Karl-Erivan Haub Tengelmann-Chef rechnet mit weiteren Pleiten

Karl-Erivan Haub, Chef der Tengelmann-Gruppe mit Marken wie Kaiser’s, KiK und Obi sagt dem deutschen Einzelhandel schwierige Zeiten voraus.

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Haub, 52, steuert den Mülheimer Konzern seit 2000 in fünfter Inhabergeneration. Der gelernte Lebensmittelkaufmann arbeitete nach dem BWL- Studium bei Nestlé und McKinsey. Haub ist Vater von zwei Kindern und läuft gern.

WirtschaftsWoche: Herr Haub, es kommt immer wieder zu tödlichen Bränden in asiatischen Bekleidungsfabriken. Auch Ihr Tochterunternehmen KiK lässt dort produzieren. Was tut Tengelmann, um solche Katastrophen zu verhindern?

Karl-Erivan Haub: Wir haben Büros vor Ort und prüfen die Fabriken. Aber letztlich müssen vor allem die Behörden in Ländern wie Bangladesch und Pakistan dafür sorgen, dass vernünftige Standards eingehalten werden. Als einzelner Abnehmer können wir da nur relativ wenig Einfluss nehmen.

Sie könnten sich mit anderen Herstellern zusammentun und den Druck erhöhen.

Das versuchen wir, auch wenn es mühsam ist. Unsere bisherige Erfahrung zeigt, dass es zwar viele Absichtserklärungen gibt, aber insgesamt zu wenig passiert.

Es gab einzelne Kunden, die nachgefragt haben, aber eine breite Kritikwelle hat uns nicht erreicht. Auch das Einkaufsverhalten hat sich nicht verändert. Die Kunden bewerten eher die Leistung vor Ort in den Geschäften. Aber für die Reputation ist der Schaden trotzdem immens. Wenn es um die Eröffnung neuer Läden geht, schauen viele Politiker skeptisch auf KiK. Das ist schmerzhaft, insbesondere weil wir aus der Kritik zum Thema Entlohnung in Deutschland gelernt haben und heute mit einem Basisentgelt von 7,50 Euro pro Stunde vorne sind für einen Discounter.

Die Beteiligungen des Handelskonzerns (zum Vergrößern bitte anklicken)

Die Wirtschaftsaussichten verdüstern sich. Wie wird das Weihnachtsgeschäft?

Wenn nicht neue Hiobsbotschaften die Kauflaune dämpfen, dürfte es ein ordentliches Weihnachtsgeschäft für den deutschen Handel werden. Wir rechnen mit einer stabilen Nachfrage bei unseren wichtigsten Vertriebslinien: den Obi-Baumärkten, dem Textildiscounter KiK und den Supermärkten von Kaiser’s und Tengelmann. In der heutigen Zeit ist das ein Erfolg. Dagegen wird der Online-Handel ein enormes Zusatzgeschäft verbuchen.

Wie kommt’s?

Wenn jemand noch nicht im Internet eingekauft hat, ist der Geschenketrubel in der Vorweihnachtszeit oft der Zeitpunkt, zu sagen: „Ich probiere das jetzt mal aus.“ Das wird auch dieses Jahr so sein. Bei unseren Online-Aktivitäten, also plus.de, Zalando oder Baby-Markt.de, konnten wir in der vergangenen Adventszeit einen deutlichen Bestellanstieg verbuchen. Das Schöne: Die Neukunden haben nach den Feiertagen weiter bei uns bestellt.

Verdienen Sie mit Ihren Online-Beteiligungen inzwischen auch Geld?

Zu spät auf Euro-Krise reagiert


Wenn Sie so überzeugt vom Online-Geschäft sind, warum wollen Sie Ihre Discountmarke Plus wiederbeleben und neue Plus-Filialen in Russland eröffnen?

Wären wir eine börsennotierte Gesellschaft, würden mich die Analysten dafür abstrafen. Klar, der russische Markt ist ein Abenteuer. Aber wir sehen dort enormes Potenzial und trauen uns das zu. Wir sind seit acht Jahren mit Obi in Russland. Die Schwäche des Landes ist die mangelhafte Infrastruktur, das gilt auch für die Nahversorgung mit Lebensmitteln. Es gibt große SB-Warenhäuser am Stadtrand und riesige Shoppingcenter in den Innenstädten, aber in den Wohngebieten wenige Lebensmittelläden. Da wollen wir rein.

Es gibt bei den Verbrauchern einen Gewöhnungseffekt. Die Konsumneigung hängt in Deutschland stark von der Beschäftigungsquote ab, die im Laufe dieses Jahres weiter gestiegen ist. Das ist gut für uns. Jetzt ist womöglich der Punkt gekommen, an dem die Situation kippt und die Arbeitslosenzahl wieder nach oben geht. Aber die Auswirkungen werden – wenn überhaupt – erst 2013 zu spüren sein.

Es ist ein wenig wie hiermit (hält seine verbundene Hand hoch): Ich hatte zu Hause einen kleinen Unfall. Eigentlich hätte ein Arzt die Wunde wohl sofort nähen müssen, aber wie das so ist, unterschätzt man die Lage und versucht, sich durchzuwurschteln. Ähnlich ist es mit der Euro-Krise. Es wurde viel zu spät reagiert, und statt eines chirurgischen Eingriffs haben es Politik und Notenbank mit einem großen Pflaster versucht. Jetzt hoffen alle, dass das Pflaster auch hält und die Wunde heilt.

Wie sind die Genesungschancen?

Es hat einige Fortschritte gegeben. In Spanien, Italien und anderen Ländern wurden Reformen angeschoben. Ob das reicht, muss sich zeigen. Mit der EU ist es wie mit einem Unternehmen: Ohne einen Finanzchef und hartes Controlling droht auf Dauer der Ruin. Wir werden um diese bittere Wahrheit nicht herumkommen und die Institutionen verändern müssen.

Erwarten Sie einen Konjunktureinbruch?

Ich rechne 2013 nicht mit einer Rezession in Deutschland, eher mit einer schwarzen Null. Die Renten werden erhöht, zugleich die Arbeitnehmer beim Rentenbeitrag etwas entlastet, das sollte den Konsum stützen und einen leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit ausgleichen. Leider steigen die Energiekosten. Wenn es die Umlage für erneuerbare Energien (EEG) nicht gäbe, hätten die Konsumenten mehr in der Tasche. Zudem belastet uns als Unternehmer die Umlage enorm.

Enorme Überkapazitäten


Das Markenreich des Handelsriesen Tengelmann
Eingangsbereich einer Kaiser's-Filiale Quelle: Presse
Preisschild in einer Filiale des Discounters kik Quelle: dpa
Eingangbereich einer Obi-Filiale Quelle: Presse
Eingangsbereich einer Tedi Filiale Quelle: Presse
Innenbereich einer Woolworth-Filiale Quelle: Presse
Wartende Menschen vor einer Netto-Filiale Quelle: AP
Screenshot der Zalando-Website Quelle: Screenshot

Wie hoch ist die Belastung für Sie?

In Summe ist das ein gewaltiger Kostenblock. Allein bei unseren Supermärkten geht es um zusätzlich rund fünf Millionen Euro pro Jahr. Politisch können wir da nichts mehr ausrichten. Aber wir müssen uns frühzeitig gegen die nächsten Erhöhungen wehren. Das Schlimme ist, dass wir mit dieser radikalen und viel zu schnell begonnenen Energiewende viel drastischer mit hohen Kosten belastet werden als die Wirtschaft in anderen Ländern. Ich habe nichts gegen den Atomausstieg. Aber dass das Projekt so überstürzt angegangen wurde, war ein Fehler.

Werden Sie höhere Kosten an Ihre Kunden weitergeben?

Das gibt die Wettbewerbsintensität im deutschen Einzelhandel gar nicht her. Wir haben die niedrigsten Preise für Lebensmittel in ganz Europa, und daran wird sich wenig ändern. Ich wäre schon froh, wenn es uns gelänge, bei einzelnen Produkten die Steigerungen der Rohstoffpreise weiterzugeben.

Das nehmen Verbraucher anders wahr.

Es gibt ein paar Romantiker, die meinen, dass Händler ohne Erträge auskommen. Die vergessen aber, dass wir hohe Investitionen haben. So werden wir in der Region Nordrhein 2013 alle unsere Kaiser’s-Tengelmann-Märkte auf den neuesten Stand bringen. Wer auf Modernisierung verzichtet, erleidet schnell das Schicksal von Schlecker oder Neckermann.

Ja. Wir haben enorme Überkapazitäten: 25 bis 30 Prozent der Ladenfläche sind überflüssig. Die Demografie und die Abwanderung der Kunden ins Internet werden die Situation weiter verschärfen.

Wo erwarten Sie eine Konsolidierung?

Es gibt zu viele Baumärkte und Textilhändler in Deutschland. Über kurz oder lang wird sich da etwas tun. Auch viele Online-Anbieter werden schließen. Wenn Sie sehen, wie viele reine Lebensmittel-Lieferdienste es derzeit gibt, kommen Sie ins Grübeln. Vielleicht überleben zwei, drei Größere. Aber der Druck ist enorm.

Was soll bei Ihrem Lebensmittelbestelldienst Bringmeister anders sein?

Bringmeister ist ein Zusatzservice unserer Supermärkte. Wir sind damit in München und Berlin seit mehr als zehn Jahren aktiv und jetzt in Düsseldorf gestartet. Das Geschäft ist kein Selbstläufer und funktioniert nur mit langem Atem. Die Margen sind im deutschen Handel extrem niedrig, und wir haben eine Durchdringung mit Läden wie in kaum einem Land. Für einen reinen Online-Player ohne stationäres Geschäft ist das kaum zu schaffen.

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