident David McAllister „verzockt“ hat. Denn ohne die geduldete Zweitstimmenkampagne zugunsten der FDP hätte die CDU zwar sicher über 40 Prozent der Stimmen eingeheimst, aber im Parlament läge sie als Opposition (dann ohne die FDP) viel deutlicher hinter der rot-grünen Regierung. Anders ausgedrückt: Ohne die Zweitstimmenkampagne der FDP wäre McAllister viel deutlicher abgewählt worden.
Gleichwohl haben CDU und CSU jetzt gelernt, dass es auch mit Stütze für den bevorzugten Partner nicht reichen muss. In der Konstellation der Bundestagswahl mit mehr Konkurrenz heißt das aber, dass die Union nun keine Stimme mehr zu verschenken hat, will sie erreichen, dass nicht ohne oder gegen sie regiert werden kann. „Wir kommen in eine strategisch schwierige Lage“, stöhnt denn auch ein prominenter FDP-Stratege. „Der Lerneffekt bei der CDU ist, dass sich Zweitstimmen für die FDP nicht lohnen.“
Das ist die eigentliche Quintessenz des Wahltages in Niedersachsen: Das schwarz-gelbe Lager, das sich gerade erst richtig formiert hatte – unter Abkehr von den letzten sozialliberalen Anwandlungen in der FDP und unter Verzicht auf schwarz-grüne Träume bei der CDU – dieses schwarz-gelbe Lager droht emotional zu zerbrechen. Das heißt nicht, dass die Koalition in Berlin nun vorzeitig enden würde. Aber der Kitt zwischen den Bürgerlichen bröckelt.