Gefälschte Studien mit Stammzellen – nicht das schon wieder! Die Forschung an den potenziellen Heilsbringern der Medizin scheint eine magische Anziehungskraft auf Blender und Fälscher auszuüben – oder Forscher dazu zu verleiten, unsauber zu arbeiten.
Jüngst hatten der US-Reproduktionsbiologe Shoukhrat Mitalipov und seine Kollegen von der Oregon Health & Science University im renommierten Wissenschaftsmagazin „Cell“ eine angeblich bahnbrechende Arbeit über das Klonen von menschlichen Zellen veröffentlicht. Nur wenige Tage später geriet sie wegen vertauschter Abbildungen unter Fälschungsverdacht. Und vor acht Jahren löste der südkoreanische Klonforscher Hwang Woo-suk einen der größten internationalen Forschungsskandale mit seinen frei erfundenen Ergebnissen von angeblich geklonten menschlichen embryonalen Stammzellen aus, die im renommierten Wissenschaftsjournal „Science“ erschienen waren.
Nun hat auch Deutschland seinen Stammzell-Forschungsskandal: Denn die angeblichen Heilerfolge mit adulten Stammzellen bei schwer herzkranken Menschen, mit denen der seit 2009 emeritierte Düsseldorfer Kardiologe Bodo-Eckahard Strauer seit 2001 Furore machte und für die er das Bundesverdienstkreuz erhielt, werden massiv angezweifelt. Sein heftigster Kritiker ist der Kardiologe Darrel Frances vom Imperial College in London. Er hatte schon 2010 auf zahllose Ungereimtheiten in Strauers Arbeiten hingewiesen: Doppelt verwendete Datensätze, geschönte Ergebnisse, Rechenfehler, unklare Angaben zum Versuchsaufbau und, und, und.
Darells Verriss wird allerdings seinerseits von Forschern, die die Arbeit schon gelesen hatten, kritisiert, wie das Magazin Forbes online berichtet. Darrel unterscheide nicht zwischen gravierenden und unerheblichen Mängeln. Und er konzentriere sich bei seiner Generalabrechnung mit der Stammzelltherapie fürs Herz viel zu sehr auf Strauer und seine Düsseldorfer Arbeitsgruppe, die er als führend auf dem Feld bezeichnet.
Das sehen viele Stammzellforscher seit Jahren anders. Denn tatsächlich waren Strauers Versuche von Anfang an sowohl in der deutschen Forscherszene als auch international sehr umstritten. Vor allem die Art und Weise, wie der ehemalige Direktor der Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie des Universitätsklinikums Düsseldorf seine Ergebnisse präsentierte, war mehr als ungewöhnlich.
So rief Strauer im Sommer 2001 Journalisten zu einer Pressekonferenz in Düsseldorf zusammen, nachdem er einen einzigen Patienten mit körpereigenen Stammzellen aus dem Beckenkamm behandelt hatte. So manchem Forscher sträubten sich schon damals die Haare, denn gute wissenschaftliche Praxis ist das nicht.
Am heftigsten erregen sich damals all jene Wissenschaftler, die sich den embryonalen Stammzellen verschrieben hatten, denn ihnen blies nun der Wind nun noch heftiger ins Gesicht. Keiner der Betroffenen wollte damals gegenüber der WirtschaftsWoche, die relativ nüchtern berichtete und auch die Kritikpunkte ansprach, offen zur Kollegenschelte ausholen. Die Vokabeln, die damals zu Strauers Vorgehen fielen, waren allerdings wenig schmeichelhaft und reichten von „Schnellschuss“ über „Scharlatanerie“ bis zu „völliger Quatsch“.
Kritik begleitet Strauers Arbeit seit Jahren
Etwas diplomatischer formulierte Ernst-Ludwig Winnacker, der damalige Chef der Deutschen Forschungsgemeinschaft, seine Kritik: „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer – es wäre vermessen und unwissenschaftlich, auf der Grundlage eines einzelnen Falles eine Entscheidung für oder gegen embryonale Stammzellen zu treffen.“
Der Kölner Stammzellforscher Jürgen Hescheler wunderte sich gegenüber der WirtschaftsWoche damals über die schlechte Vorbereitung der Versuche. Hier hätte erst einmal an Mäusen und anschließend an einem größeren Tier gezeigt werden müssen, ob die Zellen tatsächlich im Herzen bleiben, dort auch anwachsen und anschließend mit den Herzmuskelzellen im Takt arbeiten. Sonst könnten nämlich Herzrhythmusstörungen auftreten, fürchtete Hescheler damals.
Der italienische Herz- und Stammzellspezialist Piero Anversa äußerte sich 2004 gegenüber dem renommierten Wissenschaftsmagazin „Science“ geschockt, wie das Laborjournal im Dezember noch einmal zitierte: Strauers Experimente hätten zuvor an mit dem Menschen vergleichbaren Versuchstieren ausprobiert werden müssen. „Science“ sprach daraufhin von "deutschem Draufgängertum", und ein Kommentator des Fachmagazins „Nature“ pochte darauf, man möge derartige Stammzell-Therapien doch erst eingehend an Tieren erproben, ehe man Versuche an Menschen erlaube".
Dass Strauer aber auch in der Fortführung seiner Forschungsarbeit wiederholt gepfuscht haben könnte, diesem Verdacht geht auch die Düsseldorfer Universitätsklinik nach. Sie ermittelt seit Dezember 2012 wegen des Verdachts auf wissenschaftliches Fehlverhalten.
Dabei könnte der Vorwurf sogar noch weit über mögliche Fälschungen hinausgehen. Denn wie die "Süddeutsche Zeitung" im Dezember berichtete, besteht der Verdacht, Strauer habe sich seine Versuche nicht vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) genehmigen lassen – und sich damit möglicherweise strafbar gemacht. Der SZ teilte das PEI auf Anfrage mit: "Zu den Studien liegen keine Unterlagen vor."
Strauer selbst hält die Vorwürfe für „absurd“, wie der 69-Jährige über seinen Medienanwalt der SZ ausrichten ließ. Demnach vermutet er eine Kampagne von Befürwortern der Forschung mit embryonalen Stammzellen, denen er mit seiner Forschung ein Milliardengeschäft verderbe.
Tatsächlich offenbart sich bei diesem Disput allerdings auch ein ganz grundsätzlicher Streit zwischen Medizinern und Naturwissenschaftlern: Die Naturwissenschaftler, zu denen Mediziner im engeren Sinne nicht gehören, werfen den Ärzten seit jeher ein latent unterentwickeltes Verständnis für das korrekte und saubere wissenschaftliche Arbeiten vor.
Mit dem Zusammentrommeln von Journalisten, um einen einzigen geheilten Patienten zu bejubeln, wie Strauer es 2001 praktizierte, hat er dieses Vorurteil par excellence bedient. Und er konnte den Eindruck des unwissenschaftlichen Arbeitens bei vielen Stammzellforschern nie wieder ausräumen. So äußerte der Max-Planck-Stammzellexperte Hans Schöler aus Münster immer wieder öffentlich massive Kritik an Strauers Arbeit. Laut Schöler sei Strauers Ansatz "völlig unwissenschaftlich".