Fack ju Noten! Privatschulen boomen – für wen lohnt sich der Wechsel?

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Gar nicht so furchtbar alternativ

In der Zehlendorfer Anne-Sophie-Schule nennen sie vor allem ein Wort, wenn sie die Besonderheit ihres Lernmodells beschreiben sollen: Selbstständigkeit. Jedes Kind hat seinen eigenen Schreibtisch in einem Lernbüro, das aussieht wie ein Co-Working-Space in San Francisco. In einem Rollcontainer verstauen die Schüler Laptop, Tablet-Computer und Schreibzeug. Für Gruppenbesprechungen stehen sogenannte Inputtheken bereit. An diesen ovalen Stehtischen werden auch die Unterrichtseinheiten absolviert. „Die Kinder sind viel konzentrierter, wenn sie sich nicht in ihre Stühle lümmeln können“, sagt Lehrerin Lange. „Besprechungen, die im Stehen abgehalten werden, sind kürzer und effektiver.“

Schüler an Privatschulen. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Ansonsten aber steht die Zehlendorfer Schule für einen Typ Alternativschule, der gar nicht so furchtbar alternativ sein möchte. Anders ist lediglich der Anspruch, all das besser zu machen, was in der Regelschule vermeintlich falsch läuft. Deshalb wirbt die Schule mit kleinen Klassen, motivierten Lehrern, toller Infrastruktur. Diesen Unterschied lassen sich Eltern etwas kosten, zwischen 100 und 890 Euro zahlen sie im Monat. Trotzdem reicht das nicht. Jährlich fließen mehrere Millionen Euro vom Träger der Schule, der Würth-Stiftung, in die Zehlendorfer Einrichtung.

So steht es um die deutsche Bildung
Ein Studium und eine gute Berufsausbildung zahlen sich in wirtschaftlichen Krisenjahren besonders aus. So gibt es für Akademiker und Meister in Deutschland laut dem aktuellen Bildungsbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nahezu Vollbeschäftigung. Nur 2,4 Prozent von ihnen waren in der Bundesrepublik 2011 erwerbslos - während es im Schnitt der 30 wichtigsten OECD-Industrienationen 4,8 Prozent waren. Aber selbst für EU-Krisenländer wie Griechenland und Spanien gilt: Je höher die Qualifikation, desto niedriger die Arbeitslosenquote. Quelle: dpa
Laut dem Bericht ist die Zahl der Studienanfänger in Deutschland zwischen 2005 und 2011 von 36 auf 46 Prozent eines Altersjahrganges gestiegen - im Schnitt der anderen Industrienationen im gleichen Zeitraum von 54 auf 60 Prozent. 28 Prozent der jungen Deutschen zwischen 25 und 34 verfügen über einen akademischen Abschluss (OECD-Schnitt: 39 Prozent). Quelle: dpa
Als besonders positiv für die Bundesrepublik wird der überdurchschnittliche Anstieg der Studienanfängerzahlen in naturwissenschaftlichen und technischen Fächern herausgestellt. Und bei den Abschlüssen in diesen Disziplinen dringen zunehmend Frauen nach vorn: So ist in den Naturwissenschaften der Anteil der weiblichen Absolventen innerhalb von zehn Jahren von 27 Prozent auf 42 Prozent (2011) gestiegen. Quelle: dpa/dpaweb
Viele Akademiker lohnen sich auch für den Staat: Pro ausgebildetem Akademiker erhält der Staat in Deutschland über das gesamte Lebenseinkommen gerechnet im Schnitt 115.000 Euro mehr an Steuern zurück als er in die Studienkosten investiert hat. Erstmals hat der OECD-Bericht auch Nebenaspekte wie die Gesundheit von unterschiedlich gebildeten Bevölkerungsgruppen untersucht. Danach neigen Akademiker seltener zu Fettsucht und rauchen auch deutlich weniger. Quelle: dpa/dpaweb
Und eine gute Ausbildung zahlt sich aus: Akademiker verdienten 2011 nahezu zwei Drittel mehr als Absolventen einer Lehre. Im Jahr 2000 waren dies erst 40 Prozent mehr. „Bei Spitzenqualifikationen hat die Bundesrepublik nach wie vor Nachholbedarf“, sagte OECD-Experte Andreas Schleicher. Dies schlage sich auch in den hohen Gehälter für Akademiker nieder. In Deutschland ist der Einkommensunterschied zwischen Akademikern und beruflich ausgebildeten Fachkräften in den vergangenen zehn Jahren laut OECD sprunghaft gestiegen, und zwar um 20 Prozentpunkte. Das ist mehr als in jeder anderen Industrienation. Quelle: dpa
Doch auch eine sehr gute Ausbildung schützt nicht vor Gehaltsunterschieden: In Deutschland verdienen Frauen nur etwa 74 Prozent des Gehalts der Männer. Besonders deutlich wird der Unterschied bei Spitzenfunktionen. So erhalten 43 Prozent der Männer mit akademischer Qualifikation mehr als das doppelte des Durchschnittseinkommens. Bei den Frauen sind dies hingegen nur 11 Prozent. Als eine mögliche Begründung verweist der Bericht darauf, dass 56 Prozent der Frauen mit akademischem Abschluss nur Teilzeit beschäftigt sind, während dies nur für 19 Prozent der Männer gilt. Quelle: dapd
Bei den Doktorarbeiten liegt Deutschland im weltweiten Vergleich an der Spitze. 2,7 Prozent eines Altersjahrganges schließen ihre akademische Ausbildung mit einer Promotion ab. Nur in der Schweiz (3,2 Prozent) und Schweden (2,8) werden mehr Doktorhüte vergeben. Quelle: dpa

Nicht anders, nur besser

Privatschulen vom Typ Anne-Sophie sind vor allem etwas für diejenigen Eltern, die ihren Kindern zwar das Beste zukommen lassen wollen, aber im Kern nicht an den Methoden des traditionellen Schulsystems zweifeln: lernen und Prüfungen bestehen.

Auch die Phorms-Schule, ein paar Kilometer vom Zehlendorfer Einkaufszentrum entfernt, funktioniert nach diesem Prinzip. Wer hier den Unterricht besucht, dem fällt vor allem eins auf: die außergewöhnlichen Sprachkenntnisse der Schüler. Am ersten Schultag sitzen die Schüler der neunten Klasse zusammen, der Lehrer fragt nach Ferienerlebnissen. Ein Junge erzählt in perfektem Englisch von drei Wochen Surf-Urlaub in Kalifornien. Wie die meisten Schüler, die auf die Phorms-Schule in Berlin-Mitte gehen, ist auch er zweisprachig aufgewachsen. Viele Kinder haben mit ihren Eltern bereits im Ausland gelebt oder sind wegen der Arbeit ihrer Eltern nach Deutschland gekommen. Auch die Hälfte der Lehrer kommt aus dem Ausland. „Ein Kanadier unterrichtet anders als ein Deutscher“, sagt Marc Vehlow, Leiter des Gymnasialzweigs. „Die Kinder erleben so kulturelle Vielfalt.“

Kleine Gruppen, helle Räume: Eine Klasse der Freien Schule Anne-Sophie. Quelle: Max Lautenschläger für WirtschaftsWoche

Trotz der Elternbeiträge fährt die Phorms Education SE, zu der deutschlandweit neben den beiden Berliner Standorten sechs weitere Schulen gehören, Jahr für Jahr Verluste ein, auch die Berliner Einrichtung ist nur zur Hälfte ausgelastet. „Die Idee, aus dem Betrieb von Schulen ein Geschäftsmodell zu machen, ist in Deutschland weitgehend gescheitert“, sagt Stephan Köppe, Bildungsforscher an der Universität Dublin. Gerade ist sein Buch „Wohlfahrtsmärkte“ erschienen, darin vergleicht er Renten- und Bildungsmärkte in Deutschland, Schweden und den USA. Sein Fazit zu Deutschland: „Der private Bildungssektor wächst zwar rasant, ein echter Markt wird daraus so schnell trotzdem nicht.“ Zwei Standorte hat Phorms wieder aufgegeben, auch die wenigen anderen Anbieter wachsen nicht sehr dynamisch. Der TÜV Rheinland betreibt insgesamt vier Schulen in Görlitz, Dresden, Gera und Leipzig, der Stuttgarter Klett-Verlag hat sich mit dem Schweizer Bildungskonzern Kalaidos zusammengetan, unter dem Label Swiss International School versucht man Unternehmen dafür zu gewinnen, an ihren Produktionsstandorten Privatschulen zu errichten, um deren internationale Manager zu versorgen. Fünf davon gibt es bundesweit.

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