Die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone leidet unter einer chronischen Wachstumsschwäche, hohen Staatsschulden und einer wegbrechenden Wettbewerbsfähigkeit. Im ersten Quartal schrumpfte die Wirtschaft um 0,8 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt damit wieder auf dem Niveau des Jahres 2002. Jeder zehnte Italiener hat keinen Job, die Jugendarbeitslosigkeit ist binnen eines Jahres von 28 auf 36 Prozent geklettert.
„Die jungen Italiener leiden vor allem darunter, dass es keine duale Ausbildung gibt. Das Bildungssystem ist sehr theoretisch“, sagt Pudzich. „Italienische Absolventen kommen mit kaum Praxisbezug in das Arbeitsleben. Sie müssen also erst einmal angelernt werden. Das sind Kosten, die viele Unternehmen gerade in Krisenzeiten scheuen.“
Gefährlicher Teufelskreis
Italien droht nun in einen Teufelskreislauf zu gelangen. Fehlende Investitionen der Wirtschaft und des Staates führen in diesem Jahr laut Prognosen von Ökonomen zu einem Rückgang des BIPs um bis zu zwei Prozent. Auch im nächsten Jahr wird die Wirtschaft schrumpfen. Das lässt die Steuerquellen versiegen und die staatlichen Transferzahlungen steigen. Schon jetzt ist klar: Monti wird sein Ziel, die Defizitquote in diesem Jahr von 3,9 auf 1,7 Prozent zu drücken, verfehlen. Den Haushaltsausgleich hat Monti schon von 2013 auf 2014 verschoben.
Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, muss Italiens Wirtschaft wieder kräftig wachsen. Doch die Rahmenbedingen dafür sind schlecht. „Italien ist nicht wettbewerbsfähig“, sagt Elena Carletti, Wirtschafts-Professorin am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz gegenüber WirtschaftsWoche Online. Die Lohnstückkosten seien zu hoch, ebenso die Unternehmenssteuern. „Es gibt in Italien eine deutlich höhere Steuerquote als in Deutschland, sowohl für den Bürger als auch für Unternehmen“, erklärt auch Pudzich. „Das macht es für Firmen besonders schwer, zusätzlich in neue Technologien und Maschinen zu investieren.“
Die Chronik der Schuldenkrise
Um die Schuldenkrise einzudämmen, spannen die Finanzminister und der IWF einen Rettungsschirm (EFSF) für pleitebedrohte Euro-Mitglieder. Insgesamt 750 Milliarden Euro sollen im Notfall fließen. Der damalige Kanzleramtsminister Thomas de Maizière resümiert, jetzt komme „Ruhe in den Karton“.
Als erstes EU-Land schlüpft Irland unter den EFSF. Europäer und IWF schnüren ein Hilfspaket von 85 Milliarden Euro. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hält Sorgen vor einem Überschwappen auf Portugal für unbegründet: „Gerede über eine Ansteckung hat keine wirtschaftliche oder rationelle Grundlage.“
Nach einem Hilferuf aus Lissabon setzt die EU ein Rettungspaket für Portugal in Gang. Höhe: Rund 80 Milliarden Euro. Schäuble sieht die Gefahr einer Ausbreitung der Krise zunächst als gebannt an: „Die Ansteckungsgefahr ist geringer geworden.“
Die EU-Finanzminister beschließen eine Ausweitung des EFSF. Deutschlands Anteil steigt von 123 auf 211 Milliarden Euro. Damit bis zu 440 Milliarden Euro an Krediten gezahlt werden können, müssen die Euro-Länder ihre Garantien auf 780 Milliarden Euro erhöhen. Merkel verteidigt das: „Scheitert der Euro, scheitert Europa.“
Athen beantragt ein zweites Hilfspaket. Es beläuft sich schließlich auf 159 Milliarden Euro. Erstmals beteiligen sich auch private Gläubiger Athens, ihr Anteil beträgt rund 50 Milliarden Euro.
Die Europäische Zentralbank (EZB) kauft nun auch Staatsanleihen von Italien und Spanien auf, um beide Länder zu stützen.
Nach einem Doppelgipfel beschließen die Euro-Länder das bislang dickste Paket zur Eindämmung der Krise: Griechenlands Schulden werden um 50 Prozent gekappt. Das im Juli beschlossene 109-Milliarden-Programm wird modifiziert: Nun soll es zusätzliche öffentliche Hilfen von 100 Milliarden Euro geben, sowie Garantien von 30 Milliarden Euro, mit denen der Schuldenschnitt begleitet wird. Die Schlagkraft der EFSF soll auf rund eine Billion Euro erhöht werden. Zudem müssen Europas Banken ihr Kapital um mehr als 100 Milliarden Euro aufstocken. „Ich bin sehr zufrieden mit den Ergebnissen“, bilanziert Merkel. Und Frankreichs Finanzminister François Baroin sagt erleichtert: „Es gab ein Explosionsrisiko. Das Abkommen von heute Nacht ist eine freundschaftliche, globale und glaubwürdige Antwort.“
Silvio Berlusconi steht vor dem Aus. Bei der Abstimmung über den Rechenschaftsbericht 2010 verfehlt er im italienischen Parlament die absolute Mehrheit. Am Abend kündigt er seinen Rücktritt an. Zuvor sollen aber noch die Brüssel zugesagten Reformen beschlossen werden.
Griechenlands Regierungschef Giorgos Papandreou kündigt in Athen seinen Rücktritt an.
Nahezu alle Mitgliedstaaten einigen sich beim EU-Gipfel in Brüssel nach zähen Verhandlungen auf eine Fiskalunion. Großbritannien steht im Abseits. Eine Spaltung der EU wird abgewendet.
Die Eurogruppe gibt ein zweites Griechenland-Paket frei. Der IWF beteiligt sich daran mit 28 Milliarden Euro.
Spaniens Regierung kündigt an, zur Sanierung der maroden Banken ein Rettungspaket "light" zu beantragen. Die Eurogruppe sagt Madrid bis zu 100 Milliarden Euro zu.
Nach langem Zögern flüchten Spanien und auch Zypern unter den Euro-Rettungsschirm. Der Finanzierungsbedarf beider Länder zur Rekapitalisierung ihres Bankensektors ist noch unklar.
Das deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe genehmigt den ESM-Rettungsschirm unter Vorbehalten. Die Bedingung: Es müsse sichergestellt werden, dass die Haftung Deutschlands auf die vereinbarten 190 Milliarden Euro beschränkt bleibe. Ohne erneute Zustimmung Deutschlands - und damit des Bundestags - dürfen keine höheren Zahlungsverpflichtungen begründet werden. Damit kann Deutschland dem permanenten Euro-Rettungsschirm ESM beitreten. Bis zur Entscheidung aus Karlsruhe hatte Deutschland bislang als einziges Euro-Land den Vertrag über den „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ ESM noch nicht ratifiziert. Erst mit der Beteiligung des größten Mitgliedsstaats kann der Rettungsschirm in Kraft treten.
Trend verpennt
Dabei ist Italien zu Innovationskraft und hoher Produktivität verdammt, nachdem sich die Lohnspirale seit der Jahrtausendwende immer schneller drehte. Gemessen am Basisjahr 1998 haben sich die Lohnstückkosten in Italien um 38 Prozent verteuert. Auch in Irland, Griechenland und Portugal schossen die Gehälter bis 2009 nach oben. Inzwischen ist aber in allen Krisenländern der Trend gebremst und umgekehrt worden. Portugal drückte die Löhne in den vergangenen zwei Jahren um 13 Prozent, Griechenland um 17 Prozentpunkte. Nur in Italien ist nichts passiert.
„Die Löhne sind jahrelang gestiegen, die Produktivität aber nicht in gleichem Maße“, sagt Pudzich. „Jetzt in der Krise schrauben die Unternehmen zuerst an den Personalkosten. Sprich: Leute werden entlassen.“