Zwischen 300 und 400 Bewerbungen gehen jedes Jahr an der Evangelischen Schule ein. Da aber Kinder, die schon die dazugehörige Grundschule besucht haben, bevorzugt werden, gibt es weniger als zehn freie Plätze für Externe. Das druckbefreite Lernmodell überzeugt offenbar viele Eltern. Statt Mathe und Deutsch stehen dann Fächer wie „Verantwortung“ auf dem Stundenplan.
Für Linda beginnt gleich nach den Ferien die zweite „Herausforderung“. Mit drei anderen Schülern will sie mit dem Rad von Berlin nach Usedom fahren. Begleitet werden sie von einem Betreuer, den sich die Gruppe selbst suchen musste. Das Budget: 150 Euro pro Kopf. Davon müssen sie alles bezahlen – vom Essen bis zum Schlafplatz. „Die Kinder kommen total verändert wieder“, sagt Margret Rasfeld, Direktorin der Schule. „Sie sind mutiger, haben gelernt, Entscheidungen zu treffen und Konflikte zu lösen.“
Was Schüler in der neunten Klasse können sollen
Es ging um die Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften (Biologie, Chemie, Physik) – und zwar über alle Schulformen hinweg. In Mathematik wurden sechs Kompetenzformen aus dem gesamten Spektrum mathematischen Arbeitens untersucht, wie „Probleme mathematisch lösen“ aber auch „Raum und Form“ sowie „Daten und Zufall“. In den Naturwissenschaften ging es vor allem um Grundbildung, aber auch um fachübergreifendes Problemlösen.
Die Aufgaben wurden auf der Grundlage der von den Kultusministern für alle Bundesländern verbindlich eingeführten Bildungsstandards für diese Fächer entwickelt – unter Mitwirkung von Schulpraktikern. Bildungsstandards beschreiben, was ein Schüler am Ende einer Jahrgangsstufe können soll. Sie gelten für Lehrer als pädagogische Zielvorgabe und haben damit die zuvor in allen Bundesländern unterschiedlichen Lehrpläne abgelöst.
Die Untersuchung fand vormittags in der Schule statt und dauerte jeweils etwa dreieinhalb Zeitstunden (inklusive Pausen). Hinzu kamen anschließend Interviews mit Schülern, Fachlehrern und Schulleiter über die Lernbedingungen.
Der „Klassiker“ ist die weltweite PISA-Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Des weiteren gibt es noch die internationale IGLU-Grundschulstudie und die internationale TIMSS-Untersuchung mit den Schwerpunkten Mathematik und Naturwissenschaften – sowohl für die Grundschule als auch für die achten Klassen. Allerdings haben die Kultusminister bei PISA und IGLU die zuvor üblichen Bundesländervergleiche gestoppt. Deutschland macht zwar bei den internationalen Studien weiter mit, aber nur noch mit einer kleineren nationalen Stichprobe – etwa 5000. Dies ermöglicht kein Bundesländer-Ranking.
Darüber lässt sich nur spekulieren: Die Kultusminister können die politisch brisanten Bundesländervergleiche auf der Basis ihrer eigenen vereinbarten Bildungsstandards sicherlich besser steuern. Auch das IQB arbeitet im Auftrag der Kultusministerkonferenz. Zuvor war es vor allem mit den internationalen PISA-Forschern der OECD wegen der ungünstigen deutschen Chancengleichheitswerte und der Schulstrukturfrage immer wieder zu Konflikten bei der Interpretation von Daten gekommen.
Überraschend ist, dass neben allen ostdeutschen Ländern diesmal aus dem Westen nur Bayern und Rheinland-Pfalz durchgängig gut abschneiden. Mathematik und Naturwissenschaften waren eine Domäne der DDR-Schulen. Auf die Fachlehrerausbildung legte man hier besonderen Wert. Auch spielen die Naturwissenschaften auf den Stundentafeln der ostdeutschen Schulen heute noch eine größere Rolle als im Westen.
Die Studie belegt erneut die erschreckend hohe Abhängigkeit von Bildungserfolg und sozialer Herkunft in Deutschland. Neuntklässler aus der Oberschicht haben gegenüber Gleichaltrigen aus bildungsfernen Schichten einen Lernvorsprung in Mathematik von fast drei Schuljahren.
Bildungsexperten raten seit Jahren, nicht ganze Bundesländer miteinander zu vergleichen, sondern besser Regionen mit ähnlichen Wirtschaftsstrukturen und Problemlagen. Also etwa Berlin mit dem Ruhrgebiet, wegen der hohen Ausländerquoten unter den Schülern, oder ländliche Gebiete im Osten Deutschlands mit denen im Westen, wegen Abwanderung und Bevölkerungsrückgang.
Die Evangelische Schule ist Teil des Netzwerks alternativer Schulen, rund 100 Einrichtungen unterrichten bundesweit nach ähnlichen Konzepten. Es sind vor allem solche Alternativschulen, denen der gesamte Privatschulsektor sein Wachstum zu verdanken hat. Mal werden Eltern aktiv, weil sie mit der Auswahl vor Ort unzufrieden sind. Gerade in den ostdeutschen Bundesländern sind es oft Elterninitiativen auf dem Land, die eigene Schulen gründen, wenn der Staat sich angesichts sinkender Schülerzahlen komplett zurückzieht. Anderswo ziehen die Alternativschulen Kinder an, weil sie auch denen eine Chance geben, die mit dem Leistungsdruck des staatlichen Systems nicht klarkommen. Das erklärt zum Beispiel die verhältnismäßig große Verbreitung der Schulen im Pisa-Wunderland Bayern, wo die strengen und bindenden Lehrerempfehlungen vielen Kindern den Weg aufs Gymnasium versperren und es zugleich wenig Alternativen innerhalb des Systems gibt.
Noch funktioniert das Miteinander
NRW-Ministerin Löhrmann bleibt erstaunlich gelassen angesichts des rapiden Wachstums der privaten Konkurrenz. „Privatschulen sind eine Ergänzung zu den staatlichen Schulen, sie bringen neue Ideen in das gesamte System“, sagt die grüne Schulministerin. Manche ihrer Kollegen sehen den Trend mit deutlich mehr Skepsis: In Thüringen und Sachsen kappten die Landesverwaltungen jüngst die Zuschüsse für private Schulen, wurden aber vom Verfassungsgericht zurückgepfiffen. Den Boom der privaten Bildung sieht Löhrmann vor allem als Zeichen wachsenden Verantwortungsbewusstseins: „Die Eltern von heute treffen für ihre Kinder sehr bewusste Entscheidungen, was die Schulwahl angeht. Sie wollen nichts dem Zufall überlassen.“
Vielleicht liegt diese Gelassenheit auch an Löhrmanns persönlicher Geschichte. Als Kind war sie selbst auf einem privaten Mädchengymnasium, erinnert sich gern daran zurück. „Ich habe eine schöne Schulzeit gehabt“, sagt Löhrmann, „es war aber auch nicht viel anders als an einer normalen Schule – abgesehen davon, dass es dort nur Mädchen gab.“ Genau diese Selbstverständlichkeit predigt Löhrmann auch für den Wettbewerb zwischen staatlichen und privaten Schulen. „Privatschulen haben die Möglichkeit, schneller Dinge auszuprobieren“, sagt Löhrmann, „wir müssen deshalb die Offenheit bewahren, gute Ideen von dort an staatliche Schulen übernehmen zu können.“