Lebensmittel So schmeckt die Zukunft

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Kollektion von Geschmacksessenzen Quelle: AP Photo

Der Mangel an Alternativen erklärt, warum die Lebensmittelhersteller bei der Reduktion vom Salz noch nicht so weit sind wie etwa bei der Zuckerreduktion. So hat Nestlé in den vergangenen acht Jahren weltweit insgesamt 7000 Tonnen Salz weniger verarbeitet. Beim Zucker konnte der Konzern dagegen in sechs Jahre schon 230 000 Tonnen einsparen. Denn hier gibt es seit Jahrzehnten Ersatzstoffe.

Für alle neuen Geschmackssubstanzen hat die Aroma-Industrie immer wieder eine riesige Hürde zu überwinden: „Sie müssen für die industrielle Zubereitung von Lebensmitteln tauglich sein“, sagt Kim Gray, Anwendungsforscherin bei Givaudan in Cincinnati. Im dortigen US-Hauptquartier hat das Unternehmen einen Schwerpunkt seiner Geschmacksforschung eingerichtet. Denn die meisten Geschmacksstoffe sind mimosenhaft instabil. Da ist es mitunter eine Wissenschaft für sich, sie stabil durch den Produktionsprozess zu bugsieren. Anders als Salz und Zucker sind die meisten von ihnen leicht flüchtig, reagieren mit dem Luftsauerstoff zu faden oder eklig schmeckenden Abbauprodukten und mögen es weder zu heiß noch zu kalt. „Im Zweifelsfall muss ein Aroma aber dennoch sogar die Fritteuse überleben“, sagt Gray.

Heißes Wasser befreit die Aromen

Um diese Probleme zu lösen, treffen sich Gray und ihre Forscher immer wieder mit den Kunden aus der Lebensmittelfertigung und gehen deren gesamten Herstellungsprozess durch: Wo könnte das Aroma leiden oder kaputtgehen? Vor allem aber: Mit welchen modernen Techniken lässt es sich schützen?

Schon seit Jahrzehnten hilft die sogenannte Mikroverkapselung den Aromaherstellern bei der Arbeit: Sie schützt die Stoffe vor schädlichen Umwelteinflüssen. Hinter dem Schlagwort verbergen sich sehr viele unterschiedliche Verfahren. Einige machen zum Beispiel leicht flüchtige Fruchtaromen so stabil, dass sie in Instant-Tees oder Teebeuteln monatelang unbeschadet überleben. „Erst wenn man sie mit heißem Wasser aufgießt, wird das Aroma wieder frei“, freut sich Fabio Campanile, Direktor des Givaudan-Forschungsbereichs Flavor Delivery. Viele neue Verkapselungstechniken sind inzwischen viel ausgefuchster als entsprechende Methoden in der Medizin: „Die Kapseln mit medizinischen Wirkstoffen müssen nur heil im Magen ankommen, ohne im Mund bitter zu schmecken“, sagt Susanne Spiller, die sich bei Symrise seit Mitte der Neunzigerjahre mit der Mikroverkapselung von Aromen beschäftigt und heute die Entwicklung für Kaugummi und Süßwaren leitet.

Anders als bei einer Tablette soll bei Lebensmitteln das Aroma schon auf der Zunge frei werden. Gerade bei Kaugummis sei das laut Spiller aber gar nicht so einfach, weil etwa 80 Prozent des Aromas gar nicht freigesetzt werden: „Auch durch intensivstes Kauen kommt das Aroma nicht aus der Masse heraus, es bleibt regelrecht kleben.“ Weil Kaugummis in ihren winzigen Packungsgrößen aber auf enorm hohe Kiloverkaufspreise von 40 Euro und mehr kommen, werden bei ihnen die teuersten und modernsten High-Tech-Verkapselungsmethoden erprobt. Etwa solche, die erst nach und nach das Aroma freigeben, sodass der Kaugummi auch noch nach 15 bis 20 Minuten kräftig nach Pfefferminze schmeckt.

Dank dieser Technik lassen sich übrigens auch ganz neue Geschmackserlebnisse kreieren: wie das serielle Schmecken. Denn in die Mikrokapseln können auch unterschiedliche Aromen eingearbeitet werden. Im Flavor Creation Lab in Cincinnati haben die Givaudan-Techniker schon einen Knusperriegel gebacken, der drei verschiedene Geschmacksrichtungen nacheinander entfaltet: Erst schmeckt er nach Orange, beim Weiterkauen nach Waldfrucht und kurz vor dem Herunterschlucken nach Banane.

Noch ist der Riegel nur ein Demonstrationsobjekt für Laborbesucher. Doch einen Kaugummi, der seine Geschmacksrichtungen wechselt wie ein Chamäleon die Farbe, gibt es in den USA seit wenigen Monaten. Erstaunlicherweise bewirbt der Hersteller, den Givaudan nicht nennen darf, die Sache nicht offensiv. Was den Geschmacksfänger Peppet aber noch viel mehr erstaunt: „Das Produkt ist für Erwachsene gedacht, nicht für Kinder. Die würden so etwas doch toll finden.“

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