Die Wertschöpfung entsteht aber bei den digitalen Plattformen. Wie schaffen Sie es, Herr Grube, nicht zurückzufallen?
Grube: Indem wir selbst Plattformen entwickeln und unsere digitale Kompetenz ausbauen, wir uns aber auch an Start-ups beteiligen. Wir verknüpfen schon heute über Qixxit verschiedene Verkehrsträger. Außerdem investieren wir in spannende Start-ups. Ein Beispiel ist Clever Shuttle: Für die letzte Meile bringen wir künftig Kunden mit Elektrofahrzeugen nach Hause. Das Angebot testen wir bereits in München und Leipzig. Es ist günstiger als ein Taxi, weil der Fahrer unterwegs weitere Fahrgäste mitnehmen darf. Die Fahrer besitzen einen Personenbeförderungsschein. Das ist aber nur ein Beispiel von vielen.
Also „Uber der Bahn“?
Grube: Das sind nicht meine Worte. Im Schwarzwald testen wir ein ähnliches Produkt namens Flinc. Wir schicken Fahrzeuge in dünn besiedelte Gebiete, um Kunden an ihr Ziel, beispielsweise zum Bahnhof, zu bringen. Alles mithilfe einer Mobilitäts-App.
Hat die Bahn auf der Schiene eine Zukunft, wenn selbstfahrende Autos Kunden von Tür zur Tür bringen?
Grube: Ja. Die Bahn ist und bleibt das sicherste, schnellste, komfortabelste und effizienteste Transportmittel. Staus auf der Autobahn und in der Stadt bekommen sie auch mit Google-Autos nicht gelöst.
Intelligente IT-Systeme werden Verkehrsflüsse in Zukunft optimal steuern ...
Grube: Da sprechen wir aber über einen Punkt weit in der Zukunft. Autonomes Fahren wird zum Standard, vielleicht 2025, 2030 oder 2035. Wann genau, weiß ich nicht. Aber ich spüre bei jeder Teambesprechung zu dem Thema, dass die Einführung eher früher als später kommen wird. Deshalb lässt sich ja auch die extrem hohe Bewertung von Uber erklären. Aber das autonome Auto wird die Bahn nicht ersetzen. Und Uber …
... das Unternehmen wird gerade mit einem Marktwert von rund 55 Milliarden Euro bewertet ...
Grube: Uber hat eine Vision für ein Geschäftsmodell, das eine Art Brücke zum autonomen Fahren darstellt. Heute werben wir bei der Deutschen Bahn mit dem Spruch: „Diese Zeit gehört dir“, das heißt, wir verkaufen Reisezeit als Qualitätszeit. Wenn das in Zukunft auch autonom fahrende Autos können, dann wird der Betreiber dieser Autos Gleiches über seine Dienstleistung sagen können. Wir werden mit neuen Geschäftsmodellen konkurrieren. Deswegen müssen wir autonom fahrende Autos mit in unser Portfolio aufnehmen. Auch wir arbeiten an Projekten und werden mit Sicherheit in Zukunft Flotten mit fahrerlosen Autos betreiben.
Dann sind aber doch selbstfahrende Autos eine Bedrohung für Ihr Geschäft!
Grube: Nur dann, wenn wir als Deutsche Bahn selber nichts unternehmen würden. Aber das wird nicht passieren. Wir sind ein Mobilitätskonzern, wir investieren in neue Geschäftsmodelle und Angebote. Arroganz und Ignoranz gegenüber neuen Mobilitätsformen wird es bei uns nicht geben. Veränderungen verstehen wir nicht als Bedrohung, sondern als Motor für Fortschritt.
Justus: Wir reden bei dem Thema ohnehin zu viel über Bedrohung und Ängste und viel zu wenig über die Chancen. Jedes Jahr sterben weltweit 1,2 Millionen Menschen bei Verkehrsunfällen, fast immer ist der Mensch schuld. Bei keiner anderen Technologie würden wir solche Unfallzahlen akzeptieren. Maschinen machen weniger Fehler als Menschen. Beim autonomen Fahren sind wir heute noch nicht fehlerfrei, aber da werden wir hinkommen. Die Sensorik verbessert sich, und die Datenverarbeitung wird schneller. Wir werden antizipativ verstehen, was um einen herum vor sich geht.
Der US-Bundesstaat Kalifornien hat weltweit als erste Regierung ein Gesetz auf den Weg gebracht, das autonomes Fahren regulieren soll. Der Inhalt fällt strenger aus als erwartet: Der Mensch muss die Kontrolle über das Fahrzeug behalten. Das Gesetz hat Google nicht gefallen, oder?
Justus: Natürlich müssen Länder Rahmenbedingungen für diese neue Technologie schaffen. Es sind ja fundamentale Fragen zu klären. Wer hat zum Beispiel die Verantwortung bei einem Unfall: der Fahrer oder der Hersteller? Aber wenn jemand in einem selbstfahrenden Auto unterwegs ist, dann will er E-Mails lesen, Musik hören und andere Dinge machen. Wenn der Fahrer wieder die Kontrolle übernehmen muss, ist das nicht intuitiv. Das ist realitätsferne Gesetzgebung, die die Einführung dieser Technologie erheblich erschweren wird.
Und wie soll ein Auto in Zukunft entscheiden, wenn ein Zusammenprall mit der einen oder anderen Menschengruppe unausweichlich ist?
Justus: Das sind Fragen, die wir als Unternehmen nicht beantworten können. Interessanterweise gehen wir fast selbstverständlich davon aus, dass der Fahrer dieses Dilemma besser entscheiden kann. Ich habe meine Zweifel, dass das so ist. Wenn man sich darüber strukturiert Gedanken macht, treffen Maschinen in solch einer Situation bessere Entscheidungen. Davon bin ich überzeugt.
Grube: Die heutige Infrastruktur ist auf autonomes Fahren natürlich noch nicht vorbereitet. Wir bekommen frühestens 2021 den Mobilfunkstandard 5G der nächsten Generation. Erst dann steht eine digitale Übertragungsrate zur Verfügung, die die Kommunikation von und mit Autos ermöglichen würde.