Mögliche Angriffe unter Wasser Attacken auf Seekabel: Das unterschätzte Risiko am Meeresgrund

Nach der Zerstörung von Kommunikationsleitungen und einer Gaspipeline in der Ostsee zwischen Finnland und Estland untersuchen Soldaten der estnischen Marine im Herbst 2023 das Schadensgebiet. Quelle: via REUTERS

Sicherheitsexperten wissen es längst: Ein koordinierter Angriff auf die wichtigsten Seekabel würde die westliche Wirtschaft schwer treffen. Dennoch sind sie quasi ungeschützt.

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Die erste Befürchtung – ein direkter Anschlag der Huthi-Rebellen auf die Datenleitungen am Grund des Roten Meeres – bewahrheitete sich zum Glück nicht. Und trotzdem fehlt bis heute rund ein Viertel der Übertragungskapazität im Datenverkehr zwischen Europa und Asien, seit der Anker eines Frachters Anfang März drei Hochleistungsglasfaserkabel vor der Küste des Jemen zerrissen hatte

Über die verlaufen die Telefon- und Internetverbindungen zwischen den Kontinenten. Der Frachter allerdings war vorher tatsächlich beschossen worden und untergegangen, nachdem die Besatzung das Schiff verlassen und den Anker geworfen hatte. 

So ungewöhnlich der Auslöser sein mag, so vergleichsweise regelmäßig kommt es doch zu Aussetzern im globalen Datenverkehr. „Pro Jahr gibt es mindestens hundert schwerwiegenden Kabelschäden weltweit, im Durchschnitt also ein Schaden alle drei Tage“, sagt Peter Jamieson. Er ist Vizevorsitzender des Verbandes Europäischer Seekabelbetreiber ESCA. „In europäischen Gewässern sind es jährlich 20 bis 30 Fälle.“ 

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Mehr als 400 Seekabelstränge mit insgesamt mehr als 1,3 Millionen Kilometern Länge umspannen den Globus. Sie bilden das Rückgrat der weltweiten digitalen Kommunikation. „Mehr als 99 Prozent des globalen Kommunikationsverkehrs verläuft über die Unterseekabel“, sagt Jamieson, „nur ein Bruchteil läuft noch über Satellitenverbindungen.“ 

Anders als bei den Containerschiffen ist die Verletzlichkeit der digitalen Infrastruktur jedoch noch kaum ein Thema. Dabei sind die submarinen Datenkabel die Arterien für die globale digitale Ökonomie. Und der Datenstrom, der durch sie fließt, ist so etwas wie der Pulsschlag der Weltwirtschaft. 

1,3 Millionen Kilometer Angriffsfläche

Wer ihn ins Stocken bringen will, weiß, wo er ansetzen muss. Denn 1,3 Millionen Kilometer Kabelstrecke bedeuten nahezu unendliche Möglichkeiten für Attacken. Bisher ist das jedoch nur ein theoretisches Risiko: „Absichtliche Sabotage ist extrem selten“, sagt Jamieson, „offiziell bestätigte Fälle sind nicht bekannt.“

Was nicht bedeutet, dass es sie nicht gibt. Im Oktober 2022 etwa kappten Unbekannte in Südfrankreich Seekabel an einer Stelle, wo diese an Land kommen. Fast zeitgleich wurde die einzige Kabelverbindung zwischen Schottland und den Shetlandinseln im Nordatlantik zerstört. Eine Woche zuvor war die Kabelverbindung zwischen den Shetland- und den Färöer-Inseln zerstört worden. 

Bis heute ist ungeklärt, was genau die Schäden in der Nordsee verursacht hat – anders im Fall der Ende Oktober 2023 beschädigten Unterwasser-Gaspipeline Balticconnector sowie parallel verlaufenden Kommunikationskabeln. Dort fiel der Verdacht nach kurzer Zeit auf einen chinesischen Frachter. Auch der soll die Leitungen mit seinem Anker gekappt haben.

Die Fälle mögen bislang Ausnahmen sein, sie werfen ein Schlaglicht auf eine Achillesferse der globalen Kommunikation. „Seabed warfare“ ist der militärische Begriff für Angriffe speziell ausgerüsteter Marineeinheiten, die mit eigens dafür ausgerüsteten U-Booten die sensiblen Kabelstrecken kappen können. 

Aus dem Werkzeugkasten der Geheimdienste

Es ist ein Horrorszenario für Netzbetreiber und Militärs, die wissen, dass sich die Kabeltrassen unterm Meer nicht wirksam sichern lassen. Das machen sich seit Kalten-Kriegs-Zeiten auch Heerscharen von Spionen zunutze, die immer wieder die Leitungsstränge anzapfen und Datenflüsse abgreifen. „Das gehört zum Instrumentarium eines jeden großen Geheimdienstes“, so Manuel Atug, Gründer und Sprecher der Arbeitsgruppe Kritis, die sich mit der Versorgungssicherheit in Deutschland beschäftigt.

Vor der Küste des Jemen aber war es wohl tatsächlich „nur“ ein Unfall, dass der treibende Frachter drei der dort mehr als 15 durch die Meerenge verlaufenden Datenleitungen kappte. „Vereinfacht gesagt, ist es halt dumm gelaufen“, sagt Thomas King, Technologiechef und Vorstandsmitglied beim Unternehmen DE-CIX, einem der weltgrößten Internetknotenbetreiber mit Sitz in Frankfurt. 

Bedrohliche Engstelle im globalen Datenverkehr

Doch so entspannt, wie das klingt, ist die Branche der weltumspannenden Datennetzbetreiber mindestens mit Blick auf die Leitungen vor dem Jemen nicht. Denn tatsächlich, fürchtet mancher in der Szene, könnte die Seeenge am Roten Meer vor Jemen auch zu einer bedrohlichen Engstelle im globalen Datenverkehr werden. 

Nennenswerte, vergleichbar leistungsstarke Ausweichrouten für den Datenaustausch zwischen Europa und Asien gibt es nicht. Die Leitungskapazität der um Afrika herumführenden Kabelstrecken ist viel zu gering, um die sonst durchs Rote Meer gerouteten Datenvolumen zu übermitteln. 

Den Verkehr durch Leitungsstrecken über den Atlantik Richtung USA und dann weiter durch den Pazifik nach Asien zu vermitteln, wäre zwar technisch möglich. Doch praktisch ist auch das keine ernsthafte Alternative: Die Übertragungen würden wegen der drastisch längeren Laufzeiten westwärts um den Globus herum für viele IT-Echtzeitanwendungen schlicht zu lange dauern.

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So hofft die Branche inständig, dass möglichst bald Kabelverlegeschiffe ins Rote Meer einlaufen und die zerstörten Leitungsstrecken reparieren können. „Aber momentan ist völlig unsicher, ob die Huthis das zulassen würden“, sagt ein Manager eines Leitungsbetreibers. Und so ist bisher unklar, wann die Schäden behoben sind. „Konkrete Infos habe ich nicht, aber man hört aus der Szene, dass es derzeit eher schwierig sein soll, Ressourcen für Reparaturen in der Gegend zu bekommen“, sagt DE-CIX-Manager King. „Und das würde mich nicht wundern.“

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