WirtschaftsWoche: Herr Glöß, Herr Schilling, Sie sind die Gründer eines Shootingstars im deutschsprachigen Internet. Was ist Heftig.co eigentlich – eine Katzenbilder-Maschine, ein Inhalte-Räuber oder gar die neueste Form des Internet-Journalismus?
Glöß: Nein, ihr Journalisten könnt euch wieder beruhigen. Heftig bedroht nicht eure Existenz. Wir betreiben keinen Journalismus, sondern sind Teil einer Medienrevolution. Was wir hier erleben dürfen, ist der aufregende digitale Strukturwandel in der Medienindustrie. Heftig.co ist hier vielleicht ein Pionier, aber es werden noch viele andere digitale Formate kommen, die die Medienlandschaft umgestalten werden.
Der Schmus, den die Yellow-Press- und Boulevard-Portale verbreiten, reicht nicht?
Glöß: Hier geht es nicht um Trash. Hier sollte man auch nicht so auf die Menschen herabblicken. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich die Journalisten doch sehr weit von der Lebenswelt ihrer Kunden entfernt haben und sich oft über ihre eigentlichen Brötchengeber erheben. Tatsache ist aber, dass der klassische Journalismus und sogar die deutschen Boulevardmedien Millionen von Menschen gar nicht erreichen. Und seitdem sogar die „Bild“-Zeitung so betulich und staatstragend geworden ist, öffnen sich neue Räume, die andere nicht bedienen.
Was sagen Sie zu dem Vorwurf, Sie seien nur ein Klon amerikanischer Herz- und Schmerz-Portale wie Upworthy, Viralnova und BuzzFeed?
Glöß: Wir sind kein Klon! Wir haben verschiedene Plattformen analysiert und dann ganz unterschiedliche Eigenschaften herausgearbeitet, die besonders gut funktionieren. Und diese kombinieren wir dann so, dass sie im deutschen Markt funktionieren. Das ist unser eigener, originärer und innovativer Ansatz.
Aber viele Ihrer Inhalte stammen gerade von jenen ausländischen Portalen. Was sagen Sie zum Vorwurf, Sie würden deren Inhalte stehlen?
Schilling: Wir klauen nicht, wir kuratieren. Das bedeutet: Wir suchen Bilder und Videos, die Nutzer bereits anderswo im Internet der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt haben. Wir durchforsten das ganze Internet, um die besten Storys herauszufiltern, die zu Heftig.co passen.
Ist Heftig.co., böse gesagt, trotzdem nicht eine Parasiten-Web-Site, die andere Internet-Portale aussaugt?
Glöß: Sie haben eines nicht verstanden: Wir befinden uns längst in der Share-Economy. Das sollte nicht nur auf den Podien der Medienkongresse diskutiert, sondern auch mal im digitalen Alltag akzeptiert werden. Unseren leichtfüßigen Posts sieht man die Arbeit nicht an, die drin steckt. Die Storys liegen oft stundenlang unter der Lupe, werden hin und her gedreht, Überschriften verändert, getestet, Bilder ausgetauscht und wieder getestet. Die Beiträge werden so im höchsten Maße auf das Teilen getrimmt. Man nennt das auch Maximum Shareability. Erst nach diesen aufwendigen Testverfahren stellen wir sie auf unsere Web-Seite.
"Wir sind ja hier nicht auf der Akademie der Künste"
Und dabei respektieren Sie die Urheberrechte?
Schilling: Na klar. Man muss aber differenzieren, wir sind ja hier nicht auf der Akademie der Künste. Bei uns geht es, wie gesagt, nicht um Journalismus, sondern um virale Inhalte, also Inhalte, die sich über soziale Netzwerke verbreiten. Es läuft doch in Wirklichkeit so: Die Menschen unterhalten sich bei Facebook miteinander. Wie in einem echten Gespräch schnappt der eine was auf, findet es gut und tratscht es weiter. Diese Inhalte übertragen sich vergleichbar mit Epidemien völlig unkontrolliert. Derjenige, der den Content ursprünglich mal eingespeist hat, freut sich doch, wenn dieser möglichst häufig geteilt und weiterverbreitet wird. Denn er bekommt als Gegenleistung die Aufmerksamkeit. Dieser Nutzer will doch sicher nicht ständig um Erlaubnis gefragt werden, ob seine Botschaft weiterverbreitet werden darf, sondern vor allem als Quelle genannt werden. Das ist ein Riesenunterschied.
Recherchieren Sie überhaupt eigene Stories?
Schilling: Wir wollen in Zukunft den Anteil der selbst entwickelten Storys deutlich ausweiten.
Worauf müssen wir uns denn gefasst machen?
Glöß: Keine Politik, keine Wirtschaft, keine Celebrities. Unsere Fans wollen keine Nachrichten. Sie suchen das Bedeutungsvolle in der Informationsflut. Sie sind sehr neugierig darauf, wie es anderen echten Menschen in vergleichbaren Lebenssituationen ergangen ist. Wie zum Beispiel andere Leute ihre ganz persönlichen Krisen bewältigen, Happy End inklusive. Unsere Fans wollen einfach mit ihrem Facebook-Klick ihr ehrlich empfundenes Mitgefühl ausdrücken. Bei uns geht es also um pure Emotion und Empathie. Wir interessieren uns mehr für die kleinen Geschichten des Alltags, die die Leute berühren und mit denen sie sich auch selber identifizieren können. Wir teilen die kleinen Sensationen des Alltags.
Wird sich diese Mitfühl-Masche nicht irgendwann einmal totlaufen?
Schilling: Es ist ja keine Masche! Das ist ja gerade der Twist, dass Überschriften nicht so klingen wie bei Journalisten. Aber das Entscheidende sind ja die Geschichten dahinter, die unsere Nutzer berühren. Wenn es nur die Überschriften wären, hätten wir ja eben nicht bereits so viele Shares und Likes. Wichtig ist für uns immer, dass die Leute eine Story „heftig“ finden, dann läuft sie auch.
War das die einzige Bedingung, als Sie den Namen für Ihren Dienst gewählt haben?
Glöß: Wir haben natürlich über mehrere Begriffe nachgedacht, hatten aber schnell das Gefühl, dass das am besten die Emotionen beschreibt, die wir mit unserer Seite transportieren wollen. Nämlich Dinge, die die Leute wirklich berühren – die eben „heftig“ sind.
Was sind das für Leute, die auf so etwas abfahren?
Glöß: Das sind, salopp gesagt, Frauen im Alter zwischen 25 und 45 Jahren, die eigentlich nicht medienaffin sind. Was dabei aber sehr wichtig ist: Facebook ist im Gegensatz zu vielen anderen Netzwerken das einzige, das inzwischen fast in allen Alters- und sonstigen sozialen Gruppen sehr tief verbreitet ist.
"Es ist ja auch nicht viel los bei Google+"
Weshalb haben Sie Heftig.co in sozialen Netzwerken gestartet?
Glöß: Weil wir beweisen wollten, dass man auch ohne Google und Suchmaschinenoptimierung eine stark besuchte Internet-Seite aufbauen kann. Das ist ja aktuell in der Feuilleton-Debatte um die Marktmacht von Google ein riesiges Thema. Die Frage lautet doch: Gibt es jenseits von Google digitale Content-Formate und lukrative Geschäftsmodelle, die ohne Google funktionieren. Wir haben mit Heftig.co bewiesen, dass es sogar komplett ohne Google geht. Der gesamte Traffic kommt bei uns von Facebook!
Wollen Sie auch Twitter oder Google+ bespielen?
Schilling: Nein, nur Facebook. Mit den anderen Plattformen haben wir uns nicht sonderlich beschäftigt. Es ist ja auch nicht viel los bei Google+, das wird vor allem für Hangout-Videokonferenzen genutzt. Twitter wiederum hat nicht die Zielgruppe, die wir ansprechen wollen – das ist eher eine kleine Avantgarde.
Warum betrieben Sie diese Geheimniskrämerei zum Start und haben Ihre Identität bis zum vergangenen Dienstag verschwiegen und Ihren Sitz ins südamerikanische Belize gelegt?
Schilling: Wir konnten den enormen Erfolg nicht absehen und hatten ursprünglich ein Experiment vor. Wir wollten in einer diskreten Nische einen Prototyp bauen, ohne dass die Leute mit dem Finger auf uns zeigen. Deshalb sind wir in Belize gelandet, was aber eher Zufall war. Das machen übrigens sehr viele Start-ups so, weil man ja bei uns in Deutschland nicht dabei beobachtet werden will, wenn’s dann doch in die Hose geht. Aber jetzt ist unser Format ausgereift, jetzt kommt der öffentliche Roll-out.
Wie haben Sie Heftig.co finanziert?
Schilling: Bisher haben wir uns aus Eigenmitteln finanziert, und wir haben mit ganz wenig Google-Werbung auf unserer Web-Site experimentiert. Werbung war bisher ein sensibles Thema, denn wir wollten erst einmal die Qualität, also die Reichweite unserer Geschichten, optimieren, nicht die Vermarktung. Das ist jetzt der nächste Schritt nach unserer Öffnung.
Was genau planen Sie da?
Glöß: Wir verhandeln aktuell mit Online-Vermarktern, um das Geschäft mit der Online-Werbung zu professionalisieren – aber langsam und behutsam. Die Werbung muss zu Heftig.co passen, sonst verliert die Seite ihre Authentizität. Unsere Nutzer sind da sicher sehr sensibel. Da muss man aus Gründen der Glaubwürdigkeit sicher auch manches Mal Geld liegen lassen. Da werden wir experimentieren müssen. Mit Versuch und Irrtum, so wie wir das mit dem Inhalt ja auch gemacht haben und weiter machen. Wir sind schon sehr gespannt, welche innovativen Werbeformate da entstehen könnten, und laden alle Kreativen ein, darüber nachzudenken.
"Wir sind sehr optimistisch"
Wieso sollte ein Unternehmen jetzt auch noch bei Heftig.co Anzeigen schalten?
Schilling: Unser Wettbewerbsvorteil liegt darin, dass wir die Nutzer nicht mit Werbung berieseln. In den sozialen Medien laufen ständig Unterhaltungen ab. Und wir liefern direkt in die laufende Konversation relevanten Gesprächsstoff, und zwar ganz nah an die Menschen. Persönlicher geht es nicht. So weit konnten bislang weder klassische Medien noch Werber vorstoßen. Zudem empfiehlt unser Facebook-Freund unseren Inhalt freiwillig einem anderen Facebook-Freund, der diesen Link dann viel persönlicher und wichtiger nimmt als alle von Marken gesponserten Facebook-Postings. Wir drängen uns nicht auf. Wir stören nicht. Wir sind nur da, wenn der Unterhaltung der Gesprächsstoff ausgeht. Deshalb ist die neue Heftig-Währung deutlich wertvoller.
Wenn das so lukrativ für Unternehmen ist, wie Sie behaupten, dann kommen bestimmt auch andere auf diese Idee, zumal es praktisch keine Einstiegsschwelle gibt. Rechnen Sie damit, bald selbst von Nachahmern gejagt zu werden?
Glöß: Die gibt’s ja schon, die sind schon seit zwei, drei Monaten da. Allerdings haben wir mit unseren aktuell 750.000 Facebook-Fans eine viel größere Basis als alle unsere Rivalen zusammen. Und wir gewinnen teilweise so viele neue Fans am Tag hinzu, wie mancher Rivale insgesamt hat. Wir versuchen also, die Klone auf Abstand zu halten.
Benötigen Sie für die weitere Expansion zusätzliche Kapitalgeber?
Schilling: Zunächst geht es uns um Konsolidierung und um Nachhaltigkeit. Wir wollen erst mal sehen, wie weit wir aus eigener Kraft kommen. Wir müssen ja auch erst mal investieren, um dieser ungeheuren Nachfrage und der unglaublich hohen öffentlichen Aufmerksamkeit gerecht zu werden. Hier geht Sorgfalt vor dem schnellen Euro. Wir bitten hier auch um Nachsicht: Wir sind kein Konzern, sondern zwei Gründer, die bisher fast alles alleine gemacht haben und noch im Startblock stehen. Aber wir sind sehr optimistisch, dass wir auch auf der langen Strecke erfolgreich sein werden.
Welche weiteren Vorhaben planen Sie nun, nachdem Sie aus dem Schatten der Anonymität herausgetreten sind?
Schilling: Wir haben jetzt ungeheuer viel gelernt und ein Wissen aufgebaut, das sich sicher auch noch für weitere digitale Formate der Medienrevolution nutzen lässt. Heftig.co ist nur ein Anfang. Weitere Experimente werden folgen. Bevor wir uns anderen Projekten zuwenden, haben wir eine ganz lange Liste an Hausaufgaben abzuarbeiten. Aber wir denken darüber nach, eine Holding zu gründen, um die einzelnen Projekte besser abgrenzen zu können.
Was ist mittelfristig Ihr Ziel – sich von Konkurrent BuzzFeed kaufen zu lassen?
Glöß: Das ist für uns kein Thema. Wir haben in einer Zeitung gelesen, dass BuzzFeed einen deutschen Ableger plant und einen deutschen Chefredakteur sucht. Das hört sich ja stark nach einem journalistischem Format an. Wir fragen uns, ob da noch eins in den deutschen Markt reinpasst. Also wir bleiben lieber bei unserer Positionierung.
Wenn Sie jetzt zufällig neben einem Chef eines großen Verlagshauses im Aufzug stehen: Was würden Sie ihm in diesen 30 Sekunden sagen?
Glöß: Wir sind keine Journalisten. Wir werden dir nichts wegnehmen. Wir erweitern nur die Medienvielfalt mit digitalen Formaten und erreichen Millionen Menschen, die du gar nicht kennst, die wir aber eben kennen. Einen schönen Tag noch.