Apple ist das wertvollste börsennotierte Unternehmen der Welt. Es baut im Silicon Valley die schickste Firmenzentrale. Es bunkert Bargeldreserven wie kein zweiter Konzern. Und es zahlt in Irland rekordverdächtig niedrige Steuern – der EU-Kommission zufolge atemberaubende 0,005 Prozent. Freilich: Zumindest der letzte Superlativ wackelt, seit EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager den amerikanischen Konzern ins Visier genommen hat (WirtschaftsWoche 36/2016). Werden die höchsten EU-Gerichte Vestagers Verdikt folgen, dass Apple auf der grünen Insel 13 Milliarden Euro Steuern nachzahlen muss? In Kalifornien scheint man nach Vestagers Vorstoß seltsam nervös zu sein: Plötzlich ist Apple-Chef Tim Cook sogar bereit, einen Teil der Auslandsgewinne in den USA zu versteuern.
Ausgerechnet Cook, der das Steuersparen bisher als Extremsportart betrieben hat und die Benchmark für alle US-Konzerne setzte. Offenbar kündigt sich im Zuge der EU-Beihilfeentscheidungen gegen Apple und andere US-Unternehmen ein Einlenken und Umdenken bei den Amerikanern an. Nicht nur an der Westküste, wo Apple, Alphabet (Google), Amazon, Facebook und viele andere Digitalunternehmen zu Hause sind – Unternehmen, die dank teurer Lizenzgebühren und virtueller Dienstleistungen besonders leicht Gewinne von einem Land ins andere transferieren (und ihre Steuerschuld verringern) können. Auch klassische Industrieunternehmen mischen munter mit beim Steuerversteck-Wettbewerb in den USA. Aber nun mehren sich die Zweifel in Washington, ob das globale Steuersparmodell zulasten des Rests der Welt noch länger aufrechterhalten werden kann.
Tatsächlich hat Washington über viele Jahre darauf verzichtet, die globalen Gewinne seiner Konzerne zu besteuern, solange die nicht nach Amerika fließen. Die Wirtschaft nutzte die Chance beherzt und hat bis heute schätzungsweise zwei Billionen Dollar vornehmlich in karibischen Steueroasen gebunkert (siehe Grafik). Mit diesem Geld haben die Amerikaner eine gewaltige Kriegskasse zur Verfügung, um Konkurrenten in aller Welt auszustechen, sei es beim Kauf von Firmen und Patenten oder auch durch eine aggressive Preisgestaltung.
Steuervermeidung: Wie viel Geld US-Konzerne außerhalb der USA bunkern
Die amerikanische Wirtschaft hat bis heute schätzungsweise zwei Billionen Dollar vornehmlich in karibischen Steueroasen verschoben. Allein das Pharmazie- und biotechnologieunternehmen Gilead Sciences hat 19 Milliarden US-Dollar im Ausland gebunkert.
Quelle: Barron's, Citibank
Stand: Mitte 2015
Noch etwas mehr Bargeld, nämlich 22 Milliarden US-Dollar, hat die Coca-Cola Company im Ausland gebunkert.
Über Bargeldreserven in Höhe von schätzungsweise 28 Milliarden US-Dollar verfügt das Biotechnologieunternehmen Amgen außerhalb der USA.
Auch das Forschungs- und Entwicklungsunternehmen Qualcom mit Sitz im kalifornischen San Diego betreibt eine kräftige Steuervermeidung. Insgesamt 29 Milliarden US-Dollar Bargeld befindet sich außerhalb der USA.
Bei dem weltweit operierenden Pharmazie- und Konsumgüterhersteller Johnson & Johnson sind es 38 Milliarden US-Dollar, die im Ausland gebunkert sind.
Alphabet, das Tochterunternehmen von Google, kommt auf satte 45 Milliarden US-Dollar, die nicht in den USA versteuert wurden.
Noch höhere Bargeldbeträge bunkert der Soft- und Hardwarehersteller Oracle außerhalb der USA: Insgesamt sind es schätzungsweise 48 Milliarden US-Dollar.
Ein weiteres IT-Unternehmen ist ganz vorne dabei, wenn es um Steuervermeidung geht. Cisco bunkert 57 Milliarden US-Dollar außerhalb der USA.
Der Software- und Hardwarehersteller weiß Steuerschlupflöcher noch besser für sich zu nutzen. Ganze 109 Milliarden US-Dollar bunkert Microsoft im nicht-amerikanischen Ausland.
Das wertvollste börsennotierte Unternehmen der Welt bunkert Bargeldreserven wie kein zweiter Konzern. Auf insgesamt 215 Milliarden US-Dollar kommt Apple außerhalb der USA. Zusätzlich zahlt der Konzern rekordverdächtig niedrige Steuern in Irland - der EU-Kommission zufolge atemberaubende 0,005 Prozent.
Gegen diese Art eines unternehmerfreundlichen Fiskalimperialismus, der in krassem Widerspruch zur peinlich genauen Steuerverfolgung von US-Bürgern steht, hat auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) schon vergeblich andiskutiert. Sein US-Amtskollege Jack Lew hörte zwar stets verständnisvoll zu, war aber nie zu Zugeständnissen, geschweige denn zu einer Kurskorrektur, bereit. Selbst das von den G20-Ländern vor einem Jahr beschlossene Projekt zur Bekämpfung von aggressiver Steuervermeidung und Gewinnverschiebung (Beps) schien an der Supermacht abzuperlen – kein US-Unternehmen sollte einen Dollar mehr als nötig an ausländische Regierungen zahlen.
Steueramnestie à la Washington
Im vergangenen Jahr hat US-Präsident Barack Obama einen Vorschlag unterbreitet, wie das Geld, das US-Unternehmen im Ausland lagern, repatriiert werden kann. Statt der üblichen 35 Prozent an Steuern sollten die Konzerne einmalig 14 Prozent an die Bundeskasse zahlen. Der Vorschlag verlief im Sande; die oppositionellen Republikaner blockierten in Senat und Repräsentantenhaus, angefeuert von einer Wirtschaft, die Steuern als Raub denunziert.
Der Brüsseler 13-Milliarden-Euro-Steuerbescheid für Apple ändert nun alles. „Die Europäer greifen nach dem Geld, nicht wir“, erregt sich der Senator von New York, Chuck Schumer, und mahnt: „Wir müssen uns ranhalten.“ Wenn US-Unternehmen schon Steuern auf ihre Gewinne in aller Welt zahlen sollen, dann doch bitte schön in die Schatullen des amerikanischen Fiskus.
Und so könnte die Beihilfeentscheidung der Europäer dem wütenden Apple-Chef sogar in die Karten spielen. Schließlich versucht Cook seit mindestens fünf Jahren – so lange, wie er nun schon als CEO agiert – das im Ausland geparkte Vermögen steuermindernd heimzuholen in die USA. Der Konzernschatz hat sich mittlerweile auf 215 Milliarden Dollar summiert. Natürlich lehnt Apple es ab, 35 Prozent Bundessteuern zu zahlen. Eigentlich wären auch noch 8,8 Prozent Steuer an den Heimatstaat Kalifornien fällig, was Apple jedoch vermeidet, indem es seine im Land befindlichen Barreserven über Nevada verwaltet, das keine Unternehmenssteuern erhebt.
Also werden jetzt doch Obamas 14 Prozent fällig? Wohl kaum. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump hat ein Zehn-Prozent-Steuerschnäppchen ins Spiel gebracht – und auch seine demokratische Kontrahentin Hillary Clinton spricht sich für eine solche Art von Steueramnestie aus, für die Amerikaner zutreffend den Begriff tax holiday verwenden. Der einzige Streitpunkt zwischen den beiden: Was tun mit dem Geldregen? Soll die nächste Regierung ihn zum Abbau der Staatsschulden nutzen oder für Investitionen, etwa in die marode Infrastruktur?
Apple in Zahlen
18,4 Milliarden Dollar – der Gewinn von Apple im Weihnachtsquartal 2015 war auch der höchste, den ein börsennotiertes Unternehmen bislang erzielen könnte. Der Konzern sitzt jetzt auf einem Geldberg von 216 Milliarden Dollar und ist an der Börse über 580 Milliarden Dollar wert.
68 Prozent – so hoch war im letzten Quartal 2015 der Anteil des iPhones am Apple-Umsatz. Das Telefon ist zum entscheidenden Produkt für das Geschäft von Apple geworden. Insgesamt ist weltweit rund eine Milliarde Apple-Geräte im Einsatz, die meisten davon sind iPhones.
110.000 Mitarbeiter hatte Apple zum Abschluss des Geschäftsjahres September 2015. Zehn Jahre zuvor waren es noch 14.800 Festangestellte und gut 2000 befristet Beschäftigte.
Gelingt der Politik das Heimholen der Auslandsgewinne, würde das auch an der Börse gut ankommen. Nicht nur wegen der zu erwartenden zusätzlichen Ausschüttungen an die Aktionäre. Apple, das unter Cook bisher vergeblich nach einem neuen Bestsellerprodukt fahndet, könnte so weitere aufstrebende Unternehmen im eigenen Land zukaufen.
Dass Apple und Co. im Gegenzug Europa und speziell Irland den Rücken kehren, ist derweil unwahrscheinlich. „US-Konzerne werden weiter in Europa präsent bleiben“, sagt Alexander Linn vom Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte, „und Apple wird weiter seine Telefone hier verkaufen.“ Schließlich hat die EU-Kommission den günstigen (regulären) Steuersatz von 12,5 Prozent in Irland gar nicht infrage gestellt. Und mit der seit Anfang 2016 geltenden sogenannten Lizenzbox brauchen Unternehmen für Gewinne aus Patenten und Lizenzen in Irland sogar nur 6,25 Prozent Steuern zu zahlen. Anders gesagt: „Irland bleibt ein sehr attraktiver Standort“, meint Linn.