Infrastruktur unter Wasser Anschlagsziel Seekabel: So verwundbar ist der globale Datenverkehr

Ein Untersee-Internetkabel. Quelle: dpa Picture-Alliance

Die Zerstörung von Internet-Seekabeln vor Taiwan zeigt, wie verletzbar der globale Datenverkehr ist. Zwar steht eine Armada von Spezialschiffen bereit, um solche Schäden zu reparieren. Bei einem gezielten Großangriff wären die Folgen dennoch dramatisch.

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Die jüngsten Spekulationen über die Hinterleute der Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines im vergangenen Herbst lenken erneut das Augenmerk auf die Verletzbarkeit kritischer Infrastrukturen auf dem Meeresgrund. Und auf die Frage, wie sich neben Pipelines insbesondere auch die dort verlegten Seekabel schützen lassen. Denn über sie verläuft der überwiegende Teil des globalen Internet- und Telefonverkehrs. Ein Angriff auf dieses zentrale Element des Internets, davon sind Experten überzeugt, hätte für die Weltwirtschaft gravierende Folgen.

Wie dramatisch sich so ein Ausfall auswirken kann, zeigte sich gerade erst wieder vor der Küste Chinas. Dort ist eine zu Taiwan gehörende Inselgruppe seit Tagen vom Internet abgeschnitten, nachdem zwei dorthin führende Seekabel beschädigt worden. Die 19 Matsu-Inseln liegen nur ein paar Dutzend Kilometer vor der Küste des chinesischen Festlands, sind zugleich aber knapp 200 Kilometer von Taiwan entfernt.

Nach den Informationen der taiwanischen Telekommunikationsbehörde NCC sei das erste Kabel Anfang Februar durch ein chinesisches Fischerboot durchtrennt worden, das zweite wenig später wohl durch den Anker eines Frachtschiffes. Noch ist unklar, ob die Vorfälle vor Taiwan Folge von Zufällen oder doch von gezielter Sabotage sind. 

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von Max Biederbeck, Thomas Kuhn, Thomas Stölzel

Für Letzteres spricht, dass die Leitungen zu den Matsu-Inseln in den vergangenen Jahren bereits mehrfach beschädigt wurden. Andererseits gehören mechanische Schäden zu den häufigsten Ursachen für Störungen im globalen Datenverkehr über Seekabel. Dieses Netzwerk von an die 500 interkontinentalen Glasfaserkabeln, die die Kontinente verbinden, ist so etwas wie das zentrale Nervensystem des Internetverkehrs.

Sensible Datenrennbahn unter dem Atlantik

Das gilt besonders für die Nordatlantikroute. Sie hat mit fast 20 Glasfaserkabeln die größte regionale Kapazität im globalen Datenverkehr. Allein von 2020 auf 2021 wuchs sie nach Berechnungen des auf globale Datenverkehre spezialisierten Beratungsunternehmens Telegeography um rund 90 Terabit pro Sekunde (Tb/s) auf etwa 450 Tb/s. 2022 kamen weitere gut 135 Tb/s dazu. 

Zusätzliche Kapazität, die es dringend braucht, wie Zahlen des Netzwerkausrüsters Cisco belegen. Laut einer Hochrechnung dürfte allein die 2022 weltweit übers Internet verschickte Datenmenge der Summe aller bis 2016 via Internet ausgetauschten Daten entsprechen.

Umso brisanter ist, wenn die Verbindungen ausfallen. „Rund 100 Mal pro Jahr kommt es zu größeren Schäden an diesen Leitungen“, sagt Alan Mauldin, Infrastrukturexperte bei Telegeography. Einer der schwersten Vorfälle in jüngerer Zeit in Westeuropa war dabei im vergangenen September die Zerstörung gleich mehrerer Unterseekabel vor der südfranzösischen Küste.

Die Kappung von drei Glasfaserleitungen am Abend des 19. Oktober führte zu mehrstündigen Engpässen und Verzögerungen im Datenverkehr zwischen Europa, Asien und den USA. Jay Chaudhry, Chef des IT-Sicherheitsunternehmens Zscaler bezeichnete den Vorfall wenig später zwar als „Akt von Vandalismus“, dennoch ist bis heute ungeklärt, wer die Schäden in Südfrankreich verursacht hat. Im Fall einer wenige Tage zuvor aufgetretenen Störung an einer Leitung im Nordatlantik, die die Färöer- mit den Shetlandinseln verbindet, meldete der Betreiber einen Schaden durch das Schleppnetz eines Fischtrawlers.

Zwei Drittel der Schäden durch Anker oder Fischerei

Tatsächlich fällt der weit überwiegende Teil der Leitungsstörungen nach Einschätzung von Fachleuten wie Mauldin in die Kategorie derartiger Unfälle: „Etwa zwei Drittel der Fälle werden durch Anker oder Fischerei verursacht“, so der Experte. Hinzu kämen Schäden durch natürliche Ursachen wie Erdbeben oder Stürme sowie das Versagen von technischen Komponenten.

Die Datenverkehre nach einer Störung kurzfristig auf Satellitenverbindungen umzuschalten, ist kaum möglich. Nicht bloß, weil die verfügbaren Kapazitäten im All nicht im entferntesten ausreichen, um die Datenmengen aus den Meeresleitungen aufzunehmen. Wegen der deutlich längeren Übertragungsstrecken – von der Erde ins All, dort teils von Satellit zu Satellit und dann wieder zurück zur Erde – sind die orbitalen Funkverbindungen in der Regel auch langsamer als Übertragungen durch die Tiefsee. Gerade im Echtzeithandel der globalen Finanzströme, bei dem es bei Orders und Verkäufen teils auf Millisekunden ankommt, können solche Verzögerungen über Gewinne und Verluste in Millionenhöhe entscheiden.

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von Thomas Stölzel

Slalom um Vulkane, Gräben und Wracks

Entsprechend intensiv versuchen die Betreiber der Tiefseekabel – neben nationalen Kommunikationskonzernen zunehmend auch große IT-Konzerne wie Google, Facebook oder IBM – ihre Leitungen gegen gezielte oder zufällige Beschädigungen zu schützen. „Vor allem in flacheren Gewässern und dort, wo sie an Land verlaufen, werden die Kabel mehrere Meter tief vergraben“, sagt Telegeography-Experte Mauldin. Zudem lägen die Kabel zwischen den Kontinenten auf dem Meeresboden manchmal in tausenden Metern Tiefe. Dabei folgten sie sorgfältig geplanten Routen, um das Risiko von Beschädigungen durch Erdbebengebiete, unterseeische Vulkane, Gräben oder Wracks sowie andere Gefahren zu minimieren.

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Doch nicht immer reicht das aus. Und so hilft nach einem Schaden nur eine möglichst rasche Reparatur der Infrastruktur. Dafür halten spezialisierte Dienstleister entlang der wichtigsten Leitungsstrecken rund um den Globus eine kleine Armada von Verlege- und Reparaturschiffen einsatzbereit. Kommt es zu einer Störung, beordern die Leitungsbetreiber die schwimmenden Reparaturwerkstätten schnellstmöglich zur Schadensstelle.

Erste Aufgabe dabei ist, zunächst den genauen Ort eines Defektes zu identifizieren. Wo der liegt, können die Netzwerkmanager in der Regel mithilfe der entlang der Glasfasern auf dem Meeresboden versenkten elektronischen Verstärker auf meist 50 bis 100 Kilometer genau lokalisieren. Dazu messen sie von beiden Enden der Leitung durch, welche der Verstärker noch erreichbar sind. Dort, wo das Signal nicht mehr weiter kommt, müssen die Reparaturtrupps die beschädigte Stelle suchen. Ist sie gefunden, kappen die Reparateure zunächst die Leitung am Defekt.

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Je nach Tiefe, in der das Kabel liegt, kommen dabei Taucher zum Einsatz, vielfach aber auch spezielle, ferngesteuerte Tauchroboter. Die schneiden das zerstörte Teilstück heraus und heben nacheinander beide Enden hoch. An Bord der Reparaturschiffe setzen Fachleute an der Schadensstelle ein Stück intakter Leitung ein und legen schließlich alles wieder am Meeresboden ab. Wie rasch sich ein Defekt beheben lässt, hängt neben der Verfügbarkeit der Spezialschiffe auch von der geographischen Lage der Störung ab. „So eine Reparatur kann zwischen ein paar Tagen bis ein paar Monaten dauern“, sagt Mauldin.

Wochenlang warten auf die Reparatur des Internets

Im Fall der Kabel vor Südfrankreich waren die Reparaturen im vergangenen Herbst bereits nach nicht einmal einer Woche abgeschlossen. Die Störung in Taiwan hingegen dürfte noch mehrere Wochen andauern. Laut Berichten örtlicher Medien werde das erforderliche Spezialschiff erst gegen Ende April an der Schadensstelle eintreffen und die Reparatur zudem mindestens eine Million Dollar kosten.

In der Zwischenzeit muss eine Mikrowellenfunkverbindung des taiwanischen Netzbetreibers Chunghwa Telecom die Lücke überbrücken und den rund 12.000 Inselbewohnern zumindest einen rudimentären Onlinezugang ermöglichen. Doch mehr als eine Notlösung ist die Funkstrecke nicht, wie Betroffene berichten. „Die Übertragungen sind langsam, unzuverlässig und brechen bei schlechtem Wetter auch schon mal komplett ab.“

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Alles andere als beruhigende Aussichten also für den globalen Datenverkehr, sollte es tatsächlich einmal zu einer gezielten und schweren Attacke auf die interkontinentalen Tiefseeleitungen kommen.

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