Die Chefs der drei deutschen Premiumautobauer Dieter Zetsche, Rupert Stadler und Norbert Reithofer sollten sich zu einem privaten Rennen verabreden. Der begeisterte Reiter Zetsche hoch zu Ross, der passionierte Läufer Stadler in Joggingschuhen und Bergliebhaber Reithofer mit Wanderstab. Der Ausgang des Wettkampfs stünde von vornherein fest - und brächte doch Abwechslung.
Hauchdünner Abstand
Das gab es noch nie beim Absatz-Rennen der großen drei. Nach vier Monaten führt BMW mit 569.000 verkauften Modellen vor Audi mit 562.000 und Mercedes mit 500.000 Wagen. Der Abstand zwischen den beiden bayerischen Marken ist hauchdünn – Audi könnte den Konkurrenten bis zum Jahresende eingeholt haben. Doch womit?
Anders als Chef Stadler, der in unserem fiktiven Rennen die Lauf-Schuhe anschnallt, kriecht Audi in puncto Neuheiten in diesem Jahr vor sich hin. Zwei neue Sportmodelle (RS 3 Sportsback und RS 5 Cabrio) und zum Herbst der neue TT. Das soll’s dann schon gewesen sein.
Für Martin Benecke, Analyst beim Marktforschungs- und Beratungsunternehmen IHS, kein Grund zur Panik: „Audi kann sich schon mal ein Jahr ohne Modellfeuerwerk erlauben.“ Noch zehren die Ingolstädter von ihren neu aufgelegten A1-, A3- und Q3-Modellen.
Empfindlich treffen könnte Audi die neue Mercedes-C-Klasse als Limousine und Kombi, zumal der eigene A4 erst im Jahr 2015 kommt. Mit GLA, B-Klasse, C-Klasse, S-Klasse Plugin-Hybrid und Bluetech-Hybrid haben die Schwaben in diesem Jahre die umfangreichste Neuheiten-Palette.
Absatzprognose 2014-2018
Marke/Jahr | 2014 | 2015 | 2016 | 2017 | 2018 |
Audi |
1.678.060 |
1.724.426 |
1.878.156 |
1.986.078 |
2.057.458 |
BMW |
1.781.921 |
1.907.496 |
1.940.391 |
2.006.765 |
2.083.384 |
Mercedes-Benz |
1.860.239 |
2.023.214 |
2.043.390 |
2.029.219 |
2.004.946 |
Quelle: IHS
Der erste Bayern-Van
BMW geht mit neuem 3er, 4er, dem ActiveTourer (dem ersten Van der Bayern) und dem X5 ins Absatzrennen. Dennoch ist Nord-LB-Analyst Frank Schwope skeptisch, ob Deutschlands Premiumhersteller so schnell weiterwachsen wie bis zum April dieses Jahres: 11,2 Prozent mehr Autos gegenüber Vorjahr bei BMW, 11,7 Prozent bei Audi und sogar 14,9 Prozent bei Mercedes. „Das lässt sich kaum durchhalten.“ Im Laufe des Jahres werde es wohl bei allen „etwas bröckeln“, schätzt Schwope.
Soweit zum Status quo. 2014 wird für die Premiumliga ein gutes Jahr werden – vor allem dank der immer noch stattlichen Zuwächse in China und dem immensen Nachholbedarf der amerikanischen Kundschaft. Spannender ist die Frage: Was bringt die Zukunft über 2014 hinaus?
Wenn es nach Reithofer geht, lautet die Antwort: „An der Spitze bleiben, das ist unser Ziel.“ So schmetterte er es auf der Hauptversammlung den Aktionären entgegen. Sowohl der Audi-Chef als auch Daimler-Boss Zetsche haben die Losung ausgegeben, bis 2020 der führende Hersteller im Hochpreissegment sein zu wollen. Auf dem Weg zum Ziel haben die drei jedoch völlig unterschiedliche Richtungen eingeschlagen.
Fünf entscheidende Faktoren
Allen drei Herstellern ist klar, dass fünf Faktoren an entscheidender Bedeutung gewinnen:
- Der Druck, effiziente Motoren mit möglichst geringem CO2-Ausstoss zu bauen, steigt von Jahr zu Jahr – in der EU genauso wie in den in Staub und Abgasen erstickenden und ständig wachsenden Großstädten Asiens und Südamerikas.
- Wachstum findet kaum noch in Europa statt. Wer mehr Autos verkaufen will, muss jetzt die Schlüsselpositionen für lokale Fertigungen vor Ort besetzen.
- Die Kundschaft ändert sich: Sie will sich auch und gerade übers Internet informieren, vielleicht sogar Kaufverträge abschließen können. Sie will vom Hersteller Möglichkeiten geboten bekommen, ein Auto zur Verfügung zu haben, ohne es gleich kaufen zu müssen.
- Technische Vorsprünge halten immer kürzer, das Innovationstempo muss steigen. Gleichzeitig bieten die Neuerungen dem Kunden immer weniger wirklich neuen Nutzen.
- Weil es immer schwieriger wird, sich über neue Technologien zu differenzieren, müssen die Hersteller ihren Marken ein immer schärferes Profil geben. Für welche Werte steht der Hersteller? Welches Image transportiert er?
Unsichtbar innovativ
BMW: Mutig elektrisch
Man muss kein Markenpsychologe sein, um diese Frage zu beantworten: BMW punktet derzeit mit dem Image des mutigen Vorreiters für die Elektromobilität. Der neue i3 und ab Juni der i8 fallen im Straßenbild durch ihr eigenständiges Design auf. Mit seinen Karbon-Karosserien hat BMW einen neuen, innovativen Werkstoff eingeführt – auch im neuen 7er soll ein Karbon-Mix zum Einsatz kommen. Kein anderer Premiumhersteller ist diesen Schritt so konsequent gegangen. Ob er sich auszahlt, bleibt abzuwarten.
Aktuell liegen den Münchnern knapp 3000 Bestellungen für den i3 vor. Im April begannen die Auslieferungen in den USA, dem Markt von dem sich Reithofer die höchste Nachfrage verspricht.
Imagewerte der Premiumautobauer
Das Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov hat für WirtschaftsWoche Online die aktuellen Imagewerte von Audi, BMW, Mercedes und Opel erfragt. Das Ergebnis: Im aktuellen Ranking der Automobilhersteller steht Volkswagen auf Platz 1, gefolgt von Audi, BMW und Mercedes-Benz. Opel belegt Platz 9.
Zwischen Juli 2013 und Mai 2014 hat Audi 8 BrandIndex-Punkte verloren und kommt aktuell auf 42. BMW verzeichnete Ende Januar einen leichten Rückgang, konnte sich bis Mai erholen – allerdings nicht auf das vorherige Niveau: aktuell erreichen die Bayern 44 Punkte im Juli 2013 waren es noch 39. Mercedes bleibt stabil mit 36 bzw. 37 Punkten. Opel hat sich um 6 Punkte auf nun 20 verbessert. Die Skala des Markenmonitor BrandIndex reicht von -100 bis + 100.
Audi: Strategie Gemischtwarenladen
Hinter so viel Mut fällt Audi zurück. Die Ingolstädter fahren die Strategie „Gemischtwarenladen“. Den A3 gibt es als Elektro-Variante ebenso wie mit Erdgas. Der Sportwagen R8-etron sollte erst nicht in Serie gehen, nun aber doch. Zaudern und Zögern, ein Schritt vor, zwei zurück.
Die Modelle mit alternativen Antrieben sind äußerlich nicht als solche zu erkennen – das gleiche gilt für die Strom- und Hybridmodelle von Daimler. Wer sich aber ein emissionsarmes Fahrzeug kauft, will seinen „grünen Anstrich“ auch zur Schau stellen. Frei nach dem Motto, tu Gutes und rede darüber.
Hat Audi den Elektro-Trend verschlafen?
„Die Konzepte hat Audi alle in der Schublade“, beruhigt Benecke. Sollte die Nachfrage nach Elektro-Fahrzeugen unerwartet sprunghaft ansteigen, sei für die Ingolstädter nichts verloren.
Mulmiges Gefühl
Es bleibt allein das Gefühl, dass Audi derzeit der Schwung fehlt – auch bei Analyst Schwope. „Ich nehme Audi kaum als Vorreiter wahr. Die Leuchtturmprojekte fehlen.“ Die Zeiten, in denen die Allrad-Modelle Quattro und Leichtbau mit Aluminium Audi zum Hersteller mit „Vorsprung durch Technik“ machten, liegen ein Weilchen zurück. Schwope ätzt: „Der Slogan passt derzeit besser zu BMW.“
Herrscht Innovationsmangel im Hause Volkswagen-Audi? Nicht die Spur, belegt eine Studie des CAM Center of Automotive Management.
Die Innovations-Champions
Entscheidungsgrundlage des InnovationsAwards ist eine Studie auf Basis der Innovationsdatenbank des CAM in Bergisch Gladbach. Dabei werden werden die fahrzeugtechnischen Innovationen von 18 globalen Autokonzernen mit 53 Marken systematisch erhoben und bewertet. Als Innovationen gelten Neuerungen, die einen spürbaren zusätzlichen Kundennutzen bieten. Außerdem müssen die Neuerungen bereits verfügbar oder zumindest in entwickelten Prototypen vorgestellt worden sein.
Instituts-Leiter Stefan Bratzel kürte auf Basis seiner Auswertung Volkswagen zum „innovationsstärksten Automobilkonzern“. Mit 229 Innovationen im Untersuchungsjahr 2013 und einer Innovationsstärke von 186 Indexpunkten erreichten die Wolfsburger die höchsten je gemessenen Werte für einen einzelnen Konzern seit der ersten Auswertung im Jahr 2005. Daimler folgt mit nur knappem Abstand auf Rang zwei vor BMW.
Mercedes: Innovativste Marke
Daimler sahnte noch mehr Auszeichnungen ab: Sieger in der Kategorie „Fahrzeugkonzepte“ - darunter fallen komplett neue Arten von Fahrzeugen oder neuartige Karosseriekonzepte. Sieger im Bereich Aerodynamik-Innovationen: CLA, GLA und S-Klasse sind in ihrem Segment jeweils Spitzenreiter mit den geringsten Luftwiderstandswerten. Und mit S-, E- und C-Klasse kommen auch noch die drei innovationstärksten Modelle aus Stuttgart.
Volkswagen führt dagegen in den Kategorien "Konventionelle Antriebe" und "Alternative Antriebe" vor Daimler und General Motors. Bei besonders vielen Modellen hat VW im Betrachtungszeitraum die konventionellen Motoren sparsamer gemacht.
Die Innovationen sind also da – für die Kunden sind die wenigsten davon aber sichtbar.
Rupert Stadler versucht nun mit der "Ultra"-Kampagne, für besonders effiziente Modellvarianten zu dokumentieren „dass Audi die Speerspitze in Sachen Effizienz ist.“ Das wolle man deutlicher machen, „bewusster und auch etwas lauter als bisher“, so der Audi-Chef im Interview mit der WirtschaftsWoche.
Getrommelt wird dafür bisher vor allem im Ausland, wo Stadler das größte Potenzial sieht. Audi wird bis zu 700.000 Autos in China produzieren können. Kein anderer deutscher Premium-Hersteller ist in China so gut vertreten wie die Volkswagen-Tochter. Ist die Abhängigkeit vielleicht schon zu groß? Stadler: „Das Risiko, in China nicht dabei zu sein ist viel größer, als dort ein aktiver Spieler zu sein“.
Gefahr Carsharing
Ein Seitenhieb auf Daimler, die erst jetzt nach einer Neuorganisation des Vertriebs und der Berufung eines eigenen China-Vorstands beginnen, die Potenziale des Markts voll zu nutzen. Hier war Audi schneller, dafür ist BMW auf dem nordamerikanischen Markt mit seinem riesigen Werk in Spartanburg in South Carolina, das mit rund einer Milliarde Dollar zum größten Werkt des Konzerns ausgebaut werden soll, etwas besser in den USA platziert. Doch das Audi-Werk in Mexiko befindet sich bereits im Bau. Hat einer der Deutschen in punkto Internationalisierung eindeutig die Nase vorn? „Die schenken sich nicht viel“, sind sich die Analysten einig.
Innovativ und hervorragend auf den Wachstumsmärkten positioniert – was könnte Deutschlands Vorzeigeautobauer da noch schrecken?
Fall eines Statussymbols
Von Angst zu sprechen, wäre übertrieben. Bei einer Nachfrage von rund drei Millionen Neufahrzeugen jährlich auf dem deutschen Markt – auch in den nächsten fünf bis zehn Jahren – kann keine Rede davon sein, dass die Deutschen die Lust am Auto verloren haben.
Bei mittlerweile über 750.000 Carsharing-Nutzern hierzulande (67 Prozent mehr als 2013!) liegt der Gedanke aber nahe, dass zumindest die Städter zunehmend Gefallen daran finden, zwar ein Auto zur Verfügung zu haben, dafür aber kein eigenes besitzen müssen.
Ist das die Mobilität der Zukunft – ein Heer von (elektrischen?) Automobilen, die sich per Smartphone überall in der Stadt chartern lassen und das eigene Fahrzeug überflüssig machen?
„Carsharing ist für die Mehrzahl der Befragten vorerst kein Thema“, heißt es in der Aral-Studie „Trends beim Autokauf 2013“. Nur zwei Prozent haben bisher in einem Carsharing-Auto gesessen.
Andreas Knie, Mobilitätsexperte vom Wissenschaftszentrum Berlin, hält dagegen. Bei den so genannten „Greenovators“, also Kundengruppen, die sich für nachhaltige Konzepte interessieren und sie mit als erste ausprobieren, habe Carsharing große Erfolgschancen: „Wir beobachten in den USA einen massiv boomenden Carsharing-Markt.“ Dort werde der Club-Gedanke des Car-Sharings, der sich in Deutschland bisher kaum durchgesetzt hat, immer populärer. Junge Menschen seien inzwischen sehr besorgt um ihre Umwelt, das verändere ihr Mobilitätsverhalten.
Der Car-Sharing-Markt habe sich daher rasant entwickelt: „In diesem "Nutzen-statt-Besitzen"-Markt werden wir auch in Deutschland und Europa eine deutliche Wachstumsentwicklung erleben“, sagt er voraus.
Audi setzt auf "Select"
BMW und Mercedes haben sich wohl aus genau diesen Gründen dafür entschieden, mit Smart Car2Go und BMWDriveNow beim Carsharing mitzumischen. BMW nutzt DriveNow dabei auch bewusst, um seine E-Modelle beim Publikum zu testen. Seit gut einem Jahr ist der ActiveE mit 40 Modellen in Berlin und 20 Wagen in München im Angebot. Die Reaktionen seien sehr positiv, sagt DriveNow-Sprecher Michael Fischer. In wenigen Monaten – wann genau steht noch nicht fest – soll der i3 in die Flotten aufgenommen werden.
Audi-Chef Stadler jedoch hält nichts vom klassischen CarSharing. „Ich will keine rollenden Litfaßsäulen in den Städten.“
Ein Fehler? Nein, sagt Nord-LB-Analyst Schwope: „Carsharing halte ich für einen großen medialen Hype und einen überzeichneten Trend.“ Das eigene Auto würde dadurch selten verdrängt.
Studien geben ihm Recht. Doch Benecke vom Marktforschungs- und Beratungshaus IHS ist anderer Meinung: „Audi unterschätzt die Strahlkraft des Carsharing“. Wer schon einmal einen BMW i3 geliehen hat, findet vielleicht soviel Geschmack an dem Stromer, dass er Freunden zu einem rät oder selbst zum Käufer wird.
Audi hat sein eigenes Konzept: Mit Audi Select kann der Kunde bis zu drei unterschiedliche Modelle im Jahr leasen. Die Fahrzeuge werden geliefert, die Laufzeiten betragen sechs oder zwölf Monate. Für Audi-Chef Stadler die bessere Lösung: „Für einen gewissen Mehrpreis bekommt der Audi-Kunde im Rahmen seines Leasingvertrags diese Flexibilität. Das tut unserer Marke gut und kommt beim Premiumkunden besser an.“
Neue Vertriebswege
Wer am Schluss mit seinem Konzept tatsächlich besser fährt, ist völlig offen. Der Druck, Neues auszuprobieren und mit alten Strukturen zu brechen, wächst in den vergangenen Monaten merklich. So hat Daimler mit MercedesMe ein Online-Portal gestartet, das die internetaffinen Kunden abholen soll. Sogar Bestellungen übers Netz sind dort möglich.
Nur wenige Monate später kündigt Daimler nun an, den Vertrieb in Deutschland umzukrempeln. 36 Vertriebs- und Servicefilialen mit rund 1500 Beschäftigten sollen verkauft werden. Laut Betriebsrat sollen 340 Arbeitsplätze gestrichen werden. Daimler unterhält im Gegensatz zu Audi und BMW werkseigene Autohäuser und tritt jetzt offenbar auf die Kostenbremse.
Aber auch BMW und Audi krempeln den Handel um. Die Ingolstädter haben in Berlin mit Audi City die neue Form des Autovertriebs eröffnet. Riesige Leinwände, auf denen der Kunde sein Fahrzeug konfigurieren und in Echtgröße von allen Seiten betrachten kann. Solche digitalen Showrooms sollen immer mehr die klassischen Glaspaläste in den Gewerbegebieten ablösen.
Offenbar wollen alle Hersteller vermeiden, was sie beim Gebrauchtwagenmarkt versäumt haben. Dort ist ein Großteil des Geschäfts längst ins Internet abgewandert. Beim Neuwagenverkauf übers Netz wollen die Konzerne nun selbst mitmischen.
Das Fazit
Hat einer der drei Hersteller gegenüber seinen Konkurrenten einen massiven Vorteil? Nein. Audi profitiert von Synergieeffekten zur Mutter Volkswagen – Weltvertrieb, Querbaukosten, Kostenstruktur. Bei Innovationen dürften die Ingolstädter wieder etwas mutiger sein, ebenso beim Design, das mittlerweile in die Jahre gekommen ist.
Daimler ist in China auf Aufholjagd und hat sich mit seiner neuen Modellpalette hervorragend positioniert. BMW punktet mit seinem Mut zur Innovation und seinen sichtbar anderen Elektromodellen – macht aber nach wie vor auch im SUV-Segment ein hervorragendes Geschäft.
Wer das Rennen macht?
Wie immer: der schnellste, aber nicht zwingend der beste.