Netzwelt Vom Wert der Vielen im Internet

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Facebook: Beim sogenannten Quelle: AP

Die soziale Vernetzung via Internet hat inzwischen Eingang in den Tagesablauf der meisten jungen Menschen in Deutschland gefunden. Das beeinflusst vor allem das Marketing – nicht nur im Hinblick auf die Verschiebung der Werbeausgaben ins Netz. Es geht um mehr als nur den Unterschied, ob man ein Produkt kauft, weil man einen Werbespot im Fernsehen gesehen hat, oder ob man es kauft, weil man auf eine Google-Anzeige klickt. Die Empfehlungen der Freunde und Bekannten sowie deren Freunde und Bekannte bestimmen, wie die Aufmerksamkeit der Zukunft gelenkt wird. Das eigene Netzwerk wird zum Filter für einen Großteil der Informationen – ob Nachrichten oder Werbung –, die das Individuum erreichen.

Im Dezember 2009 hat Facebook in den USA erstmals doppelt so viel Traffic wie Google auf große Publikumsseiten wie Yahoo und MSN gelenkt: 14 Prozent des Gesamtpublikums, wie das Netzforschungsunternehmen Compete ermittelte. "Friendcasting" wird dieser Effekt genannt, der aus unseren Online-Kontakten, den sozialen Netzwerken und veröffentlichten Links, Texten, Fotos und Filmchen, eine individuelle Empfehlungsredaktion macht, die nach den Regeln der kollektiven Intelligenz funktioniert. Mundpropaganda ist heute digital und verteilt sich binnen Stunden wie ein Schneeballsystem innerhalb des digitalen Bekanntenkreises.

Der Kern des Wandels in der Wirtschaft durch das Internet ist der Umgang mit dem Produktionsfaktor Wissen. Der Ökonom Peter Drucker beschrieb den "Knowledge Worker", der Wissen und Information bei der Arbeit entwickelt und vermehrt. Dieses Konzept hat mit der Vernetzung eine neue Dimension erhalten. In seinem FAZ-Blog "CTRL-Verlust" spricht beispielsweise Michael Seemann* vom sozialen Netzwerk als "mentales Exoskelett" und definiert auf diese Weise, was für ein machtvolles Werkzeug der Wissensarbeiter mit dem Internet an die Hand bekommen hat: Wie eine verlängerte Wissenswerkbank wirkt das Web. Eine konkrete Frage, in das soziale Netzwerk Twitter eingespeist, wird von der Verfolgergemeinschaft oft präziser und verständlicher beantwortet, als es eine Suchmaschine wie Google, Bing oder WolframAlpha je könnte – ab einer bestimmten Größe der vernetzten Gemeinschaft weiß immer irgendjemand die richtige Antwort. Erst die soziale Vernetzung und die dazugehörende Anerkennung – das soziale Kapital – machen also die Suche erfolgreich. "Human Google" lautet daher ein augenzwinkernder, aber nicht unberechtigter Spitzname für Twitter. Im ökonomischen Kontext kann eine kollektive Wissens-Ressource allerdings nur funktionieren, wenn man zuvor eine entsprechende Community aufgebaut hat, im besten Fall eine, die auf die eigenen Abläufe abgestimmt wurde.

In der New Economy war eines der großen Schlagworte das "Knowledge Management System" oder KMS. Die damaligen Ansätze erwiesen sich jedoch als aufgebläht. 

Heute erkennen wir umso deutlicher, dass funktionierende Wissensmanagement-Systeme nicht für sich stehen. Erst die soziale Vernetzung und die dazugehörende Anerkennung – das soziale Kapital – machen sie erfolgreich. Das bekannteste Beispiel dafür ist natürlich Wikipedia, über dessen wirtschaftliche Relevanz abseits der vereinfachten und damit günstigeren Recherche man sicher streiten kann. 

Spannender wird es dort, wo aus Wissen direkt Wertschöpfung entstehen kann – in Forschung und Entwicklung. Die Plattform innocentive.com etwa versteht sich als offener Innovationsmarktplatz. Unternehmen loben dort für die Lösung von Problemen, vor allem aus den Bereichen Chemie und Pharmazeutik, zwischen 5000 und einer Million Dollar als Belohnung aus. Über 200 000 Experten aus aller Welt sind in inzwischen in diesem Netzwerk registriert und haben bis heute fast siebenhundert Aufgaben lösen können. Dieses Vorzeigebeispiel der vernetzten Wissensarbeit stellt aber nur einen kleinen Teil dessen dar, was das die soziale Vernetzung über das Internet aus den verschiedenen Industrien und Branchen herauszukitzeln vermag. Auch die gesamte Ökonomie rund um Open-Source-Software wäre nicht denkbar ohne die vernetzte Wissensarbeit, die weltweit in hunderttausenden Foren, Netzwerken, Blogs und anderen Plattformen geleistet wird, basierend auf der gegenseitigen Anerkennung und damit dem sozialen Kapital. 

*Disclosure - mit Michael Seemann bin ich privat befreundet.

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