Die Folgen der EZB-Niedrigzinspolitik
Werden die Zinsen künstlich abgesenkt, so verringert sich der Reformdruck auf Regierungen und Banken, ihre Haushalte beziehungsweise Bilanzen zu verbessern.
Ein künstlich tief gehaltener Zins verhindert, dass unprofitable Investitionsprojekte also Fehlinvestitionen aufrecht und befördert werden.
Künstlich tiefe Zinsen lösen (inflationäre) Spekulationswellen aus, führen zu „Boom-and-Bust“-Zyklen: überhitzte Situationen, in denen, wenn niemand mehr bereit ist, Kredite zu finanzieren, alles in sich zusammenbricht.
Künstlich niedrig gehaltene Zinsen befördern die Schuldenwirtschaft, insbesondere die der Staaten und der Bankenindustrie.
Über kurz oder lang aber wird die EZB den gleichen geldpolitischen Weg einschlagen wie die Fed und BoJ - mit dem gleichen deprimierenden Ergebnis. Die Maßnahmen, die EZB-Präsident Mario Draghi am vergangenen Donnerstag angekündigt und vorgestellt hat, waren nur ein Vorgeschmack.
Den Weg geebnet haben ökonomische Scheindebatten - wie sie Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) gerne führt - und die von der EZB selbst geschürten Deflationsängste. Auch in der Eurozone geht es schon lange nicht mehr um die Wirtschaft und ihre Bürger, sondern um eine Politik der Alimentierung strauchelnder Banken und Regierungen.
Die EZB versucht den Eindruck zu erwecken, dass ausgerechnet Inflation wirtschaftliche Prosperität erzeuge. Doch das ist ein Irrglaube. Tatsächlich nutzt Inflation bestenfalls hochverschuldeten Staaten, Banken, Unternehmen und Privathaushalten, weil sie deren Schuldenlast auf Kosten der Gläubiger reduziert.
Vorteilhafte Deflation
Für die Mehrheit der Bevölkerung in der Eurozone aber wäre gar Deflation vorteilhafter. EZB-Präsident Draghi selbst hat unlängst dargelegt, dass 80 Prozent des Rückganges der Konsumentenpreise in der Eurozone seit Ende 2011 auf sinkende Preise für Erdöl und Nahrungsmittel zurückzuführen sei.
Kein Ökonom, zumindest keiner, der ernstgenommen werden möchte, glaubt, dass sich mit den von der EZB beschlossenen Negativzinsen auf die Überschussliquidität der Banken bei der EZB die Kreditvergabe anregen lässt. Im Februar 2012 hatte EZB-Direktor Benoît Cœuré für einen solchen Fall gar vor dem Gegenteil, einer möglichen Kreditkontraktion, gewarnt. Selbst die Fed lehnt negative Zinsen ab, weil ein solcher Schritt „costly disruptions to money markets and to the intermediation of credit“ (“kostspielige Störungen für Geldmärkte und Kreditvermittlung”) bedeuten könnte.
Mit Blick auf den Geldmarkt geht die EZB enorme Risiken ein. Geldmarktfonds sind zusammen mit Rückkaufvereinbarungen (Repos) der Kern des rund 21.000 Milliarden Euro schweren Schattenbankensystems der Eurozone. Negative Zinsen aber höhlen das Geschäftsmodell der Geldmarktfonds aus. Die gesamte Architektur der Finanzmärkte beruht auf positiven Zinsen. Das hat die EZB aus lauter Verzweiflung offenbar vergessen.
Die EZB hat in den vergangenen Jahren nichts unversucht gelassen um die Eurozone vor einer Entwicklung wie in Japan nach 1990 zu bewahren. Aber genutzt hat es nichts, weil nicht das Kreditangebot das Problem ist, sondern die Kreditnachfrage.
Unternehmen und Private sind schlichtweg zu hoch verschuldet. Auch das jüngste Maßnahmenpaket der EZB wird deshalb wieder ins Leere laufen. Massenarbeitslosigkeit und Stagnation der Wirtschaft in der Eurozone sind nicht das Ergebnis zu geringer monetärer und fiskalischer Stimuli, sondern Folge eines Mangels an Strukturreformen - und eines zu langsamen Schuldenabbaus.