Diesel-Skandal und Kartellverdacht So abhängig ist Deutschland von der Autoindustrie

Die Autoindustrie versorgt Hunderttausende Menschen in Deutschland mit Arbeit. Ökonomen warnen schon länger vor einem Klumpenrisiko. Welche volkswirtschaftlichen Kollateralschäden hat die Krise von VW, Daimler & Co.?

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Was der Diesel-Skandal für Deutschland bedeutet Quelle: dpa

Der deutschen Autoindustrie ist etwas Seltenes gelungen: Seit dem Startschuss Ende des 19. Jahrhunderts, als Carl Benz in Mannheim das Automobil erfand, fährt sie ununterbrochen vorne mit, beim Absatz wie bei der Leistungsfähigkeit der Autos. Heute hat die Autoindustrie in keiner anderen Volkswirtschaft der Welt einen so großen Anteil an der heimischen Wertschöpfung wie in Deutschland.

WirtschaftsWoche Ausgabe 31: Das verratene Autoland

Im vergangenen Jahr erwirtschaftete sie einen Umsatz von gut 400 Milliarden Euro. Damit wurde im produzierenden Gewerbe jeder vierte Euro mit einem automobilen Produkt umgesetzt. Drei Viertel aller Karossen aus Stuttgart, Wolfsburg oder München werden exportiert. Rund 7,7 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung Deutschlands gehen direkt oder indirekt auf die Autoproduktion zurück.

Es ist eine Dominanz, die sich auch am Arbeitsmarkt niederschlägt: Über 800.000 Menschen arbeiten in Deutschland bei Autobauern und Zulieferern. Das sind so viele wie seit 25 Jahren nicht mehr.

Fragen & Antworten: Jedes zweite Kartellverfahren wird durch Kronzeugen aufgedeckt

In mehreren Studien haben Wissenschaftler zudem die indirekten Jobeffekte untersucht. Input-Output-Analysen ergaben für solche mittelbaren Beschäftigungseffekte den Faktor 2,4. „Das bedeutet, dass in Deutschland etwa 1,8 Millionen Arbeitsplätze direkt oder indirekt von der Autoproduktion abhängig sind“, sagt Heinz-Rudolf Meißner, Vorstand der Forschungsgemeinschaft für Außenwirtschaft, Struktur- und Technologiepolitik in Berlin.

In guten Zeiten ist das alles von Vorteil. In schlechten verkehrt es sich ins Gegenteil. Für Ökonom Meißner, der sich seit Jahren mit der Automobilindustrie beschäftigt, stellt die Branche heute ein „volkswirtschaftliches Klumpenrisiko“ dar. Ähnlich wie große Banken seien VW, Daimler & Co. für die deutsche Wirtschaft „systemrelevant“ geworden. Und nun ist er da: der große Crash.

„Die deutsche Autoindustrie hat im Laufe der Jahrzehnte eine starke Sogwirkung auf andere Branchen entwickelt“, warnt auch Christian Rammer, Ökonom am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Das ökonomische Kernproblem ist dabei nicht allein die wirtschaftliche Macht der Autokolosse Volkswagen, Daimler und BMW, die drei umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands.

Vier Fünftel der Wertschöpfung in der Branche entfallen auf Zuliefererbetriebe. Auf der „zweiten und dritten Vorleistungsstufe“, so Rammer, seien „die Hersteller zu wenig diversifiziert“ und die Abhängigkeit von den lukrativen Auftraggebern aus der PS-Branche zu groß geworden. Damit besteht die Gefahr eines volkswirtschaftlichen Dominoeffekts: Eine Existenzkrise der Autokonzerne könnte eine Kettenreaktion bei etlichen kleinen und mittelständischen Betrieben auslösen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%