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Werbung, so können wir nicht weitermachen

Die Werbung ist endgültig im Mittelmaß gelandet. Ikonische Werbung ist nicht mal mehr die Ausnahme, sondern gänzlich von der Bildfläche verschwunden. Der Grund wird Agentur-CEOs nicht gefallen. Eine Kolumne.

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„Eigentlich soll Werbung neue Kunden anlocken, doch diese Clips von Kaufland und Lidl sorgen bei einigen eher für das Gegenteil“, schrieb Der Westen. „Kaufland setzt auf bekannte Gesichter in den Werbespots. Tatort-Schauspieler Jan Josef Liefers und Komiker Olaf Schubert tauchen in das Kaufland-Sortiment ein. Und ‚Let’s Dance‘-Star Motsi Mabuse nimmt die ‚discountbillig‘ Preise genauer unter die Lupe.“ Doch die Promi-Dichte schreckt Kunden ab. Andere wundern sich über die offensichtliche Höhe des Kaufland-Marketingbudgets.

Im letzten Jahr versuchte Lidl Ähnliches und lancierte eine Werbekampagne mit Moderatorin Barbara Schöneberger, Comedian Max Giermann und Schlagerstar Helene Fischer. Der Westen ging auch mit der Kampagne hart ins Gericht: „Es hagelte vernichtende Kritik von den Kunden. Was eigentlich dazu gedacht war, 50 Jahre Lidl zu feiern, entpuppt sich schließlich als echter Flop.“ Früher waren prominente Testimonials in der Werbung eine sichere Sache, eine Gewähr für Kampagnenerfolg. Das ist offenbar vorbei. Oder liegt der Fehler darin, zu großkotzig und mit zu vielen Promis auf einmal aufzutreten?

„So können wir nicht weitermachen“

Was ist nur los mit der Werbung? Die Marketing- und Werbebranche steuert auf ein schwieriges Jahr zu. „Der Konsum als Stütze der Konjunktur fällt derzeit aus“, fasst die Tagesschau das Dilemma zusammen: „Die Bundesbürger halten ihr Geld gerade zusammen, die Kauflaune verbessert sich kaum. Das hat auch mit den Sorgen vieler Menschen zu tun.“ Dass die Bundesregierung ihre Prognose für das deutsche Wirtschaftswachstum für 2024 von 1,3 Prozent auf 0,2 Prozent absenken musste, kommentierte Wirtschaftsminister Habeck mit den Worten: „Das ist wirklich dramatisch schlecht. So können wir nicht weitermachen.“

Mit diesen Worten könnte man allerdings auch eine Analyse der Qualität deutscher Werbung überschreiben. Der langjährige Marktbeobachter und Horizont-Redakteur Santiago Campillo-Lundbeck bringt es in einem Beitrag zur Werbekreation auf den Punkt: „Kampagnen, die einen wirklich ikonischen Moment schaffen wollen, sind sogar noch seltener und meist auf die Weihnachtszeit beschränkt.“

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Ikonische Werbe-Momente sind passè

Er erinnert an ikonische Momente in der modernen Werbung wie Apple mit „Think different“. Apple sei immer auch eine Aussage über die eigene Kreativität gewesen – und über den eigenen Mut, neue Wege zu gehen. Apple stünde dafür, anders zu denken und innovativ zu sein. „Und dieses Markenprofil ist bis heute höchst profitabel: Apple kann für seine Hardware mehr Geld verlangen, einfach nur, weil es Apple-Produkte sind.“ Solche einzigartigen Kampagnen waren im wahrsten Sinne des Wortes ikonisch.

Vereinzelt, bemerkt Campillo-Lundbeck, „gibt es noch Kampagnen, die mehr sein wollen als unterhaltsam, bunt oder einfach nur einprägsam. Wenn Opel den Slogan präsentiert ‚Yes Of Corsa‘, Verivox seinen Verifox singen lässt oder Indeed eine Legende rund um die verwechslungsgeplagte Ingrid schafft, dann ist zumindest die Hoffnung spürbar, dass diese Kampagnen als Sprachwendungen in den deutschen Alltag einsickern könnten.“

Blindlings in die Selbstabschaffung

Wenn Werbung nicht mehr ikonisch sei, sondern nur noch besseres Werbematerial, könne sie nicht mehr – wie seinerzeit Apple – einen Mehrwert erzeugen. Wenn sich daran nichts ändere, dann steuert die Kreativabteilung der Kommunikationsbranche unausweichlich auf ihre Selbstabschaffung zu: „Generative KI wie das frisch von OpenAI präsentierte Sora, macht nun auch das Produzieren von Videos in Zukunft für erfahrene Laien möglich. Wird es sich dann noch lohnen, hochspezialisierte Kreativspezialisten zu finanzieren, die letztlich ihre wahre Stärke nur ein- oder zweimal im Jahr an Feiertagen ausspielen dürfen? Wohl kaum.“

Aus dieser Abwärtsspirale wird sich, so das Fazit, die Werbeindustrie nicht selbst befreien können. Es fehlten in der Branche die großen Namen, die Kunden motivieren könnten, auf große Ideen zu vertrauen. Namen wie Bill Bernbach, David Ogilvy, Leo Burnett, Michael Schirner, aber eben auch Steve Jobs.

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In einer Antwort auf diesen Beitrag fragt Florian Severin, Chef der Agentur WRKSPC: „Wann hat die Werbebranche aufgehört, an die Idee als Treiber des Verkaufserfolgs zu glauben und stattdessen begonnen, sich auf der Media auszuruhen? Wann war der Kippmoment unserer Branche, in der wir beschlossen haben: Idee nur so mittel? Reicht – den Rest macht dann schon der Geldbeutel des Kunden.“

Geplantes und messbares Mittelmaß

Die Lösung ist für Severin einfach: Die „faule Idee“ habe Hochkonjunktur, seitdem die Werbung nicht mehr von den Kreativen selbst entschieden wird, sondern von Buchhaltern. An der Spitze der Agenturen sitzen schon lange nicht mehr Kreative, sondern klassische Manager-Typen und BWLer. Das erkläre das Mittelmaß, das die Agenturen produzieren: „Mittelmaß ist planbar, messbar und damit sicher. Sicherheit wiederum ist ein Garant für Aufstieg. Vom Finanzbuchhalter zum Interims-Abteilungsleiter und schließlich zum CEO.“

Auch er warnt, dass Mittelmaß durch pure Media-Reichweite sichtbar zu machen, dank ChatGPT und Mid Journey längst auch ohne Werbeagentur ginge. Es sei höchste Zeit, sich auf den zweiten Aspekt neben Geläufigkeit zu konzentrieren, der Kreativität ausmacht: Originalität. Traurig genug, wenn Kreative einander heute an solche Selbstverständlichkeiten erinnern müssen.



Werber und die (ungenutzte) historische Chance

Die Kreativen stehen vor einer gewaltigen Aufgabe, wenn sie ihren leck geschlagenen Tanker noch retten wollen. Je schlechter es unserer Wirtschaft geht, desto stärkere Impulse braucht sie von allen Seiten. Die Werbung war schon immer ein starker Antrieb der Wirtschaft und besitzt nun die historische Chance, ihre Fähigkeiten, ja ihre Unverzichtbarkeit zu beweisen.

Da kommt die neue Hornbach-Kampagne scheinbar wie gerufen: „Hornbach hat mit seinen Kampagnen ohne Zweifel Werbegeschichte geschrieben. Heute fügen die Baumarktkette und ihre Agentur Heimat TBWA dieser Geschichte ein weiteres Kapitel hinzu: Diese schlüpfrige Kampagne soll Frühlingsgefühle wecken.“

Mit der Frage „Sind die Werber bei Hornbach und Heimat jetzt endgültig durchgedreht?“ erzeugen sie genau die Aufmerksamkeit, die Kreativität und Originalität erschaffen können. „Das schleimige Etwas, das da an einem Baum hängt, entpuppt sich im wörtlichen Sinne als Herzstück einer etwas verrückten, aber wunderbaren Werbegeschichte, mit der Hornbach die Tradition seiner kreativen Frühjahrskampagnen fortsetzt.“

Arrogant und abgehoben

Aber kaum dachten wir, Hornbach würde die Werbung am Ende noch retten können, kommt Cornflakes-Hersteller Kellogg’s um die Ecke. „Der Kellogg’s-Chef und Multimillionär Gary Pilnick rät armen Familien, Cornflakes zum Abendbrot zu essen, um Geld zu sparen. Die Süddeutsche Zeitung titelt: „Arrogant und abgehoben. Die umstrittene Äußerung ist nur das jüngste Beispiel dafür, wie sehr sich Top-Manager von der Lebensrealität der Menschen entfernt haben.“ Denselben Vorwurf macht man auch Werbern.

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