Daniel Barenboim "Es gibt nur eine humanistische Lösung"

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Energie durch Musik

Daniel Barenboim spielt im Jahre 1999 in einer Berliner Musikkneipe Klavier Quelle: dpa

Die Langfristigkeit der Planung schon eher?

Ich plane nicht nur von der Sängerseite. Wir versuchen für die Stücke, die ich hier an der Staatsoper Berlin verantworte, eine Balance hinzubekommen zwischen dem Kernrepertoire, deutlich weniger bekannten Stücken und Auftragswerken. Es gibt noch viele unbekannte Opern, die es zu entdecken gilt. Vor 30 Jahren kannte kaum einer Janacek-Stücke; heute sind sie überall zu sehen. Aber Verdi und Wagner möchte ich immer wieder machen. Wiederaufnahmen sind ein wichtiger Teil meiner Arbeit.

Haben Sie Schwierigkeiten angesichts der zahlreichen Verpflichtungen, die innere Spannung aufrecht zu erhalten, nicht zu ermüden?

Ich habe immer das Gefühl, dass mir die Musik Energie gibt; jedenfalls raubt sie mir keine. Ich bin tagsüber gelegentlich müde, dann ruhe ich mich aus. Abends, wenn ich beispielsweise eine Bruckner-Symphonie dirigiert habe, fühle ich mich davon erfrischt und bin voller Energie.

Sie sind nach einem Konzertabend entspannt und aufgeladen zugleich?

Absolut. Entspannt allerdings nur, wenn die Aufführung gelungen war. Wenn die Musik einen müde macht, dann soll man es lassen. Arnold Schönberg hat so schön gesagt, dass Musik nicht schmücken, sondern „wahr“ sein soll – und dass Kunst nicht von Können komme, sondern von Müssen. Sicher, jeder von uns hat andere Gene und ein anderes Energie-Level. Auch Ich brauche heute mehr Zeit als früher, um wieder physische Energie aufzubauen. Ich ruhe mich aus, bevor ich abends dirigiere; das war früher nicht so notwendig. 20 Minuten kurzer Schlaf und ich war wieder wie neu. Nun beobachte ich den Rhythmus meines Körpers genauer. Aber die Musik selbst gibt mir nur Energie.

Sie haben als Pianist begonnen, dann stand das Dirigieren im Vordergrund; heute machen Sie beides. Wie viel Zeit lässt ihnen das Dirigieren zum Klavier spielen?

Als ich jünger war, konnte ich schnell hin und her springen zwischen beiden Tätigkeiten. In meiner Zeit in Chicago [1991 – 2006] habe ich vier Konzerte die Woche dirigiert und konnte ohne große physische Mühe noch ein Klavierkonzert dirigieren. Jetzt sind die Muskeln nicht mehr so gut in Schuss wie mit 20. Deswegen trenne ich beide Aktivitäten.

Wann und wo kann man Sie bald mal wieder als Pianisten erleben?

Ich habe ein Schubertprojekt bei den Salzburger Festspielen akzeptiert. Drei Klavierabende. Vorher habe ich zwei Wochen Zeit für die Erarbeitung. Vom Kopf her könnte ich das sicher auch zwischendurch spielen, aber physisch muss ich das heute gut vorbereiten.

Wann beginnen Sie mit der Vorbereitung für eine Opernpremiere oder einen Konzertabend?

Ich studiere die Partituren nie kurz vor einer Aufführung, das heißt: Die Vorbereitung für das übernächste Projekt beginnt, wenn ich kurz vor dem aktuellen stehe. So habe ich mein ganzes Leben gearbeitet: Abends Beethoven-Sonaten gespielt, tagsüber Debussy studiert. Es bringt nichts, ein großes Werk einen Tag vor dem Konzert zu studieren.

Wieso nicht?

Ich bin überzeugt, dass man Musik anders und besser lernt, wenn man länger Zeit dafür hat. Das gilt auch für die Orchesterarbeit. Wenn ein neues Stück geprobt wird, ist es besser, dass vier Proben á drei Stunden nicht auf zwei, sondern auf vier Tage verteilt sind, damit die Musiker die Gelegenheit haben, die jeweilige Lektion zu verdauen. Deshalb bin ich auch so sehr interessiert daran, mit Orchestern langfristig zu arbeiten und meine Tätigkeit als Gastdirigent zu beschränken. Wir haben den Bruckner-Zyklus mit der Staatskapelle zwei Jahre lang vorbereitet. Opernorchester sind mit einer solchen Langfristigkeit übrigens besser vertraut als Sinfonieorchester, weil sie viel öfter Repertoire-Stücke erneut aufgreifen - und das einmal Gelernte rasch wieder erinnern.

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