„Pionierleistung“ nannte VW-China-Chef Heizmann die Volkswagen-Fabrik in Urumqi bei der Eröffnung im August. „Blauäugig“ sei dies, kontert Ümüt Halik. Der Professor für Ökosysteme unterrichtet abwechselnd in Deutschland an der Universität Eichstätt und in seiner Heimat Xinjiang. „Volkswagen hat gute Absichten, ist aber völlig naiv, wie verfahren die Situation ist.“ Xinjiang ist als notorische Unruheprovinz bekannt: 2009 kam es zu Aufständen, die weltweit für Aufmerksamkeit sorgten, damals starben 200 Menschen. Seitdem hat sich die Lage kaum entspannt.
Wie explosiv die Situation ist, zeigt ein Vorfall am 28. Oktober in Peking: Ein Jeep raste in Peking durch eine Absperrung am Platz des Himmlischen Friedens in eine Menschenmenge hinein. Fünf Menschen starben, bei dreien handelte es sich um die uigurischen Insassen, 38 wurden verletzt. Seitdem wurden die Sicherheitsbestimmungen in Xinjiang verschärft. Die Regierung spricht von Terroristen, die in Xinjiang ein islamisches „Ost-Turkestan“ proklamieren wollten. Den vermeintlichen Separatisten werden Verbindungen zur Terrororganisation al-Qaida nachgesagt.
Abdul, ein 28-jähriger Uigure, macht eher einen deprimierten denn fanatischen Eindruck. „Wir werden in unserem eigenen Land diskriminiert“, sagt er und bittet darum, seinen echten Namen nicht zu drucken. Abdul verdient sich sein Auskommen mit dem Übersetzen von englischen Computerfachtexten ins Uigurische. Einen festen Job hat er nicht. Die meisten seiner Altersgenossen seien ohne Arbeit, sagt er. „Wir waren 40 Leute in meiner Abschlussklasse. Sieben davon waren Chinesen. Alle von ihnen bekamen ein Jobangebot, von den Uiguren keiner.“ Abdul kann Dutzende solcher Beispiele aufzählen. Viele Stellenanzeigen seien mit der Überschrift „Keine Uiguren“ versehen, klagt er.
Um sich nicht dem Vorwurf der Diskriminierung auszusetzen, will Volkswagen in Urumqi gezielt Uiguren einstellen. „Erklärtes Ziel ist, dass die ethnische Zuordnung innerhalb der Belegschaft auf allen Personalebenen der ethnischen Verteilung im Großraum Urumqi entsprechen soll“, heißt es bei VW. „Dies wird entsprechend umgesetzt.“ Doch die Betroffenen berichten etwas anderes. „Uiguren arbeiten hier so gut wie keine“, sagt eine Mitarbeiterin am Telefon und bittet, auf keinen Fall ihren Namen zu nennen. Sie hat Angst, ihren Job zu verlieren. Ein uigurischer Werksmitarbeiter erzählt auf dem Nachhauseweg: „Von den 400 Mitarbeitern sind vielleicht zehn Uiguren.“ Der 22-Jährige hat eine dreimonatige Ausbildung in Shanghai absolviert, bevor er bei VW in Urumqi anfing. VW bestreitet die Zahlen und sagt, das Werk befinde sich noch in der Rekrutierungsphase.