Aus der weiten Welt

Weniger Kinder - weniger Gewalt?

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Ein globales Phänomen

Wie die Lage in Teheran eskalierte
Das Schild der britischen Botschaft in Teheran ist mit roten Handabdrücken beschmiert. Quelle: dpa
Iranischen Studenten stürmen die britische Botschaft in Teheran. Polizisten versuchen sie aufzuhalten. Die Demonstranten riefen „Tod England“ und „Geh weg, England“. Quelle: dpa
Ein Demonstrant klettert mit einem Portrait von Queen Elizabeth II. über einen Zaun. Quelle: dpa
Iranische Demonstranten stehen auf einer Mauer der britischen Botschaft Quelle: dpa
Demonstranten stürmen die britische Botschaft in Teheran Quelle: dpa
Iranische Demonstranten verbrennen vor der britischen Botschaft die britische Flagge Quelle: dpa
Die Proteste sind eine Reaktion auf verschärfte Sanktionen Großbritanniens gegen den Iran. Quelle: dpa

Dass die Jugenddelle mit einer höheren Gewaltbereitschaft einhergeht, gilt natürlich nicht nur für islamische Länder. Ein Youth Bulge sorgt immer dann für Ärger, wenn die altersbedingt frei werdenden Positionen für die nachrückenden Generationen nicht ausreichen. Dafür finden sich in der Geschichte reichlich Beispiele:

- Deutschland hatte seinen letzten Youth Bulge vor dem Ersten Weltkrieg. Der Kinderanteil lag damals mit etwa 35 Prozent so hoch wie in Pakistan heute. Aus den überdurchschnittlich vielen Jugendlichen rekrutierten sich Heinsohn zufolge die „Straßenkämpfer der Weimarer Republik“. Hitlers Machtergreifung wurde dadurch begünstigt, im Zweiten Weltkrieg starben dann schon häufig die einzigen Söhne. Heute liegt der Anteil der 15- bis 24-Jährigen bei 11,2 Prozent.

- Der Oktoberrevolution in Russland 1917 ging eine Bevölkerungsexplosion voraus, die Einwohnerzahl stieg in den 16 Jahren vor 1913 von 67 auf 90 Millionen.

- In Vietnam kämpften die Amerikaner auch gegen die Demografie: Die Bevölkerung Nordvietnams wuchs in den 20 Jahren vor dem Abzug der Amerikaner um mehr als 50 Prozent auf 47 Millionen. Obwohl Vietnam im Krieg Verluste von insgesamt 1,8 Millionen Soldaten zu beklagen hatte (USA: 50.000), fanden Nordvietnam und der Vietcong genügend Nachwuchs – in jedem Kriegsjahr stieg Heinsohn zufolge die Zahl der kriegstauglichen jungen Männer um 500.000.

- Europas Welteroberung ist ebenfalls nicht ohne das stürmische Wachstum seiner Bevölkerungen erklärbar. Im Mittelalter, nach dem Niedergang des Römischen Reiches, war Europa eher Objekt der Geschichte und musste sich regelmäßig angreifender asiatischer Reiterheere erwehren. Vom 16. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch verneunfachte sich die Einwohnerzahl auf 460 Millionen und machte damit die Eroberungsfeldzüge möglich, die dazu führten, dass die Welt im 19. Jahrhundert unter die Herrschaft von Europäern fiel – jeder vierte Erdenbewohner lebte damals in Europa.

Der Pazifismus des Alterns

Stimmt die Theorie des Youth Bulge, dann ist auch die aktuelle militärische Aufrüstung in China mit anderen Augen zu sehen. Sowohl mit seiner Kinder- wie auch mit seiner Jugendquote liegt China heute weit unter den kritischen Marken. Das war zur Zeit der Kulturrevolution noch ganz anders. Der Anteil der Kinder war während der Kulturrevolution von 34 Prozent 1950 auf 40 Prozent gestiegen, infolgedessen kletterte der Anteil der Jugendlichen in den Achtziger- und Neunzigerjahren bis auf 22 Prozent.

Hätte die KP-Führung nicht Ende der Siebzigerjahre mit der wirtschaftlichen Öffnung die Grundlagen für den langanhaltenden Boom gelegt, wäre China womöglich, wie jetzt ein Teil der islamischen Länder, zu einem Feld gewaltsamer Jugendproteste oder aggressiver Aktionen gegen Nachbarländer geworden. Heute aber, angesichts dramatisch gesunkener Kinderzahlen und der schnellen Alterung der chinesischen Bevölkerung, kann die chinesische Führung nicht einfach die aggressive Karte ausspielen wie einst im Korea-Krieg. Sie muss in ihrer Außenpolitik einkalkulieren, dass militärische Aktionen mit dem Risiko, den einzigen Sohn zu verlieren, in der Bevölkerung auf Unverständnis oder sogar Widerstand stoßen könnten.

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