Einzelhandel Drogeriekette Schlecker gerät ins Hintertreffen

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Dirk Roßmann, Chef der Drogeriekette Rossmann

Dirk Roßmann fläzt sich auf seiner grauen Couchgarnitur und lässt den Blick durch das geräumige Büro in der Unternehmenszentrale im niedersächsischen Burgwedel schweifen. Kein Handy klingelt, kein Blackberry surrt, nicht einmal eine E-Mail poppt auf. Roßmann hasst Technik, die ihn nerven könnte. Er philosophiert lieber über den Weltenlauf: Mit der Kultur, gehe es wirklich bergab. Die Menschen würden nur noch arbeiten und sich durchs Internet klicken, aber kaum mehr lesen. 

Er selbst sei ein Büchernarr. Nietzsche und Schopenhauer kann er passagenweise rezitieren. Kürzlich schmökerte er sich durch Uwe Tellkamps Wende-Wälzer „Der Turm“.

Technikabstinenz, Zeit für Philosophie und dicke Bücher – das klingt fast so, als würde sich der 62-Jährige nach 37 Jahren im Drogeriegeschäft auf die Rente vorbereiten. Herr Roßmann, ist Ihnen nach all der Zeit etwa der Kampfgeist abhandengekommen?

Kaum steht die Frage im Raum, federt der Angesprochene in die Senkrechte: „Ganz im Gegenteil. Wie kommen Sie darauf?“ Lacht und legt los: Rund 100 neue Läden wolle er bis Ende des Jahres eröffnen, das Eigenmarkensortiment kräftig ausbauen und nebenher noch den albanischen Markt erobern.

Albanien? Die Idee klingt so abwegig, dass sie funktionieren könnte.

Roßmann kündigte der Frieden zwischen den Konkurrenten

Roßmann liebt ganz offenkundig den Angriff. Das war schon 2004 so. Eigentlich hatten die vier Branchenfürsten ihre Reviere abgesteckt. Müller und dm verkauften Waschmittel und Mundspülung vorrangig im Süden, Rossmann tummelte sich im Norden, nur Schlecker war überall. Doch Roßmann kündigte den Frieden: Er übernahm die ersten Läden der angeschlagenen Kette kd und katapultierte sich damit hinein ins Herrschaftsgebiet der Rivalen.

Der Angriff brachte einen Dammbruch. Müller und dm knöpften sich den Norden vor. Das Erstaunliche daran: Die drei Kontrahenten nahmen sich gegenseitig nicht allzu viele Kunden weg. Ihr dichteres Filialnetz und der eingeleitete Preiskampf ging zuerst zulasten von kleineren Wettbewerbern. In den vergangenen Jahren wurden kd, Idea, Ihr Platz und Kloppenburg von den Marktschwergewichten geschluckt.

Nun schlägt die Expansion der Konkurrenz voll auf den Branchenprimus durch. „Schleckers Vertriebskonzept funktioniert nur, solange es keine Konkurrenz gibt“, sagt Handelsexperte Roeb. Doch durch das Wachstum der Wettbewerber verfügen immer mehr Schlecker-Kunden über Einkaufsalternativen. Zumal sie längst auch bei Aldi und Lidl, Edeka und Rewe ihren drogistischen Grundbedarf decken können.

Wie Schwämme saugen die Wettbewerber die Umsatzströme auf. Eröffnet eine dm- oder Rossmann-Filiale in Schlecker-Nachbarschaft, sinkt die Wartezeit an der Kasse des Marktführers auf Nahe null: Das Geschäft blutet aus. Umgekehrt funktioniert die Kundenwanderung allerdings nicht. „In der Tat spüren wir eine dm-Filiale neben einem Laden von uns stärker“, sagt Roßmann.

Soll wohl heißen: Schlecker stört nicht weiter das Geschäft.

"Schlecker steckt in einer strukturellen Krise“

Und ein Ende dieser Umverteilung zulasten des Marktführers ist nicht in Sicht. Rossmann will die Zahl der Filialen in Deutschland in den kommenden sechs Jahren von 1500 auf rund 2000 steigern. In den nächsten zehn Jahren sieht dm noch Platz für gut 1000 zusätzliche Läden in Deutschland. Und Müller will nach eigenen Angaben immerhin 50 neue Standorte pro Jahr erschließen.

Der Gesamtmarkt wächst, doch Schlecker verliert. Mehr als eine Milliarde Euro Umsatz haben die deutschen Filialen seit 2005 eingebüßt, schätzt Herbert Kuhn, Handelsexperte beim Marktforscher Trade Dimensions. „Schlecker steckt in einer strukturellen Krise.“

Bisher scheinen das Wachstum im Ausland und das florierende Online-Geschäft das Schlimmste zu verhindern. Trotz des Desasters in Deutschland soll der Konzernumsatz im vergangenen Jahr um 6,6 Prozent auf 7,42 Milliarden Euro gestiegen sein. Wobei offen ist, wie der Betrag zustande kommt. Schleckers Bilanzen sind so transparent wie Rasierschaum. „Trauen Sie keiner Zahl, die Sie aus Ehingen hören“, rät Kuhn.

Schlecker leidet unter dem Dilemma, dass das Unternehmen das Massengeschäft braucht, um die darauf ausgerichtete Logistik und Lagerhaltung auszulasten. Die rückläufigen Erlöse verschlechtern aber auch seine Position beim alljährlichen Gefeilsche um Einkaufsrabatte und Zahlungsfristen. Die Lieferanten beginnen zu maulen.

Schlecker ist preislich nicht mehr wettbewerbsfähig

Ungeliebter König: Drogist Schlecker und seine Rivalen

Die Wettbewerber hingegen wachsen dynamischer, können damit bessere Konditionen – und so letztlich auch niedrigere Endkundenpreise – durchsetzen. Erfolgreichen Sortimentslinien, etwa den Bio-Produkten von Alnatura bei dm oder den Rossmann-Eigenmarken, hat Schlecker ohnehin wenig entgegenzusetzen.

Auch die Wirtschaftskrise schlägt bei den Ehingern ins Kontor. Denn der Preis rückt als entscheidendes Kaufkriterium wieder in den Vordergrund. Und anders als das Ladenflair und das selbstverliehene Prädikat „preisberühmt“ vermuten lassen, ist Schlecker inzwischen der mit Abstand teuerste Anbieter. Das zeigt eine Analyse von Ulrich Gallinat, Chef des Berliner Beratungsunternehmens GKL Marketing-Marktforschung.

Bei Aktionsartikeln, die im wöchentlichen Werbefaltblatt angepriesen werden, kann der Drogeriegigant zwar noch mithalten. Gemessen an einem Warenkorb mit über 2000 typischen Drogerieartikeln von der Haarspülung bis zur Babywindel, zeige sich jedoch, dass Schlecker „preislich nicht mehr wettbewerbsfähig ist“, sagt Marktforscher Gallinat. Stattdessen führt dm die Billigliga an und ist im Schnitt 11 bis 14 Prozent günstiger.

Immerhin: Anfang August hat Schlecker einzelne Markenartikel wie Drei Wetter Taft oder Blendax-Zahncreme deutlich reduziert. Ob das reicht, um den Billig-Nimbus wiederherzustellen, ist fraglich. Warum Schlecker seine Einkaufsvorteile nicht ausspiele und aggressiver die Preise drücke, sei ihm schlicht „unverständlich“, sagt sogar Wettbewerber Müller aus Ulm.

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