Weltgesundheitsorganisation Wieso die WHO Softdrinks besteuern will

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Die Rolle von Softdrinks in der Diabetes-Entstehung

Ein weiteres Problem der süßen Getränke: Sie fördern die Gewöhnung an den Geschmacksreiz "süß". Das Phänomen gibt es auch bei Salz. Die Reizschwelle für die Geschmacksempfindung steigt nach und nach an. Wer also von Kindesbeinen an die Extraportion Zucker gewöhnt ist, braucht nach und nach stärkere süß-Reize, erklärt Karsten Müssig, stellvertretender Direktor der Klinik für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Düsseldorf und Arbeitsgruppenleiter am Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ). Dadurch essen Menschen im Laufe des Lebens immer mehr Zucker.

Wieviel Zucker steckt in...

Für gesunde Menschen gibt es keine klare Zufuhrgrenze von Zucker, bei der man sagen könnte: "Ab hier macht er krank". Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung und die Deutsche Diabetes Gesellschaft geben lediglich Richtlinien für Diabetes-Patienten aus. Ob der reichliche Genuss von zuckerhaltigen Lebensmitteln zu Diabetes führt, ist unter Forschern noch immer umstritten. Mediziner gehen aktuell davon aus, dass gesüßte Getränke das Risiko indirekt erhöhen, weil sie leicht zu Übergewicht führen. Die überschüssigen Kalorien werden an besonders ungünstigen Körperstellen, nämlich im Bauchbereich und in der Leber abgelagert. Dadurch wird die Insulinwirkung im Körper abgeschwächt - ein wichtiger Mechanismus bei der Entstehung von Typ-2-Diabetes, erklärt Müssig.

Doch nicht nur die hohe Zufuhr von Kalorien durch Softdrinks ist problematisch. Zusätzlich enthalten sie meist sehr viel Fruktose, die eine besonders starke Süßkraft hat. Diese Zuckerart führt, wie Studien nahelegen, vermutlich auch direkt zu einer Insulinresistenz. "In experimentellen Ansätzen zeigte sich, dass eine kurzfristig hohe Fruktose-Belastung zu einer verminderten Wirkung des Insulins im menschlichen Körper führt", erläutert Müssig.

Die größten Ernährungsmythen
Verlängern Chili-Schoten das Leben? Quelle: REUTERS
Schokolade Quelle: dpa
Je mehr Vitamine desto besser Quelle: dpa
Brot macht dick und ist ungesundGerade für die Verfechter kohlehydratarmer Nahrung steckt der Teufel im Brot: Es mache dick und trage sogar Mitschuld an Diabetes. Das ist so allerdings nicht richtig: Gerade Vollkornbrot (echtes Vollkornbrot, kein mit Malz eingefärbtes Weißbrot) hat sehr viel Ballaststoffe. Die sind gesund und machen satt. Außerdem liefert es verschiedene Vitamine sowie Iod, Flur, Magnesium und Zink. Quelle: dpa
"Light", "Leicht" oder "Fettarm" - das ist gut für die schlanke LinieDie Lebensmittelindustrie hat den Trend zu bewusster Ernährung entdeckt und nutzt ihn mit Fitness- und Wellness-Begriffen gezielt aus. Doch die Verbraucherorganisation Foodwatch warnt: Oft werden so Lebensmittel beworben, die alles andere als kalorienarm sind. Der Verein hat das Nährwertprofil von sogenannten Fitness-Müslis, Wellness-Wasser oder Joghurt-Drinks überprüft und kam zu dem Ergebnis, dass die scheinbar "gesunden" Lebensmittel Softdrinks oder Fast-Food-Snacks beim Zucker-, Salz- oder Fettgehalt oftmals in nichts nachstehen. Bei fettarmen Produkten wird der Geschmacksmangel häufig durch zahlreiche andere Inhaltsstoffe, etwa Stärke und Zucker, ausgeglichen - der Kaloriengehalt unterscheidet sich kaum, ist manchmal durch den hohen Zuckergehalt sogar höher - und gesund ist das Light-Produkt noch lange nicht. Quelle: dpa
Kartoffeln machen dick Quelle: dpa
Öko-Lebensmittel sind gesünder Quelle: dpa

Das grundlegende Problem bleibt, dass die meisten Menschen sich einfach zu kalorienhaltig ernähren - sei es nun durch zu viel Zucker oder zu viel Fett. Kritik am WHO-Vorstoß der Zuckersteuer kommt von der Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke, die es als reine "Symbolpolitik" sieht: „Eine Strafsteuer allein auf Softdrinks ist nicht geeignet, um ein komplexes gesellschaftliches Problem wie Übergewicht zu lösen.“ Auch Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU) reagierte ablehnend: Eine Zuckersteuer ändere nichts, sagte er. Er begründete seine Aussage damit, Deutschland habe bereits bis Anfang der Neunzigerjahre eine Zuckersteuer gehabt, die aber nichts am Konsum geändert habe. Die Regierung arbeite stattdessen daran, den Gehalt von Zucker, Fett und Salz in Fertiglebensmitteln zu senken.

Unterstützung für den Vorstoß der WHO kommt von der Verbraucherorganisation Foodwatch: "Bundesernährungsminister Schmidt sollte endlich auf die WHO hören", erklärte Oliver Huizinga von Foodwatch in Berlin. Auch die Experten, die sich in der DANK zusammengeschlossen haben, fordern seit Langem eine Zuckersteuer und nennen zwei Beispiele für den möglichen Erfolg einer solchen Maßnahme: Zum einen die Tabaksteuererhöhungen in Deutschland. Durch sie konnte der Anteil der rauchenden Jugendlichen in den vergangenen zehn Jahren halbiert werden. Zum anderen die Einführung einer Steuer auf Alkopops. Die alkoholhaltigen Limo-Mischgetränke verschwanden nach der Einführung der Alkopop-Steuer nahezu vom Markt.

Allerdings: der gesamte Alkoholkonsum der Jugendlichen ging durch die Maßnahme nicht zurück - sie suchten sich einfach andere Getränke als Ausweichmöglichkeit. Und den rückläufigen Tabakkonsum unter Jugendlichen allein höheren Preisen zuzuschreiben, scheint zu kurz gedacht - gesundheitliche Aufklärung und der Imageverlust des Glimmstängels dürften ihr Übriges beigetragen haben. Ob eine Zuckersteuer auf Limo und Co. in Deutschland also der richtige Weg wäre, den ungesunden Lebenswandel vieler Menschen nachhaltig zu ändern, scheint zweifelhaft. Schließlich bieten Chips, Schweinshaxe und Bewegungsmangel noch genügend andere Möglichkeiten, die eigene Gesundheit zu ruinieren.

Mit Material von dpa


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