VW und Bosch entschädigen US-Kläger Die letzte Milliardenlast in Nordamerika

VW stimmt in den USA einer weiteren Milliardenzahlung an Privatkläger zu – und auch Zulieferer Bosch zahlt Millionen. Damit ist ein weiteres Kapitel der Abgasaffäre abgearbeitet. Eine Genehmigung steht aber noch aus.

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Volkswagen-Händler in Kalifornien: Für den Wolfsburger Konzern wird die letzte Milliardenbelastung aus der Dieselaffäre fällig. Quelle: REUTERS

WashingtonVolkswagen und Bosch werden vom Abgasskandal betroffene Autobesitzer in den USA finanziell entschädigen. Der VW-Konzern hat eine weitere Milliardenzahlung zur Entschädigung betroffener Kunden akzeptiert. Der Autobauer zahlt mindestens 1,26 Milliarden US-Dollar, um Klagen von Besitzern großer Dieselfahrzeuge mit umweltbelastenden Drei-Liter-Motoren beizulegen, wie aus Gerichtsunterlagen hervorgeht. Die Wolfsburger könnten bis zu vier Milliarden Dollar aufwenden, um die 80.000 Fahrzeuge – etwa Geländewagen von Audi, VW und Porsche – zurückzukaufen, sollten die US-Regulierer die Reparaturen nicht abnehmen.

Unterdessen prüft die VW-Tochter Audi angesichts der anstehenden Milliardenzahlung weitere Rückstellungen. „Wir bewerten anhand der Gerichtsunterlagen, was wir mit dem Jahresabschluss noch zurückstellen müssen“, sagte ein Sprecher. Details nannte er nicht. Bislang hat Audi für die Beilegung der Abgasaffäre insgesamt 980 Millionen Euro zur Seite gelegt. Insidern zufolge könnten sich die Kosten rund um die 83.000 Fahrzeuge mit von Audi entwickelten, umweltbelastenden großen Drei-Liter-Motoren auf rund zwei Milliarden Euro belaufen.

Auch der Bosch-Konzern hat als Teil des zivilrechtlichen Vergleichs der Zahlung eines dreistelligen Millionenbetrags zugestimmt. Wie am Mittwoch aus Gerichtsdokumenten in den USA hervorging, zahlt das Unternehmen 327,5 Millionen Dollar an 554.000 betroffene Besitzer von Dieselautos. Bosch hatte bereits im Dezember mitgeteilt, man habe zur Beilegung von Forderungen gegen das Unternehmen einen Kompromiss gefunden.

Für Volkswagen ist die Entschädigung für US-Kunden, die ein Auto mit manipuliertem Drei-Liter-Dieselmotor gekauft hatten, der vorläufig letzte große Kostenblock in Nordamerika. Gut 22 Milliarden Euro dürfte der Wolfsburger Autohersteller am Ende insgesamt für die Bewältigung der Dieselaffäre auf der anderen Seite des Atlantiks aufgebracht haben.

Die größte Belastung steht schon seit einem halben Jahr fest: Fast 14 Milliarden Euro kostet der zivilrechtliche Vergleich mit ungefähr 500.000 US-Kunden, die vor der Aufdeckung des Skandals im September 2015 ein Dieselmodell aus dem VW-Konzern mit ebenfalls manipuliertem kleinerem Zwei-Liter-Motor gekauft hatten. Etwa zehn Milliarden gehen als Entschädigung an betroffene Autofahrer, die restlichen vier Milliarden zahlt Volkswagen an US-Umweltbehörden und zum Aufbau eines Netzes von Elektro-Tankstellen in den Vereinigten Staaten.

Volkswagen hat die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass der Konzern dabei etwas günstiger davonkommt. Die kompletten zehn Milliarden Euro an Entschädigung fielen nur dann an, wenn alle betroffenen 500.000 US-Kunden ihre Autos an Volkswagen zurückgeben würden und der deutsche Hersteller den Zeitwert erstatten müsste.

Deutlich billiger würde es für die Wolfsburger, wenn sie die Autos – ähnlich wie in Europa – umrüsten könnten. Die Umrüstung kostet nur einen Bruchteil dessen, was bei einem vollständigen Rückkauf aller Fahrzeuge anfallen würde. Volkswagen hat dabei ein Problem: Bei den Zwei-Liter-Autos sind erst 70.000 Fahrzeuge aus jüngeren Modelljahren für die Umrüstung frei gegeben worden. Der große Rest müsste beim aktuellen Stand zurückgekauft werden. Immerhin hat VW noch dieses Jahr Zeit, sich die Genehmigung zur Umrüstung von den US-Behörden einzuholen.

„Organverschulden“ bei Volkswagen?

Unwiderruflich festgelegt ist hingegen das Strafgeld, das der Konzern an das US-Justizministerium überweisen muss. 4,1 Milliarden Euro werden dafür fällig. Volkswagen hat seine eigene Schuld an den Manipulationen eingestanden, deshalb wird am Strafmaß nicht mehr gerüttelt. Weitere 1,1 Milliarden Euro Entschädigung gehen an die US-Händler von Volkswagen, weil sie nach dem Bekanntwerden des Skandals keine Dieselmodelle mehr verkaufen konnten.

Eine Sonderrolle spielt Kanada. Da die Gesetzgebung dort der der USA vergleichbar ist, können auch kanadische Volkswagen-Kunden mit einer Entschädigung aus Wolfsburg rechnen. Umgerechnet etwa 1,5 Milliarden Euro sind dafür reserviert. Etwa 100.000 manipulierte Dieselmodelle aus dem Volkswagen-Konzern sind auf den kanadischen Straßen unterwegs gewesen.

Unklarheit herrscht bei der Frage, ob der Konzern auch in Europa nach dem Vorbild der USA an betroffene Autofahrer Schadensersatz leisten muss. Volkswagen verweist auf die unterschiedliche Gesetzgebung auf beiden Seiten des Atlantiks, in Europa reiche die Umrüstung aus.

Natürlich gibt es noch einen weiteren Grund: In Europa sind deutlich mehr manipulierte Diesel-Fahrzeuge aus dem Konzern unterwegs. Volkswagen geriete an die Grenzen seiner finanziellen Möglichkeiten, wenn auch in Europa größere Entschädigungen fällig würden.

Vertreter von VW-Aktionären machen Schadensersatz wegen des rapiden Kursverfalls nach Bekanntwerden des Skandals geltend. Aktuell stehen Volkswagen Milliarden-Forderungen gegenüber. Außerdem versuchen auch Autofahrer in Europa, Entschädigungsleistungen vor Gericht durchzufechten, weil sie ein manipuliertes Auto aus dem Konzern gekauft hatten. Volkswagen profitiert davon, dass es die gefürchteten Sammelklagen wie in den USA etwa in Deutschland nicht gibt. Jeder Kunde muss allein vor Gericht ziehen, was viele davon abhält.

18,2 Milliarden Euro hat der VW-Konzern bislang an Rückstellungen wegen der Dieselaffäre gebildet. „Dieser Betrag dürfte nochmals erhöht werden“, glaubt NordLB-Analyst Frank Schwope. So sind die Strafgeldzahlungen an das US-Justizministerium nur zum Teil berücksichtigt. VW ist nicht ausreichend darauf vorbereitet, wenn plötzlich doch Milliardenforderungen aus Europa auf den Konzern zukommen sollten. „Zudem ist auch noch mit einstelligen Milliarden-Aufwendungen für die Reparatur der Fahrzeuge zu rechnen“, glaubt Analyst Schwope.

Völlig unabhängig davon dürfte es noch einzelne Strafverfahren gegen einzelne VW-Mitarbeiter geben, der Konzern ist davon allerdings nicht mehr betroffen. Offen bleibt im Moment lediglich, ob Volkswagen gegen ehemalige Führungskräfte wie etwa Ex-Konzernchef Martin Winterkorn gerichtlich vorgehen wird und Schadensersatz verlangt. Der Konzern könnte sich dabei auf ein sogenanntes „Organverschulden“ berufen: Als Vorstandsvorsitzender hätte Winterkorn über alle wichtigen Vorgänge im Unternehmen Bescheid wissen müssen – also auch über die Probleme mit den Dieselmotoren.



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