RWE-Chef Atomsaurier Jürgen Großmann kämpft um sein Erbe

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Gazprom Vorstandschef Alexej Quelle: dpa

In den Wochen danach wurde es einsam um Jürgen Großmann. Selbst die Chefs der Schwerindustrie an der Ruhr, Großmanns natürliche Verbündete, begrüßten mit einem Mal die Energiewende. Niemand wollte an seiner Seite gesehen werden. Die Kanzlerin zeigte sich mit anderen, und als sie ihrem Minister Ronald Pofalla den Auftrag gab, wegen der gerichtlichen Klagen mit den Energiebossen zu reden, traf Pofalla sich mit Großmann in dessen Hamburger Haus. Es sollte nach einem privaten Besuch aussehen.

Das war die Zeit, als Heckenschützen auf Großmann feuerten, Menschen aus dem Aufsichtsrat von RWE: die Mülheimer Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld, der Landrat Frithjof Kühn aus dem Rhein-Sieg-Kreis. Das Interessante ist, dass jetzt keiner dieser Leute öffentlich über ihn reden will. Sie haben sich verkrochen, bis zur nächsten Attacke. Vielleicht wissen sie, dass es Großmann besonders wehtut, wenn man über ihn redet – und nicht mit ihm.

Mit einem Mal wurde alles, was schiefging, auf Großmann geschoben. Die Aktien von RWE verlieren seit Jahren dramatisch an Wert. Es fehlt nicht viel, dann könnte ein anderes Unternehmen den zweitgrößten deutschen Stromkonzern schlucken. Großmann sucht nach neuen Geldquellen, vielleicht steigt der russische Energiekonzern Gasprom bei RWE ein. Der Atomausstieg bringt Großmann in eine schwer überschaubare Lage.

Großmanns Gleichung geht nicht mehr auf

Der Weg, den Großmann einschlug, schimmerte am Anfang noch grün. Er holte den früheren Hamburger Umweltsenator Fritz Vahrenholt zu RWE und räumte ihm ein Budget für erneuerbare Energien ein, rund eine Milliarde Euro. Während seiner ersten Pressekonferenz als RWE-Chef zwängte sich Großmann in ein Elektromobil, einen Smart. Aber das blieben Experimente. Großmann hat den grünen Energien nicht getraut, er hat geschlafen, und sein Wecker klingelte nicht. Warum auch? Großmann kannte ja die Zahlen. Nichts bringt mehr Geld ein als ein altes Kernkraftwerk. Sogar der Rohstoff Uran kostet fast nichts. Dann kam der 11. März, und Großmanns Gleichung ging nicht mehr auf.

Anfang Juni, während des RWE-Sommerfests in einem Restaurant gegenüber dem Kanzleramt, sprach der Redner Großmann von der Energiewende als "sogenannter Energiewende". So war der Springer-Verlag früher mit der DDR umgegangen.

Großmann dachte viel nach. Er hatte stets die befreienden Augenblicke gesucht, er hat sie selbst geschaffen, die bombastischen Feiern, die Oldtimer-Rallyes, die Abende der explodierenden Fröhlichkeit. Er isst zu viel, er geht zu spät ins Bett, er lacht zu laut, er regt sich zu sehr auf, er arbeitet zu viel, er fährt zu hemmungslos Ski. Er weiß das alles, seine Ärzte und seine Freunde haben ihn oft gewarnt. Sie fürchten, dass sein Leben irgendwann mit einem Knall enden wird.

Unheil hält Jürgen Großmann schwer aus

Wenige Tage vor Jürgen Großmanns Reise nach Japan saß Arnd Großmann im Hobbykeller seines Einfamilienhauses in Oer-Erkenschwick und sagte: "Ich bin stolz, sein Bruder zu sein." Die beiden verstehen sich, äußerlich ähneln sie einander. Arnd ist vier Jahre jünger, sechs Zentimeter kleiner. Er ist Arzt in Recklinghausen. Einmal, erzählte Arnd Großmann, habe ein Patient zu ihm gesagt: "Ihren Bruder habe ich im Fernsehen gesehen. Der ist doch jetzt Filialleiter bei Rewe." Seitdem sagt auch Arnd Großmann Rewe statt RWE. Das macht den Laden sympathischer.

Arnd Großmann war mit auf einer gigantischen Segelregatta über den Atlantik, zu der ihn sein Bruder vor vier Jahren eingeladen hatte, und rechnete hinterher aus, dass jede Minute der zweiwöchigen Tour 20 Euro gekostet hatte. Sein Bruder Jürgen rechnet schon lange nicht mehr. Aber es wäre falsch, sagt Arnd Großmann, Jürgen zu unterstellen, er wolle die Menschen mit seinem Geld zuscheißen. Geld bedeute Jürgen nichts. Er mache die Menschen in seiner Umgebung gleich, indem er die Rechnung übernehme.

Sein Bruder Jürgen, erzählte Arnd Großmann, wäre kein guter Arzt geworden. Jürgen könne kein Blut sehen. Als es mit der Mutter zu Ende ging, erfüllte Jürgen Großmann ihr noch einen Lebenstraum und bezahlte ihr eine Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn von Sankt Petersburg nach Peking. Danach wollte die Krebskranke unbedingt noch weiterreisen, um Seidenstoffe zu kaufen. In einem Krankenhaus in Hongkong lag sie schließlich im Sterben. Ihr Sohn Arnd flog zu ihr und setzte sich an ihr Bett. Als sein Bruder Jürgen anrief, sagte Arnd zu ihm: "Komm nicht hierher. Das ist nichts für dich." Sterbende sind kein schöner Anblick. "Jürgen hat gerne eine heile Welt", sagte Arnd Großmann noch, bevor sein Bruder nach Japan aufbrach. Unheil hält Jürgen Großmann schwer aus.

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