Die frühere Professorin für Betriebliche Steuerlehre und Unternehmensprüfung an der Fachhochschule Bielefeld beobachtet, dass die „Kaufpreise bei Unternehmenszusammenschlüssen aufgrund der positiven Zukunftserwartungen an Synergien und zukünftige Mittelzuflüsse oftmals ein Vielfaches des aktuellen Vermögens der Kaufobjekte betragen“. Wachstum, so Thormann, finde „bei einigen Unternehmen nicht mehr vorrangig organisch statt, sondern durch regelmäßige Unternehmenskäufe“. Ein Motiv könnte sein, dass der Jahresgewinn der Unternehmen „nicht durch planmäßige Abschreibungen des Goodwill belastet wird“. Ein harscher Vorwurf: Statt mühevoll und (zunächst) zulasten des Gewinns ihr Unternehmen weiterzuentwickeln, wird wegen laxer Bilanzvorschriften auf Teufel komm raus akquiriert. Zudem, so der Verdacht, rechnen Unternehmen das Vermögen ihrer neuen Töchter absichtlich klein, und den Goodwill hoch. Grund: Lizenzen, Patente oder Gebäude müssen regelmäßig abgeschrieben werden; Goodwill eben nicht. „Dort gibt es eben nur butterweiche Bewertungsparameter“, sagt Leibfried von der Uni St. Gallen.
Deshalb ziehen viele Unternehmen ihre einst gezahlten Übernahmeprämien durch die Bilanz, komme was wolle. Beispiel Fresenius Medical Care (FMC). Die Hessen schlossen im Jahr 2006 den Kauf der US-Dialysetochter Renal Care ab. Vom Gesamtkaufpreis über 4,16 Milliarden Dollar entfielen gleich 3,39 Milliarden oder 81,5 Prozent auf die Position Goodwill, gerade einmal 770 Millionen Dollar an echtem Vermögen wurden identifiziert. FMC zahlte also eine irrsinnig anmutende Prämie von 440 Prozent auf die Renal-Werte. Auch heute noch steht diese Prämie vollständig als Vermögen in der Bilanz. Dabei lahmten zuletzt die Geschäfte: 2013 konnte FMC den Mittelzufluss aus dem laufenden Geschäft gerade mal stabil halten. Grund sind Sparpläne im US-Gesundheitswesen, die Erstattungen für die Dialyse betreffen.
Sorglose Zukäufe
Kein großes Interesse an Abschreibungen zeigt auch ein anderer Konzern, der viele Geschäfte mit Krankheiten betreibt. Der Bayer-Konzern hatte 2006 den Konkurrenten Schering für rund 17 Milliarden Euro übernommen. Effekt: Die Firmenwerte sprangen im selben Jahr von 2,6 auf 8,2 Milliarden Euro. Abwertung seither: null Euro. Grund: Jahr für Jahr „erachtet“ der Bayer-Vorstand die „vorgenommenen Schätzungen“ für „angemessen“, wie es im Geschäftsbericht 2013 zu den Firmenwerten heißt. Und die Aufsichtsräte nicken diese Schätzungen munter ab. Wer über Jahre nach Übernahmen kein Haar in der Suppe findet, der kleckert nicht. Obwohl der Bayer-Goodwill schon zuletzt bei knapp zehn Milliarden Euro oder annähernd 50 Prozent des Eigenkapitals lag, trauen sich die Leverkusener, noch eins draufzupacken. Zumindest ist es äußerst unwahrscheinlich, dass Bayer nach seiner jüngst annoncierten Übernahme des Geschäfts mit rezeptfreien Medikamenten von der amerikanischen Merck & Co. über 14,2 Milliarden Dollar nicht erneut Milliarden an Goodwill kreiert. Für Produkte etwa zur Fußpflege zahlt Bayer einen frappierend hohen Preis: gleich das 21-Fache des Gewinns vor Steuern, Zinsen, Abschreibungen und Amortisation (Ebitda). Schon Preise um das Zehnfache Ebitda gelten gemeinhin als teuer. Je höher der Preis, gemessen am Gewinn des Kaufobjektes, desto höher der Goodwill, so ist es meist die Regel.