Der Papst hat Otto Gies nicht beeindruckt. Jedenfalls will er sich das nicht anmerken lassen. Ein ganz normaler Mann sei Franziskus, sagt Gies, eine halbe Stunde nachdem er den Vatikan verlassen hat: die Baumwollsoutane, der Fischerring, natürlich. Ansonsten: bescheiden, zurückgenommen, freundlich. Das sind die Adjektive, die Gies einfallen, während er an der Hotelbar in Rom cappuccinorührend über seine Begegnung mit Gottes Stellvertreter auf Erden nachdenkt.
Eigentlich war Otto Gies natürlich doch aufgeregt. Furchtbar aufgeregt sogar. Denn der Papst – das ist auch für ihn, den hessischen Protestanten, etwas Besonderes. 28 Jahre lang, bis zum Dezember 2016, war Gies Unternehmer. Er führte die Geschäfte der Hamburger Firma 3B Scientific. Eines Mittelständlers, der in über 100 Ländern für seine medizinischen Lehrmaterialien berühmt ist: für mannshohe Skelette und lebensecht aussehende Schädel aus Kunststoff etwa. Er hat Karriere gemacht mit diesen Plastikgerippen. Und keine schlechte.
Von dem Geld, das sich so im Laufe des Unternehmerlebens ansammelte, konnte und wollte Gies immer schon etwas abgeben: an Waisen in Vietnam, als Pate an einen Flüchtling in Deutschland, als Spender an die Unesco, World Vision oder die Kindernothilfe. Sein Traum aber war es schon lange, eine eigene Stiftung zu haben. Ein Traum, den er sich nun, da er im Ruhestand ist, endlich erfüllt hat.
Checkliste: So finden Erben Schweizer Konten
Die wichtigste Regel: schnell handeln. „Ist Geld abgehoben oder überwiesen worden, kann es sehr schwierig sein, es wieder zurückzuholen – selbst wenn der Anspruch des Erben unstrittig ist“, sagt Herbert Notz, dessen Agentur Vermögen im Ausland aufspürt. Und so geht’s:
Erben müssen der Bank einen Erbschein schicken, manche Banken verlangen zudem eine Sterbeurkunde im Original. Um zu wissen, was nötig ist, sollten Betroffene vorher nachfragen.
Im Anschreiben sollten Sie der Bank die Gründe nennen, die den Verdacht bestätigen, dass der Verstorbene dort ein Konto hatte. Wer nur vage Vermutungen liefert, muss damit rechnen, dass seine Anfrage nicht bearbeitet wird. Denn Anfragen ins Blaue hinein verstoßen gegen Schweizer Recht.
Vermögensfahnder Notz rät deshalb zu klaren Aussagen – zum Beispiel, dass der Verstorbene von einem Konto berichtet oder regelmäßig mit der Bank telefoniert hat. Bei der Frage, was als Indiz ausreicht, bleibt Banken jedoch ein Ermessensspielraum.
Bisweilen schicken Banken verschwurbelte Antworten, in denen es etwa heißt, dass „aktuell keine aktive Kundenbeziehung“ besteht. Das kann aber bedeuten, dass der Verstorbene vor seinem Tod sehr wohl Kunde war. Deshalb rät Notz, sich von der Bank nicht mit Juristen-Kauderwelsch abspeisen zu lassen, sondern nachzuhaken.
Die „Crossroads Foundation“ ist auch der Grund, warum Gies an diesem Wintermorgen den Papst besucht – der Kontakt kam durch seinen Mittelstandsverband BVMW zustande. Also hat Gies daheim geübt, sich richtig zu verbeugen. Schließlich gab es nach dem Benefizkonzert für Obdachlose noch ein Treffen mit seiner Heiligkeit – inklusive Handkuss.
Eine Million Euro hat Gies in sein Stiftungsprojekt gesteckt. Sein Erbe. Und von nun an auch: sein Vermächtnis. „Meine Kinder sind für ihr eigenes Schicksal verantwortlich“, sagt der 65-Jährige. Seiner Familie und ihm gehe es gut. Das Geld werde dort gebraucht, wo es Not gebe und seine Hilfe nötig sei.
Jedes Jahr, so schätzen Statistiker, wird in Deutschland ein Vermögen von 250 Milliarden Euro vererbt. Allein bis 2020 also wird es rund eine Billion Euro übertragen. Es ist der kaum vorstellbare aufgetürmte Reichtum seit den Wirtschaftswunderjahren, multipliziert mit Fleiß und Sparergeist.
In einem Wahljahr wie diesem ist es unvermeidlich, dass über diesen Wohlstand gesprochen wird. Wobei – gesprochen? Eine viel zu harmlose Formulierung: Dieses Geld wird von Politikern problematisiert und instrumentalisiert, entweder gehasst oder geschützt, von links als Erbsünde der Ungerechtigkeit gebrandmarkt oder von rechts als Schutzkapital deutscher Arbeitsplätze geheiligt. Vergessen werden in dieser Debatte Menschen wie Gies: Stille Wohlhabende im Land, die dem alten – allzu oft nur so dahingesagten – Wort vom Eigentum, das verpflichtet, ihre ganz eigene Prägung beifügen: als Vermögen, das sie dazu befähigt, die Nachwelt ein kleines bisschen besser zu machen.
Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen katalogisiert diesen Geist jährlich in einem umfangreichen Spendenalmanach. Es gibt dort verlässliche Zahlen für einen Teilbereich, mit dem man sich dem Ganzen gut nähern kann: Noch 2002 vermachten die Deutschen allein den Organisationen, die das geprüfte Spenden-Siegel tragen, 76 Millionen Euro per Nachlass. 2013 – aktuellere Zahlen gibt es noch nicht – waren es 191 Millionen Euro. Kein anderer Posten in der deutschen Spendenstatistik hat sich so dynamisch nach oben entwickelt. Und rechnet man diesen Ausschnitt auf das gesamte Spendenwesen hoch, dann erreicht die Summe aus Erbschaften und Nachlässen schon die Milliardengrenze.
70 Jahre nach dem Ende des Krieges macht die reich gewordene deutsche Gesellschaft so eine neue Erfahrung mit sich selbst: Der Nachlass soll erstmals nicht nur das Leben der nächsten Generation sichern, sondern kann im Überfluss verteilt werden. Für so manchen Erblasser stellt sich deshalb eine bislang unerhörte Frage: Was bleibt von mir? Und: für wen?