Medizin Alzheimer - die erfundene Krankheit

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Geschäft mit der Angst

Beyreuther: Doch, tut es. Ärzte definieren Krankheiten. Ich bin Molekularbiologe und erforsche die biochemischen Abläufe. Ablagerungen sind das Erste, was wir sehen, wenn der Krankheitsprozess angestoßen wird

Warum dauert es mal kürzer, mal länger?

Beyreuther: Das hängt sehr davon ab, auf welchem Niveau der Einzelne startet und welche geistigen Reserven er hat. Deshalb empfehle ich, sich möglichst lange im Alter geistig fit zu halten, sei es mit Denksport oder am Computer.

Stolze: Beides mag ja durchaus gut fürs Hirn sein. Sie behaupten aber, dass diese Strategien die Entwicklung der Alzheimer-Krankheit herauszögern würden. Aber das ist genauso wenig bewiesen wie der angeblich heilsame Effekt der Einnahme von Omega-3-Fettsäuren. Dennoch preisen Sie diese Präparate genauso zur Vorbeugung an wie vor einigen Jahren die vorsorgliche Einnahme von Cholesterinsenkern. Gleichzeitig haben Sie von den Herstellern dieser Medikamente jahrelang Forschungsgelder und Beraterhonorare kassiert. Ich frage Sie: Stehen hier unverrückbare wissenschaftliche Ansprüche hinter privaten Interessen zurück?

Beyreuther: Jetzt werden Sie unverschämt, dazu werde ich nichts sagen! Ich kann Ihnen nur versichern, dass die Wirkung von Blutfettsenkern gegen die Bildung von Plaques in Tierversuchen erwiesen ist…

Stolze: … aber nicht am Menschen.

Beyreuther: Doch. In sehr frühen Phasen der Erkrankung zeigten sie Wirkungen, nicht allerdings bei Patienten, bei denen die Erkrankung schon ausgeprägt war. Die Wirkung der Statine im Frühstadium sollte, da stimme ich zu, dringend nochmals in großen Studien getestet werden.

Wenn die Krankheit nicht aufzuhalten ist, was bringt dann ein Test?

Beyreuther: Herzlich wenig.

Stolze: Wie bitte? Noch vor Kurzem haben Sie den Test für jedermann angepriesen. Und Sie haben schon vor zehn Jahren behauptet, solche Tests würden ein nahezu 100-prozentig sicheres Ergebnis liefern, und versprochen, dass sich der Ausbruch der Krankheit mit Medikamenten verzögern ließe.

Beyreuther: Beides würde ich heute so nicht mehr sagen. Den Test würde ich nur noch dann einsetzen, wenn man ein neues Medikament erproben will und wissen muss, ob und in welchem Stadium die Studienteilnehmer Alzheimer haben.

Arbeiten Sie gerade an einem Medikament?

Beyreuther: Nein. Wir haben zwar versucht, die von uns entwickelten Antikörper für eine Impfung gegen Plaques einzusetzen. Andere Forschungsgruppen sahen bei ihren Impfungen starke Nebenwirkungen. Daher glaube ich heute nicht mehr daran, dass eine Impfung funktionieren wird. Auch wirksame Alzheimer-Medikamente sind in weiter Ferne. Hier gab es seit Jahren fast nur Rückschläge.

Stolze: Erst vorigen Sommer brach Eli Lilly die große Studie mit dem Präparat Semagacestat ab. Es konnte zwar die Plaques auflösen, aber die Gedächtnisleistung der Patienten kehrte nicht zurück, sie wurde sogar schlechter. Das spricht doch ebenfalls gegen die Plaque-Theorie.

Beyreuther: Nein, nicht grundsätzlich. Wir greifen einfach viel zu spät ein. Ich habe mir damals nicht klargemacht, dass ein Alzheimer-Patient nicht mehr therapiert werden kann, wenn die Scheune der Erinnerung bereits abgebrannt ist.

Aber es gibt doch vier Alzheimer-Mittel auf dem Markt - Aricept, Exelon, Ebixa und Reminyl. Wirke die nicht?

Beyreuther: Sie halten den Krankheitsverlauf jedenfalls nicht auf, sondern verbessern nur die Befindlichkeit. Damit machen sie Angehörigen und Pflegern den Umgang mit den Patienten angenehmer und senken die Pflegekosten.

Stolze: In erster Linie bringen diese Präparate den Herstellern Milliardengewinne. Allein mit Aricept erwirtschafteten Pfizer und Eisai vergangenes Jahr mehr als drei Milliarden Dollar. Übrigens haben die Forscher Werbebotschaften der Pharmakonzerne über Jahre bereitwillig auf Kongressen verbreitet. Sie alle konnten von dem Wirbel, den sie um Alzheimer machten, gut leben. Ich halte das für eine in weiten Teilen inszenierte Veranstaltung, die die wahren Ursachen von Altersdemenz außer Acht lässt und den Menschen nicht hilft.

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