Sie gilt als die ursprünglichste und männlichste Form, unbeliebtes Barthaar aus dem Männergesicht zu entfernen: Die Rasur mit dem Rasiermesser. Während viele Jahre hochtechnisierte, elektrische Trockenrasierer als das Nonplusultra der Herrenrasur galten, haben in den vergangenen Jahren vor allem Sicherheitsrasierer von Marktgiganten wie Gillette und Wilkinson die Badezimmer der Nation erobert. Wo am Anfang noch zwei Klingen eine besonders gründliche und schonende Rasur versprachen, sollen heute bis zu sechs Klingen für glatte Männergesichter sorgen.
Das braucht es für die klassische Nassrasur.
Experte Jens Brökelmann rät zu Rasiermessern deutscher Hersteller wie Dovo oder Böker. Diese sollten im Fachgeschäft gekauft werden, von Auktionsplattformen wie Ebay rät er ab. Ebenfalls sollten Sie die Finger von Modellen lassen, die günstiger als 70 Euro oder im, scheinbar günstigen Set mit Rasierpinsel und anderen Utensilien angeboten werden. Für den Einstieg empfehle sich auch eine Shavette, ein Rasiermesser mit Wechselklingen, das schon ab rund 40 Euro zu haben ist.
Für eine professionelle Rasur mit dem Messer brauchen Sie einen Rasierpinsel, mit dem Sie die Rasierseife schaumig schlagen und im Gesicht auftragen. Die Pinselhaare bestehen meist aus Dachshaar. Der Silberspitz, also das helle Dachshaar ist dabei das beste Material. Daneben bieten deutsche Traditionshersteller wie Mühle auch synthetische Materialien an, die ähnliche Eigenschaften wie das Dachshaar aufweisen sollen. Kostenpunkt für einen guten Rasierpinsel mit mindestens 20 Jahren Lebensdauer: 30 - 40 Euro.
Eine gute Seife macht 50 Prozent der Rasur aus, so Experte Jens Brökelmann. Hier sollten Sie auf Traditionshersteller achten, Seifen aus Deutschland, Portugal, Großbritannien und Italien seien besonders zu empfehlen. Fünf bis zehn Euro sollten Sie in eine gute Seife investieren.
In der Seifenschale wird die Rasierseife mit Wasser zu einem Rasierschaum angerührt. Dabei sollten Sie darauf achten, dass die Schale groß genug ist um den Schaum gut aufschlagen zu können. Seifenschalen gibt es in unterschiedlichen Materialien und Formen, ein wenig Internetrecherche lohnt sich, so Experte Brökelmann. Kostenpunkt: Ab 30 Euro
Vor jeder Rasur sollte das Messer auf einem Lederriemen abgezogen werden um es auf die volle Schärfe zu bringen. Dabei gibt es meist Kombiprodukte mit einer Seite, die mit Polierpaste behandelt wurde und einer blanken Seite, die in Kombination eine optimale Schärfe geben. Auch hier lohnt sich der Gang ins Fachgeschäft. Preis: 30 – 40 Euro.
Da wirkt der Trend, sich mit einem offenen, enorm scharfen Rasiermesser den Bart zu entfernen, wie ein Schritt in die Vergangenheit: Die Gefahr, sich zu schneiden ist um ein Vielfaches höher als bei Sicherheitsrasierern. Es bedarf außerdem einer aufwendigen Behandlung vor der Rasur und auch die Preise für ein gutes Rasiermesser liegen schnell im dreistelligen Bereich.
Seminare zum richtigen Rasieren
Dennoch boomt die klassische Männerrasur: Allein in Deutschland buhlen mehr als ein Dutzend spezialisierte Onlineshops um die Gunst des rasieraffinen Herren. Hersteller können sich vor Nachfragen nicht mehr retten und auch Barbiere - klassische Herrenfriseure, die auch die Rasur mit dem Messer anbieten - eröffnen Filialen in nahezu jeder deutschen Großstadt. Wie kommt es, dass Rasieren wie vor 80 bis 90 Jahren eine derartige Renaissance erlebt?
Einer, der es wissen müsste ist Jens Brökelmann. Der 35-Jährige betreibt unter dem Synonym Mr. Nassrasur einen Youtube-Kanal, der sich ausschließlich mit der klassischen Nassrasur beschäftigt. Außerdem bringt Brökelmann jährlich rund 40 Interessierten in speziellen Seminaren den richtigen Umgang mit dem Rasiermesser bei.
Rasiermesser als Symbol der Männlichkeit
Er glaubt an einen speziellen Mythos, der die Messerrasur umgibt. „Das Rasiermesser hat auf Männer einfach eine magische Anziehungskraft“, lautet seine Erklärung für das Wiederaufleben der klassischen Rasur. „Solch ein Rasiermesser verkörpert Männlichkeit und ist ein Symbol für den englischen Gentleman und den dementsprechenden Lebensstil, der aktuell auch sehr in Mode ist.“
Brökelmann selbst wurde die klassische Rasur sozusagen in die Wiege gelegt: Sein Vater war begeisterter Messersammler. So war es für Brökelmann Junior nur selbstverständlich, mit Anfang 20 dem aufkommenden Bartwuchs mit einem Messer zu begegnen.
Als er sich sein erstes Rasiermesser im Jahr 2000 zulegte, gab selbst der Verkäufer zu, keinerlei Wissen über den richtigen Gebrauch des Messers zu haben. „Die Rasur mit dem Messer zu dieser Zeit war wirklich exotisch“, sagt Brökelmann.
Rasieren als Wellness für den Mann
Brökelmann schätzt, dass vor ungefähr fünf Jahren das Messerrasieren langsam wieder beliebter wurde. Den aktuellen Boom erklärt er sich auch durch das wachsende Pflegebewusstsein des Mannes: „Rasieren mit dem Messer ist so eine Art Wellness für den Mann.“ Denn wer sich auf diese Weise ordentlich rasieren will, braucht Zeit und muss sich voll darauf konzentrieren. „In diesen zwanzig Minuten, die eine Rasur durchaus dauern kann, vergisst man die Umwelt. Es ist fast wie eine Art Meditation – und das entspannt“, erklärt Brökelmann.
Ähnliches weiß Roberto Nicolaci zu berichten. Der gelernte Frisör ist seit 30 Jahren im Geschäft und leidenschaftlicher Barbier. Im März 2013 schloss er seinen bisherigen Friseursalon für Damen und Herren und konzentrierte sich ausschließlich auf das Herrengeschäft. „Wenn die Männer zu uns zur Rasur kommen, können sie abschalten und sich entspannen“, sagt Nicolaci.
Deutsche sind teure Ersatzklingen leid
Die Rasierdienste des 46-Jährigen, der seinen Barbiersalon „Barbiere da Roberto“ im Bonner Stadtteil Beuel betreibt, werden immer gefragter. Während Nicolaci bis vor wenigen Jahren noch lediglich zwei bis drei Mal pro Monat zum Rasiermesser griff, sind fünf bis zehn Rasuren am Tag heute Standard.
Fragt man ihn, wieso die Messerrasur auch im heimischen Bad eine derartige, zweite Blüte erlebt, erzählt er: "Wenn ich meine Kunden frage sagen sie, dass sie es leid sind, so viel Geld für die Klingen von Systemrasierern auszugeben. Stattdessen schaffen sie sich lieber ein Messer an.“
Wechselklingen für beliebte Systemrasierer wie Gillette’s Mach 3 oder den Hydro 5 von Wilkinson kosten mit zwei bis fünf Euro pro Klinge zwar nicht wenig, Rasiermesser sind jedoch auch kein Schnäppchen. „Wer ein gutes Rasiermesser haben will, sollte nicht weniger als 70 Euro investieren“, erklärt „Mr. Nassrasur“ Jens Brökelmann.
Anschaffungskosten von rund 200 Euro
Hinzu kommen Anschaffungen wie die passende Rasierseife, ein Pinsel zum Aufschäumen und ein Lederriemen, mit dem das Messer scharf gehalten wird. So ist man schnell bei 200 Euro. Einmal angeschafft sind die laufenden Kosten aber gering. Lediglich neue Seife und der gelegentliche Messerschliff schlagen mit wenigen Euro pro Jahr zu Buche.
Bei den Messerherstellern ist man von dem Boom begeistert. „Wenn Sie ein besonderes Modell wünschen, kann es schon einmal zu Lieferzeiten von einem halben Jahr kommen“, sagt Carsten Felix-Dalichow. Er ist Geschäftsführer der Messermanufaktur Böker aus Solingen, dem wohl gefragtesten Ort wenn es um Qualitätsmesser Made in Germany geht.
"Nachfrage nach Rasiermessern explodiert"
Bei Böker liegt das günstigste Rasiermesser bei 113 Euro. Für das exklusivste, aus Damaststahl gefertigte Modell, werden knapp 700 Euro fällig. „Die Nachfrage nach Rasiermessern ist in den letzten Jahren explodiert“, freut sich Felix-Dalichow. Während vor zehn Jahren das Thema Rasiermesser bei Böker so gut wie vergessen war, besteht seit zwei Jahren eine eigens gegründete Abteilung, in der fünf Mitarbeiter ausschließlich Rasiermesser fertigen.
Um mehr als 1000 Prozent habe sich die Nachfrage nach den Messern aus Solingen, die unter Kennern als das Nonplusultra gelten, in den letzten fünf Jahren gesteigert, schätzt Felix-Dalichow. „Männer legen mehr Wert auf ihr Äußeres und geben dafür auch Geld aus. Außerdem hat eine Messerrasur einen gewissen Coolnessfaktor“, benennt Felix-Dalichow die Gründe für den Boom.
Markt kann nicht bedient werden
Ähnlich sieht das Markus Kirschbaum, Geschäftsführer bei Dovo, einem der ganz Großen im Solinger Messergeschäft: „Männer, die etwas auf sich halten, sich schick kleiden und rahmengenähte Schuhe tragen, rasieren sich mit dem Messer.“ Während bis zur Jahrtausendwende hauptsächlich Sammler Rasiermesser kauften, sind es heute meist 25- bis 45-jährige Männer, so Kirschbaum.
Auch bei Dovo kommt man mit der Fertigung nicht nach. „Während wir 1995 noch an einem Punkt standen, wo Rasiermesser nur noch vereinzelt in Heimarbeit hergestellt wurden, haben wir heute eine eigene Abteilung mit mehr als 20 Personen“, sagt Kirschbaum. Trotzdem werde man die riesige Marktnachfrage, die neben Deutschland auch aus den USA, Russland und ganz Europa komme, über Jahre nicht bedienen können.
Das liegt zum einen an dem enormen Boom. Zum anderen aber auch daran, dass sich Rasiermesser nicht in Massenproduktion fertig lassen. So sind beispielsweise bei Böker mehr als 30 Arbeitsschritte allein für die Fertigung der filigranen Klinge nötig. Diese muss enorm scharf sein, gleichzeitig aber auch so belastbar, dass sie trotz regelmäßiger Rasur nach frühestens einem Jahr wieder zum Messerschleifer muss.
Pensionäre zurückbeordert
„Daher können Sie nicht einfach Maschinen aufstellen und so die Produktion ausweiten", sagt Geschäftsführer Felix-Dalichow. Vielmehr brauche man "spezialisiertes Personal mit langjähriger Erfahrung, das die Klinge auf diese Schärfe bringt".
Da dieses Wissen und die Erfahrung aufgrund der geringen Nachfrage in den letzten Jahren fast verloren ging, hat man bei Böker Messerschleifer aus der Pensionierung wieder an die Werkbank geholt. „Die geben jetzt ihr Wissen an junge Fachkräfte weiter, das kostet seine Zeit“, sagt Felix-Dalichow.
Das erklärt zum einen die hohen Preise für ein Rasiermesser, zum anderen die langen Wartezeiten. Doch nicht nur die Fertigung bleibt klassisch, auch in der Optik sind alte Modelle gefragt. „Vor allem Modelle aus den 50er bis 60er Jahren sind beliebt“, sagt Markus Kirschbaum von Dovo.
Rasiermesser als exklusives Spielzeug für Männer?
Meist sind es also junge, stilbewusste Männer, die die klassische Nassrasur für sich entdecken. Männer, „die auch gerne ihre Freundin mit einem Rasiermesser im Bad beeindrucken“, wie Markus Kirschbaum lachend erklärt. Dass die Messerrasur ein Trend unter jüngeren Herren ist, bestätigt auch Jens Brökelmann.
Auf rund 5000 Männer, die sich hierzulande mit dem Messer rasieren und aktiv darüber in Foren wie Nassrasur.com austauschen, schätzt Jens Brökelmann die Szene. „Es sind aber vermutlich wesentlich mehr, die sich zwar mit dem Messer rasieren, jedoch nicht in den Foren aktiv sind“, sagt Brökelmann.
Bärte werden wieder beliebter
Für ihn ist ein Rasiermesser auch Ausdruck einer gewissen Exklusivität: „Statt sich einen teuren Mercedes oder handgemachte Schuhe zuzulegen, kaufen Sie mit einem Rasiermesser für verhältnismäßig wenig Geld sehr viel Stil.“
So sei es auch nicht verwunderlich, dass seine Rasiermesserseminare meist von Männern unter 40 besucht werden, die sich für Antiquitäten, automatische Uhren, Oldtimer und ähnliche Herrenspielzeuge interessieren.
Auch die wachsende Beliebtheit von Bärten sei ein Grund für mehr Messerrasierer. „Viele Männer müssen heute nicht mehr jeden Tag glatt rasiert in der Arbeit erscheinen, sie können sich rasieren wann sie wollen“, sagt Brökelmann. Und wenn das nur einmal pro Woche ist, zelebrieren viele diese Rasur gerne mit einem passenden Messer.
Entschleunigung entspricht dem Zeitgeist
Bei Gillette, dem deutschen Marktführer in Sachen Männerrasur, sieht man die wachsende Beliebtheit der Messerrasur „als etwas, das Männer primär aus Individualitätsbedürfnissen machen“, wie Andreas Wagner von Gillette erklärt. Bei dem Unternehmen decke man jedoch eher das „allgemeine Konsumentensegment“ ab. Ob eine Ausweitung in Richtung klassischer Rasur geplant sei, wollte er nicht verraten.
Ist ein Rasiermesser damit lediglich ein exklusives Spielzeug für stilbewusste Männer, die sich gerne am Wochenende mit Rasierpinsel und Seifen in einer umständlichen Rasur verkünsteln? Entfernt der alte Systemrasierer die Bartstoppeln nicht genauso? „Wenn es nur um das Entfernen der Barthaare geht, sind normale Rasierer ähnlich gut, das Hautgefühl bei der Messerrasur ist aufgrund des Schwingverhaltens eines Messers allerdings wesentlich besser“, philosophiert Jens Brökelmann.
Außerdem sei gerade das Ritual der Messerrasur das Besondere. „Diese ruhige Arbeit mit dem Messer, diese Entschleunigung, das ist Zeitgeist in Deutschland und auch ein Grund für die hohe Popularität.“
Wer auf die Messerrasur umsteigen will, dem rät Jens Brökelmann zwei Dinge: „Lassen Sie sich im Fachgeschäft zu Rasiermessern deutscher Hersteller beraten und kaufen sie niemals auf Ebay.“
Daneben sollte man sich zutrauen, mit einem scharfen Messer im Gesicht zu arbeiten. „Wenn Sie Angst davor haben, lassen Sie es lieber gleich.“