Hartz IV Warum sich Arbeit für viele nicht mehr lohnt

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Wie lange aber hält ein Sozialsystem, in dem immer weniger Beschäftigte immer mehr Transferbezieher alimentieren müssen? In einer neuen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft hat die Sozialwissenschaftlerin Waltraut Peter untersucht, wie sich Sozialleistungsbezug und Erwerbstätigkeit zwischen 1992 und 2007 entwickelt haben. Dabei geht es nicht nur um Hartz IV, sondern auch um andere Leistungen wie Renten, Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld. Ergebnis: Während die Erwerbstätigenquote um 3 Punkte auf 40,7 Prozent schrumpfte, stieg der Anteil der Leistungsempfänger um 6,5 Punkte auf 37,8 Prozent. In diesem Jahr, so Peters Fazit, sei es „möglich, dass der Abstand beider Quoten auf null schrumpfen wird, sodass statistisch auf jeden Erwerbstätigen ein Sozialleistungsempfänger kommt.“

Familie rentiert sich nicht

Berechnungen der WirtschaftsWoche zeigen, wie wenig sich ein Vollzeitjob für Kleinverdiener wie Verkäuferinnen, Putzkräfte oder Arbeiter rentiert, wenn sie Familie haben. Für einen Gebäudereiniger etwa, der 1419 Euro brutto monatlich verdient, ist eine Vollzeitstelle ein schlechtes Geschäft. Wer verheiratet ist und ein Kind hat, bringt es netto mit Kindergeld gerade einmal auf 1316 Euro im Monat. Ein Langzeitarbeitsloser mit gleicher Familiengröße darf in München mit 1510,65 Euro Stütze rechnen. Wenn er zwei Kinder hat, mit 1844,80 Euro. Bei drei Kindern überweist der Staat gar 2163 Euro. Kleinverdiener haben nur eine Möglichkeit, sich finanziell insgesamt wieder besser zu stellen als die Erwerbslosen: Indem sie sich selbst auf den Weg zum Amt machen, um ihr Haushaltseinkommen mit Hartz IV aufzustocken.

Wie viel der Staat einem Langzeitarbeitslosen für Miete und Heizung überweist, hängt dabei nicht nur von der Kinderzahl, sondern auch vom Wohnort ab. Die „Kosten der Unterkunft“ sind Sache der Kommunen, und die legen selbst fest, was als „angemessene“ Miete gilt. Dabei kommt es zu erstaunlichen Differenzen. In Gelsenkirchen überweist das Jobcenter Alleinstehenden durchschnittlich 321,65 Euro für ihre Unterkunft. In Berlin darf die Single-Warmmiete 366,86 Euro kosten. Und in München, der Hochburg angespannter Wohnungsmärkte, stellt das Jobcenter im Schnitt 518,27 Euro für eine Single-Wohnung zur Verfügung. Dabei orientiere man sich „streng am Mietspiegel“, sagt ein Sprecher der Behörde.

Hartz-IV-Betrug steigt

Dahinter steckt die Philosophie, dass der Staat sich nach den Bedürfnissen der Arbeitslosen zu richten habe – und nicht etwa umgekehrt. Wehe, wer diesen Konsens infrage stellt. In keiner anderen sozialpolitischen Debatte lauern derart viele Tretminen wie bei der Frage, wie unsere Gesellschaft mit Menschen umgehen soll, die vom Geld der anderen leben müssen.

Keine Statistik weist aus, wie viele der Hartz-IV-Empfänger unverschuldet in die Krise schlitterten und verzweifelt um einen neuen Job kämpfen – und wie viele sich trickreich durch das Dickicht der Sozialgesetze schlängeln. Schon die Debatte darüber gilt als politisch inkorrekt. Als der hessische Ministerpräsident Roland Koch in der WirtschaftsWoche forderte, wer Hartz-Leistungen beziehe, müsse dafür arbeiten, brach ein Sturm der Entrüstung los. Als die Bundesagentur für Arbeit wenig später meldete, die Fälle von Leistungsmissbrauch im Hartz-IV-System seien 2009 um 1,8 Prozent auf 165.000 gestiegen, war die Erregung spürbar geringer.

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