Club Mate in der Oberpfalz Wie ein Mittelständler IT-Experten in die Provinz lockt

Viele Mittelständler auf dem Land suchen verzweifelt nach IT-Experten. Ein Unternehmen mit vermeintlich altmodischen Produkten findet sie.

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Fachkräfte: Die verzweifelte Suche nach IT-Experten. Quelle: Wolf Heider-Sawall für WirtschaftsWoche

Die Zeiten ändern sich und mit ihnen die Bestellwege. Das Unternehmen Witt verkauft seit 1907 Kleidung für ältere Damen: beigefarbene Miederhosen, Pantoffelschuhe mit Klettverschluss, mehr als 60 verschiedene Kittelschürzen. Früher blätterten die Frauen und Mütter der Republik in ihren Katalogen, um dann zum Telefonhörer zu greifen und dem Kundenservice die Bestellnummer zu diktieren. Heute haben auch die Witt-Kunden das Internet entdeckt. Wenn sie eine Hose oder Schürze brauchen, schalten sie ihr Tablet an – und wischen, scrollen, ordern.

Für Witt ist das ein Problem. Zwar können die Kunden seit 20 Jahren online bestellen, doch das allein reicht heute nicht. Wer passgenaue Angebote machen will, muss die Daten seiner Kunden analysieren. Wer Nutzer auf seiner Seite halten will, muss das Design des Netzauftritts dem Smartphone anpassen. Und wer mehr Kunden anlockt, braucht stabile Server.

Auch ein Versandhändler für Senioren ist auf junge Experten angewiesen, die digitale Codes beherrschen, innovativ sind und experimentierfreudig – also das Gegenteil von Kittelschürzen und Nierenwärmern. Zumal wenn das Unternehmen aus Weiden in der Oberpfalz stammt, einem Landstrich an der Grenze zu Tschechien: nicht gerade das natürliche Habitat deutscher IT-Fachkräfte. Mehr als ein Viertel von ihnen arbeitet nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit in Berlin, Hamburg, Frankfurt oder München. Städte, in denen es nicht nur Jobs in Start-ups und Großunternehmen gibt, sondern auch vegane Imbisse und Smoothiebars.

Vorbildliche Mittelständler

Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY befragt jährlich 3000 Mittelständler. Die sehen den Fachkräftemangel zurzeit als größte Herausforderung – acht von zehn halten es für „eher schwer“ oder „sehr schwer“, qualifiziertes Personal zu finden; mehr als die Hälfte rechnet daher mit Umsatzeinbußen.

Im vergangenen Herbst waren nach Angaben des Branchenverbands Bitkom 51.000 Stellen für IT-Spezialisten vakant, 8000 mehr als im Vorjahr. Im Durchschnitt waren die Stellen 116 Tage unbesetzt.

Neben Unternehmen in den ostdeutschen Bundesländern haben es vor allem Mittelständler in der Provinz besonders schwer, an ausreichend Fachkräfte zu kommen. Wer will schon von Berlin nach Bietigheim-Bissingen ziehen oder von Köln nach Künzelsau?

So erhöhen Mittelständler ihre Attraktivität für Fachkräfte

Diese Zahlen lösen bei manchen Mittelständlern Panik aus. Andere hingegen handeln, und das mitunter kreativ. So verbünden sich viele Unternehmen mit ihren Konkurrenten. Im Münsterland etwa haben sich rund 100 Firmen zusammengeschlossen. Sie betreiben eine gemeinsame Internetseite mit Stellenanzeigen und empfehlen sich gegenseitig Kandidaten. Andere locken neue Mitarbeiter mit einer Unternehmensbeteiligung. Das Kalkül: Was bei Digitalkonzernen wie Twitter, Facebook und Google hilft, kann auch für den Mittelstand nicht verkehrt sein. Das Bielefelder Bauunternehmen Goldbeck etwa beteiligt seine Mitarbeiter, jeder kann pro Jahr bis zu fünf Anteile kaufen. Die jährliche Verzinsung bemisst sich am Unternehmensgewinn und lag 2015 bei 14 Prozent.

Wieder andere versorgen entweder den Partner oder die Familie mit: Die Zahl der Doppelverdiener steigt, und wer zwei auf einmal in die Provinz locken kann, ist bei der Besetzung neuer Stellen klar im Vorteil. Der Autozulieferer Alfmeier aus dem bayrischen Treuchtlingen vermittelt Kontakte zu anderen Unternehmen der Region. Und 230 Kilometer südwestlich offeriert der Textilhersteller Trigema den Kindern der Angestellten automatisch einen Job.

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