Gen-Therapie erobert Deutschland Die 1-Million-Euro-Spritze

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Die Preissetzungen erfordern Kreativität

Aldag hat vorerst mit den Kassen eine recht opulente Kostenerstattung von einer Million Euro pro Glybera-Kur ausgehandelt. Der endgültige Preis wird aber erst jetzt, im ersten Jahr der Zulassung, festgezurrt. Aldag kann sich vorstellen, dass die Versicherer die Therapie, die viele Krankenhausaufenthalte erspart und über Jahre wirkt, in Raten bezahlen: „Solange das Gen aktiv ist, ist eine Zahlung fällig.“

Bei der Preissetzung sei in Zukunft noch einiges an Kreativität gefordert, glaubt Aldag. Denn viele Therapien, die jetzt auf den Markt kommen, heilen Patienten mit schwerwiegenden, aber sehr seltenen Erbkrankheiten. Bei ihnen funktioniert ein einziges Gen nicht richtig, das macht sie zu idealen Kandidaten für diese Methode.

So wie bei Blinden mit dem Augenleiden Lebersche Amaurose. Mit einer einzigen Injektion direkt ins Auge konnten Forscher des Children’s Hospital of Philadelphia und der University of Pennsylvania ihnen ermöglichen, wieder wenigstens etwas zu sehen. Je jünger die Patienten waren, desto durchschlagender war der Effekt. Zwei der Wissenschaftlerinnen, Katherine High und Jean Bennett, haben mit Kollegen 2013 die Firma Spark Therapeutics gegründet. Damit „Gentherapie Wirklichkeit wird“, wie sie selbstbewusst verkünden. Innerhalb eines Jahres sammelten sie 83 Millionen Dollar Wagniskapital ein. Der Börsengang im Januar erbrachte 161 Millionen Dollar.

Zehn Krankheiten, die nicht auszurotten sind
MalariaForscher warnen, dass der Klimawandel Einfluss auf die Verbreitung von Malaria haben könnte. Durch die Erderwärmung vermehren sich die als Malariaüberträger bekannten Mücken stärker als früher. Mehr als eine Million Menschen sterben laut Universität Washington weltweit jedes Jahr an Malaria. Quelle: dpa
BotulismusDie klassische Lebensmittelvergiftung, der sogenannte Botulismus, wird meist durch verdorbenes Fleisch und nicht fachgerecht eingekochtes Gemüse hervorgerufen. Botulismus ist nicht ansteckend und zeigt sich meist durch Sehstörungen sowie Probleme beim Sprechen und Schlucken. In schweren Fällen lähmt der Erreger Clostridium botulinum die inneren Organe, Erbrechen und Durchfall stellen sich ein. Betroffene sterben ohne Behandlung meist an Ersticken. Quelle: dpa
StaublungeEine zu Zeiten des Kohleabbaus im Ruhrgebiet weit verbreitete Krankheit ist die Staublunge. Trotz spezieller Filter und Schutzmasken, die die Lungen der Bergarbeiter schützen sollen, gibt es immer noch Krankheits- und Todesfälle durch die hohe Feinstaubbelastung. Jüngere Bergarbeiter sollen laut National Public Radio stärker betroffen sein, da die Krankheit bei ihnen schneller voranschreitet. Quelle: AP
CholeraDie Durchfallerkrankung Cholera fordert jedes Jahr unzählige Todesopfer. Schuld ist verunreinigtes Wasser, deshalb verbreitet sich die Krankheit vor allem in den Armenvierteln dieser Welt. Das Erdbeben von Haiti rief vor vier Jahren eine große Cholera-Epidemie hervor. Seitdem sind laut Statistiken rund 8400 Menschen an Cholera gestorben. Quelle: dapd
TuberkuloseTrotz Impfmöglichkeiten und Antibiotika konnte die Tuberkulose bisher nicht besiegt werden. Ein Grund ist eine resistente Mutation des Erregers, die sich seit den Achtzigern verbreitet hat. Die Krankheit befällt meist die Atemwege, allerdings ist auch ein Befall des Nervensystems und der Organe möglich. Tuberkulose ist nach Aids der zweitgefährlichste Erreger, laut WHO starben 2010 1,4 Millionen Menschen an der Krankheit. Quelle: dpa
Polio/KinderlähmungPolio war bereits einmal beinahe ausgerottet – ein Mangel an Impfungen führte seit der Jahrtausendwende allerdings zu zahlreichen Neuerkrankungen. Vor allem in Afrika ist die Krankheit wieder auf dem Vormarsch, die WHO will mit Hilfe von Impfprogrammen dagegen vorgehen. Da sich der Erreger seit jeher kaum verändert hat, ist eine Ausrottung der Krankheit mittelfristig nicht unwahrscheinlich, die nötige Schluckimpfung ist kostengünstig und einfach umzusetzen. Quelle: dpa
SyphilisSyphilis ist eine sexuell übertragbare Krankheit, die aktuell vor allem in Deutschland und Australien verbreitet ist. 2013 meldete das Robert-Koch-Institut 5017 Neuerkrankungen, das sind 600 mehr als im Jahr 2012. Syphilis ist durch die Gabe von Penicillin heilbar. Quelle: Gemeinfrei

Mit ihrer Therapie ist die Firma bereits in der dritten und damit letzten Versuchsphase am Menschen. Sie erhielt im November von der US-Zulassungsbehörde FDA das Prädikat Durchbruch-Therapie, was eine schnelle Genehmigung wahrscheinlich macht. Die Spark-Leute wollen bis Ende des Jahres die Studie auswerten und die Zulassung Anfang 2016 beantragen.

Zwar ist das Leiden selten: In Europa und den USA leben nur 3500 Patienten. Aber die betroffene Erbanlage ist nur eine von 220, die Augenerkrankungen verursachen. Ein weiteres, weit häufigeres Blindmacher-Gen zu reparieren testen die Forscher bereits in Phase 1/2 am Menschen.

Das junge Start-up hat noch ein weiteres spannendes Projekt in der Pipeline: eine Therapie gegen die Bluterkrankheit, die Hämophilie. Je nachdem welcher der Blutgerinnungsfaktoren den meist männlichen Patienten fehlt, wird die Krankheit in A oder B eingeteilt – und sie betrifft immerhin einen von 5000, beziehungsweise einen von 25.000 Männern. Stoßen sich die Betroffenen auch nur leicht, kann es zu unstillbaren Blutungen kommen. Seit vielen Jahren können sich zumindest Patienten mit der häufigeren A-Variante mit biotechnisch hergestellten Medikamenten behelfen: Faktor VIII gehört zu den Branchenklassikern – ein Milliardenmarkt.

Das lukrative Geschäft, an dem Pharma- und Biotech-Größen wie Amgen, Bayer, Baxter und auch Pfizer gut verdienen, könnte in Zukunft in Richtung Gentherapie abwandern. Deshalb hat Pfizer sich im Dezember bei Spark eingekauft: 20 Millionen Dollar bekam die Gentherapiefirma sofort, 260 Millionen Dollar sollen im Laufe der Kooperation folgen. Noch in diesem Halbjahr beginnen erste Tests an Menschen.

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