Sieben gegen 744. So könnten die Machtverhältnisse im künftigen Europäischen Parlament aussehen. Glaubt man den Umfragen, kann die euro-kritische Alternative für Deutschland mit sieben, vielleicht acht Sitzen im Straßburger Parlament, das Ende Mai neu gewählt wird, rechnen – von insgesamt 751. Alleine Deutschland darf 96 Parlamentarier entsenden, der Großteil wird aus dem Lager der Sozialisten und Konservativen stammen. Die Deutschen werden sich mit Gleichgesinnten aus den anderen 27 EU-Staaten in Fraktionen zusammenschließen. Nur die Euro-Kritiker wollen unter sich bleiben – und drohen so in der Masse unterzugehen.
Dabei gäbe es genug Interessenten: Die Rechtspopulisten um Geert Wilders (PVV) und Marine Le Pen (Front National) suchen noch dringend einen Partner. Drei, maximal vier weitere Parteien wollen mit dem niederländisch-französischen Duo zusammenarbeiten. Für eine Fraktion aber braucht es mindestens 25 Mitglieder aus einem Viertel der Mitgliedsstaaten – also aus mindestens sieben Ländern. Im Gespräch mit WirtschaftsWoche Online lehnte Bernd Lucke, AfD-Bundessprecher und Spitzenkandidat für die Europawahl, eine Zusammenarbeit bereits ab. „Der Front National will unter anderem aus der NATO austreten und wieder Zollschranken in der EU einrichten. Beides ist mit uns nicht zu machen“, so Lucke. Zudem seien Le Pen und Wilders „teils latent, teils offen islamfeindlich“. „Auch damit kommen sie als Partner nicht in Frage.“
Die wichtigsten Köpfe in der AfD
Professor, Gründer des Plenums der Ökonomen
Der 51-Jährige wurde bei Gründung der AfD ihr Sprecher. Der Vater von fünf Kindern lehrt Makroökonomie an der Universität Hamburg. Über 300 Wissenschaftler schlossen sich seinem „Plenum der Ökonomen“ an, das als Netzplattform Wirtschaft erklärt. Nach 33 Jahren trat Lucke Ende 2011 aus der CDU aus. Er trat als Spitzendkandidat der AfD für die Europawahlen an und wechselte im Sommer 2014 nach Brüssel.
Anwältin, Gründerin der Zivilen Koalition
Die Juristin, die zunächst 2012 Mitglied der FDP war, ist seit 2013 Mitglied der AfD. Sie wird dem rechtskonservativen Flügel der Partei zugerechnet. Sie engagiert sich neben der Euro-Rettung vor allem für eine christlich-konservative Familienpolitik. Am 25. Januar 2014 wurde von Storch vom Bundesparteitag der AfD in Aschaffenburg mit 142 von 282 Stimmen auf Platz vier der Liste zur Europawahl gewählt - und zog anschließend ins Europaparlament ein.
Emeritierter Professor für Volkswirtschaft
Im Kampf gegen den Euro hat er die größte Erfahrung: 1998 klagte er gegen dessen Einführung vor dem Bundesverfassungsgericht, 2011 gegen die Rettungsmaßnahmen. Der 72-Jährige, einst Assistent von Alfred Müller-Armack, führt den wissenschaftlichen Beirat der AfD – so etwas hat keine andere Partei.
Promovierte Chemikerin und Unternehmerin
Nach dem Studium gründete die Mutter von vier Kindern 2007 ihr eigenes Chemieunternehmen Purinvent in Leipzig – mit dem Patent auf ein umweltfreundliches Dichtmittel für Reifen. Sie fürchtet, ihre demokratischen Ideale würden „auf einem ideologisierten EU-Altar geopfert“. Seit 2013 ist sie eine von drei Parteisprechern und Vorsitzende der AfD Sachsen
Journalist, Publizist, Altsprachler und Historiker
Bei den bürgerlichen Blättern – 21 Jahre im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen“, sieben Jahre als politischer Chefkorrespondent der „Welt“ – erwarb er sich den Ruf als konservativer Vordenker. Sozial-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik sind auch im Sprecheramt der AfD seine Schwerpunkte.
Beamter, Politiker, Herausgeber, Publizist
Der promovierte Jurist leitete die hessische Staatskanzlei unter CDU-Ministerpräsident Walter Wallmann. Dann Geschäftsführer und Herausgeber der „Märkischen Allgemeinen“ in Potsdam. Führte die brandenburgische AfD bei den Landtagswahlen zu einem überraschend starken Ergebnis und führt nun die Fraktion im Landtag an.
Es ist eine richtige und wichtige Abgrenzung. Nicht nur, dass eine Annäherung an die Rechtsaußen moderate AfD-Sympathisanten von der Wahl abhalten würde, der Parteitag in Erfurt vor eineinhalb Wochen hat einmal mehr deutlich gemacht, dass das Programm der "Alternative" vor EU-Kritik strotzt, aber keinesfalls inhaltliche Schnittmengen mit radikalen und fremdenfeindlichen Parteien hat. Dagegen gibt es gleich eine Fülle von Gemeinsamkeiten mit der britischen Unabhängigkeitspartei UKIP und den Wahren Finnen.
So nahm der britische EU-Gegner und UKIP-Frontmann Nigel Farage, der sich gute Chancen ausrechnet, bei der Wahl zum EU-Parlament stärkste Partei in Großbritannien zu werden, in der vergangenen Woche gerne eine Einladung der Jungen Alternative an, in Köln zu sprechen. Das brachte Parteichef Lucke auf die Palme. „Die AfD missbilligt diese Veranstaltung als ein falsches und irreführendes Signal, da sie mehrfach betont hat, dass sie im Europäischen Parlament keine Zusammenarbeit mit UKIP anstrebt“, erklärte der Frontmann.
Das ist die JA
Die Junge Alternative ist die Jugendorganisation der Alternative für Deutschland und steht jungen Menschen im Alter von 14 bis 35 Jahren offen. Sie wurde im Juni 2013 gegründet und ist in Deutschland inzwischen mit acht Landesverbänden aktiv.
Vorsitzender Philipp Ritz (Nordrhein-Westfalen)
1. Stellvertreter Damian Lohr (Rheinland-Pflaz)
2. Stellvertreter Benjamin Nolte (Bayern)
Die JA versteht sich als programmatischer Innovationsmotor der Alternative für Deutschland. Sie möchte "mutiger in der Formulierung von Thesen" sein als die AfD und Themen bearbeiten, die bei den Euro-Kritikern zu kurz kommen, etwa Bildung.
Der Slogan der Jungen Alternative lautet "Verstand statt Ideologie"
Weder Nigel Farage noch die AfD-Basis schienen diese Einwände in Köln zu stören. Der Brite hatte den Saal im Kölner Maritim-Hotel von der ersten Minute im Griff. „Ich bin es aus Straßburg gewohnt, dass es viel Lärm gibt wenn ich rede“, beginnt Farage, „nur Applaus ist eher selten dabei.“ Es folgt eine einstündige Rede, die als rhetorisches Lehrstück der EU-Häme verwendet werden könnte. Denn anders als viele der radikalen EU-Kritiker schimpft Farage nicht stumpf auf die Brüsseler Bürokraten mit ihren Ölkännchen und Gurkenkrümmungen, sondern nimmt sich die größten Versprechungen der EU vor – und auseinander. Das unbestrittene Ziel von Frieden in Europa? „Das Problem in Europa waren doch nie die Nationalstaaten, es war der Mangel an Demokratie in diesen Staaten.“
Gegenbeispiel gefällig? „Jugoslawien war auch ein Vielvölkerstaat mitten in Europa und wir wissen alle, wie dieses Kapitel geendet ist.“ Die Bürgerbeteiligung über Wahlen: „Die EU ist das einzige demokratische Konstrukt, in dem nur die Bürokratie Gesetze auf den Weg bringen und beschließen kann.“ Es folgt: „Man wählt also genau die Menschen, gegen deren Gesetze man eigentlich ist.“ Der Saal johlt, die Mehrzahl der einigen hundert AfD-Anhänger steht während der Rede immer mal wieder auf, um Farage anzufeuern. Zwanzig Jahre Europa-Bashing, Farages Erfahrung zahlt sich aus.