Werbesprech

Die dreistesten Werbelügen

In ihrer Werbung lügen viele Unternehmen, dass sich die Balken biegen. Mit ihren Geschäftsmodellen nehmen sie Gefahren für die Gesundheit ihrer Kunden und die Ausbeutung ihrer Mitarbeiter billigend in Kauf. Der Konsument antwortet mit Boykott und Shitstorms. Und selbst das lässt die meisten Unternehmen kalt.

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"Alete Trinkmahlzeit" ist die dreisteste Werbelüge des Jahres
Foodwatch hat Verbraucher über die dreisteste Werbelüge des Jahres abstimmen lassen. Der Goldene Windbeutel 2014 geht an eine Kindernahrung... Quelle: dpa
Der zweifelhafte "Sieger" des Rankings ist die Alete Trinkmahlzeit von Nestlé. 45,8 Prozent der Verbraucher kürten die kariesfördernde Kalorienbombe zur dreistesten Werbelüge des Jahres. Foodwatch fordert Nestlé auf, das Produkt vom Markt zu nehmen: "Kalorienreiche Trinkmahlzeiten sind für Säuglinge völlig ungeeignet. Nestlé muss die Produkte aus dem Handel nehmen und endlich aufhören, Profit auf Kosten der Gesundheit von Babys zu machen", sagte Oliver Huizinga, Foodwatch-Experte für Lebensmittelwerbung. Quelle: Foodwatch
Auf dem zweiten Platz landete die Knorr activ Hühnersuppe mit 25,2 Prozent der Stimmen. Foodwatch bemängelt, dass die "Hühnersuppe" kein Hühnerfleisch enthält. Quelle: Foodwatch
Platz drei ging in diesem Jahr an das Glacéau Vitaminwater von Coca-Cola. 14,6 Prozent der Verbraucher wählten das mit Vitaminen gepimpte Wasser. Quelle: Foodwatch
Der Belvita Frühstückskeks landete auf Rang vier mit 11,5 Prozent der Stimmen. Quelle: Foodwatch
Mit 2,9 Prozent der Verbraucherstimmen ging der fünfte Rang an den Unser Norden Bio Apfelsaft naturtrüb der Coop eG. Das Unternehmen hatte bereits während der laufenden Wahl angekündigt, bei allen unter der Eigenmarke „Unser Norden“ verkauften Produkten in Zukunft eine regionale Herkunft der Zutaten auch sicherzustellen, teilt Foodwatch mit. Beim Bio-Apfelsaft hatte die Handelsgenossenschaft nach mehrfacher Nachfrage eingeräumt, aller Regionalitätswerbung zum Trotz die Äpfel auch von außerhalb Norddeutschlands zu beziehen. Quelle: Foodwatch
Im Jahr 2013 hatte die Capri-Sonne von Wild/SiSi-Werke den Negativ-Preis gewonnen. Und zwar als Schul-Marketing und Sport-Schwindel. Bei gesponserten Sport-Events werden Kinder gezielt angesprochen, außerdem verteilt Capri-Sonne Unterrichtsmaterial mit Markenlogo und Lernaufgaben. Neben Capri-Sonne hatte Foodwatch vier weitere Lebensmittel für Kinder zur Abstimmung gestellt, die nach Ansicht der Verbraucherschützer besonders dreist beworben werden. An der Abstimmung beteiligten sich fast 120.000 Verbraucher. Auf die Capri-Sonne entfielen mehr als 51.000 Stimmen. Quelle: Foodwatch

Capri Sonne wurde vergangene Woche von Foodwatch ausgezeichnet: Mit dem "Goldenen Windbeutel" für die dreisteste Werbemasche für ein Kinderprodukt. Auf Platz zwei "schaffte" es Dr. Oetkers Kuhflecken-Pudding Paula. Alljährlich lässt die Verbraucherschutz-Organisation "Foodwatch" Endverbraucher über die dreistesten Werbelügen abstimmen. Diesmal nahmen an der Internet-Abstimmung 120.000 Verbraucher teil.

Am gleichen Tag zeichnete der ADC (Art Directors Club für Deutschland) ironischerweise die besten Werbekampagnen des Jahres aus. Mit einem kleinen Unterschied: Beim ADC entscheiden die Kreativen selbst, welche Kampagne eine der begehrten Trophäen erhält. Hier, ebenso wie beim weltweit größten und bedeutendsten Werbefestival, das im Juni in Cannes stattfindet, bleibt die Meinung der Konsumenten außen vor.

Die Karawane der Einkäufer zieht von China ins billigere Bangladesch, wo Lieferanten oft nur Hungerlöhne zahlen. Doch können Modehändler billig und zugleich fair produzieren? Wir waren undercover vor Ort.
von Florian Willershausen

Der Kunde erhebt seine Stimme

Doch die Meinung der Endverbraucher wird für die Werbungtreibenden und ihre Kreativagenturen immer wichtiger, ihre Stimme immer lauter. Als in Bangladesch mehr als tausend Näherinnen unter den Trümmern eines Fabrikgebäudes starben, richteten sich in Deutschland alle Augen auf die Textil-Discounter. Und wieder befand sich auch Kik unter den Herstellern, die dort nähen ließen. In einem lesenswerten Beitrag berichtet die Unternehmerin und Autorin Claudia Langer, dass der Tengelmann- und Kik-Eigentümer Karl Erivan Haub viel von Verantwortung und Nachhaltigkeit sprach, als sie ihn erst vor zwei Jahren interviewte. Nun kam dennoch es zur Katastrophe.

Es ist schlichtweg eine Werbelüge, dass man in Deutschland T-Shirts für 1,99 Euro anbieten kann, ohne Angestellte auszubeuten, Menschenrechte zu verletzen oder Kinderarbeit zuzulassen. Die Lüge erscheint noch dreister, wenn es stimmt, dass angeblich die Hälfte dieser 1,99 Euro in die Taschen der deutschen Textil-Discounter wandert.

So sauber sind unsere Modelabels
Eine Frau mit einer Zara-Tasche Quelle: REUTERS
Ein Laden von Tommy Hilfiger Quelle: AP
Platz 12: PrimarkEs ist gar nicht einfach, den H&M-Herausforderer aus Irland zu kontaktieren. Primark hat weder in Deutschland noch im Rest der Welt eine Pressestelle, an die Journalisten ihre Anfragen richten können. Erst nach einer knappen Woche melde sich eine externe PR-Agentur und beantwortet einige Fragen zu Recherchen der WirtschaftsWoche: Dass eine Primark-Bestellung bei einem Zulieferer landete, der westlichen Standards nicht entspricht, sei ein Einzelfall gewesen. Ein lizenzierter Lieferant habe die Order ohne Kenntnis und Einverständnis der Iren an diese Fabrik ausgelagert. Was eigentlich gar nicht passieren darf, denn über seine Homepage verpflichtet nagelt sich der irische Discounter auf „ethischen Handel“ und höchste Sozialstandards bei Lieferanten fest. Dies wird allerdings nicht nur durch die Recherchen der WirtschaftsWoche konterkariert – zumal der Hersteller insgesamt bei Details merkwürdig mauert: Primark will weder die Zahl der Lieferanten oder die der internen Auditoren kommunizieren, noch die wichtigsten Lieferländer und den Anteil der Direktimporte nennen.Transparenz -Kontrolle -Verantwortung - Quelle: Screenshot
Ein New Yorker-Store in Braunschweig Quelle: Screenshot
Menschen vor einer Ernsting's Filiale Quelle: Presse
Das Logo der Modekette Tom Tailor Quelle: dapd
Eine Verkäuferin reicht in einem Esprit-Store in Düsseldorf eine gepackte Einkaufstasche über die Kasse Quelle: dpa

Wenn die Eigentümer von KiK, Aldi, Lidl, Tchibo und C&A, die allesamt nach der Katastrophe von Bangladesch reumütig der Clean Clothes Campaign beitraten, die für stärkere Sicherheitsauflagen und Brandschutz sorgen soll, ihre T-Shirts und Billig-Jeans nicht deutlich verteuern (und auch den Grund hierfür kommunizieren), dann hat sich nichts geändert. Spätestens dann werden mehr Kunden diese Anbieter großflächig boykottieren. Wir alle tragen eine Mitverantwortung und nur die öffentliche Meinung kann offenbar die Hersteller in ihre Schranken verweisen.

Inzwischen nimmt der Umfang der Werbelügen immer weiter zu. Dem Verbraucher Pferde- für Rindfleisch vorzumachen, ist nichts weiter als eine infame Werbelüge. In diesem Fall sogar Betrug am Konsumenten.

Auch das Geschäftsmodell von Amazon erweist sich als lügenanfällig. Kostenloser und Über-Nacht-Versand sind offenbar nicht möglich, ohne die eigenen Mitarbeiter auszubeuten. Der durch die jüngste ARD-Dokumentation ausgelöste Imageschaden führte dann auch zu signifikanten Umsatzeinbußen.

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