So wie in Friedrichshafen am Bodensee an einem Donnerstag im April. Resch trägt die Ergebnisse von sieben Monaten Dieselgate-Kampagne. Der 56-Jährige steht in einem schwarz angestrichenen Raum der örtlichen Zeppelin-Universität. „Wie Umweltrecht von Wirtschaft und Staat unterlaufen wird … und was Umweltverbände dagegen tun können!“, hat er seinen Vortrag betitelt. Resch findet an diesem Abend mal wieder markige Worte für die Branche. Daimler-Chef Dieter Zetsche etwa bezichtigt er der „tausendfachen Körperverletzung mit Todesfolge“, weil dessen Autos bei unter zehn Grad Außentemperatur ihre Abgasreinigung weitgehend einstellten.
Die gesamte deutsche Autoindustrie agiere „weitgehend außerhalb des Rechtssystems“. Der Staat sei ein „Mittäter“, der aus Rücksicht auf die Industrieinteressen die Rechte der Verbraucher nicht durchsetze.
Die deutsche Autoindustrie ist von solchen Tönen natürlich wenig begeistert. Sie wähnt ihren Ruf durch die populären Aktionen der DUH in Gefahr. Und so suchten die Konzerne – allen voran Daimler – Kontakt zum umtriebigen Umweltschützer am Bodensee. Am 2. Dezember 2015 kam es tatsächlich zu einem Treffen. Auf Betreiben von Wolfgang Scheunemann, bis 2004 Technologie- und Umweltkommunikator bei Daimler, dann unterwegs in Sachen Nachhaltigkeit, Gründer des „Deutschen CSR-Forums“, trafen sich Daimler-Konzernsprecher Jörg Howe und Jürgen Resch in Radolfzell. Man unterhielt sich über Abgaswerte und die Messungen der Umwelthilfe, Resch referierte seine Geschichte, Ex-Daimler Sprecher Scheunemann, den Resch als „jahrzehntelangen engen Freund“ beschreibt, sekundierte. Am Ende verabrede man sich, die Gespräche fortzusetzen, diesmal mit Daimler Forschungsvorstand Thomas Weber. Scheunemann sollte alles einfädeln.
Doch zu dem Treffen kam es nie.
Der VW-Abgas-Skandal im Überblick
Die US-Umweltbehörde EPA teilt in Washington mit, Volkswagen habe eine spezielle Software eingesetzt, um die Messung des Schadstoffausstoßes bei Abgastests zu manipulieren. In den Tagen darauf wird klar, dass weltweit Fahrzeuge von VW und der Töchter betroffen sind – darunter auch Audi und Porsche. Die VW-Aktie bricht ein.
VW-Chef Martin Winterkorn tritt nach einer Krisensitzung der obersten Aufseher zurück. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig prüft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen VW. Anlass dafür seien auch eingegangene Strafanzeigen von Bürgern, heißt es.
Der VW-Aufsichtsrat tagt. Nach langer Sitzung beruft das Gremium Porsche-Chef Matthias Müller zum neuen Konzernchef und trifft einige weitere Personal- und Strukturentscheidungen. Verantwortliche Motorenentwickler werden beurlaubt.
Nach mehreren Strafanzeigen startet die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsvorwürfen. Entgegen einer ersten Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Braunschweig gibt es keine Ermittlungen gegen Ex-Chef Martin Winterkorn persönlich.
Das Aufsichtsrats-Präsidium beschließt, Hans Dieter Pötsch per registergerichtlichen Anordnung in den Aufsichtsrat zu berufen. Das ist möglich, weil mehr als 25 Prozent der Aktionäre Pötsch favorisiert haben. Die Familien Porsche und Piëch, die Pötsch gegen die Bedenken des Landes Niedersachsens und der Arbeitnehmer durchgesetzt haben, halten über die Porsche SE rund 52 Prozent der VW-Anteile. Julia Kuhn-Piëch, die erst dieses Jahr nach dem Rücktritt von Ferdinand und Ursula Piëch in das Kontrollgremium aufgerückt war, verlässt den Aufsichtsrat wieder.
Es ist klar, dass die betroffenen VW-Fahrzeuge in die Werkstatt müssen, damit die Schummel-Software verschwindet. Bei einigen Motorenwerden die Techniker selbst Hand anlegen müssen. Eine Rückruf-Aktion, so wird es am nächsten Tag bekannt werden, soll 2016 starten. Die geschäftlichen und finanziellen Folgender Krise sind nicht absehbar. Die Kosten der Abgas-Affäre werden jedoch enorm sein. Der neue Chef muss sparen: "Deshalbstellen wir jetzt alle geplantenInvestitionen nochmal auf denPrüfstand", kündigt Müller an.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnet einen verpflichtenden Rückruf aller VW-Dieselautos mit der Betrugssoftware an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,4 Millionen Wagen in die Werkstatt. VW hatte eine freiwillige Lösung angestrebt.
Der Skandal beschert dem Konzern im dritten Quartal einen Milliardenverlust. Vor Zinsen und Steuern beläuft sich das Minus auf rund 3,5 Milliarden Euro.
Der Skandal erreicht eine neue Dimension. VW muss - nach weiteren Ermittlungen der US-Behörden - einräumen, dass es auch Unregelmäßigkeiten beim Kohlendioxid-Ausstoß (CO2) gibt. Rund 800.000 Fahrzeuge könnten betroffen sein. Die VW-Aktie geht erneut auf Talfahrt.
Der Diesel-Skandal in den USA weitet sich aus. Erneut. Es seien mehr Drei-Liter-Diesel der Marken Volkswagen und Audi betroffen, als bislang angenommen, erklärt die US-Umweltbehörde EPA. Die Autobauer bestreiten dies zunächst. Wenige Tage später, am 24. November, müssen sie allerdings einräumen, ein sogenanntes „Defeat Device“ nicht offengelegt zu haben. Die Software gilt in den USA als illegal.
Die Auswirkungen des Skandal zwingen VW zudem zum Sparen: VW fährt die Investitionen für das kommende Jahr runter. 2016 sollen die Sachinvestitionen um eine Milliarde Euro verringert werden. „Wir fahren in den kommenden Monaten auf Sicht“, sagt VW-Chef Müller. Weitere Ausgaben bleiben auf dem Prüfstand.
Neuer Ärger für Volkswagen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt nun auch wegen mögliche Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit falschen CO2-Angaben. Die könnten dazu geführt haben, dass zu wenig Kfz-Steuer gezahlt wurde.
Zumindest etwas Positives für die Wolfsburger: Zur Nachrüstung der millionenfach manipulierten Dieselmotoren mit 1,6 Litern Hubraum in Europa reicht nach Angaben von Volkswagen ein zusätzliches, wenige Euro teures Bauteil aus. Bei den 2,0-Liter-Motoren genügt ein Software-Update. Das Kraftfahrtbundesamt genehmigt die Maßnahmen. Auch wenn VW keine Angaben zu den Kosten macht – es hätte schlimmer kommen können.
Der Autobauer und die Umwelthilfe hatten unterschiedliche Interessen über den Inhalt des Gesprächs. Daimler wollte seine neueste Dieseltechnologie präsentieren, Resch über die Fehler der Vergangenheit reden. Nach einigem Hin- und her wurde der Termin schließlich abgesetzt. Seither „ist das Tischtuch zerschnitten“, sagt Gesprächsvermittler Scheunemann.
„Ich kam zu Herrn Resch als Zeichen des Dialogs. Ich dachte nach dem Gespräch wirklich, wir hätten eine konstruktive Basis gefunden“, sagt Howe dazu heute. Es gibt Leute, die glauben: In Wahrheit habe Resch den Anschlusstermin doch gar nicht wahrnehmen, sondern nur testen wollen, wie weit Daimler gegangen wäre. „Der Ton von Herrn Resch war von Anfang an so, dass auch wir irgendwann den Ton verschärft haben“, sagt Howe. Eines jedenfalls, meint er, sei ja klar: „Vieles von dem, was Resch sagt, ist Interpretation. Wir kennen die Rahmendaten seiner Tests nicht. Uns würde man sowas um die Ohren hauen.“
Auch bei den anderen Autokonzernen ist man auf Resch nicht gut zu sprechen. „Es wird Sie nicht verwundern, dass wir die von Ihnen zitierten Einschätzungen von Herrn Resch nicht teilen“, schreibt ein BMW-Sprecher auf Anfrage. „Plakative Zuspitzungen“ seien für eine sachliche Diskussion nicht hilfreich. Von anderen Vertretern der Branche heißt es, die DUH versuche, die Branche unter Generalverdacht zu stellen, arbeite dabei aber mit nicht-belegbaren Daten. „Da stellt man sich schon die Frage: geht es um Wahrheitsfindung oder ist das eine Kampagne?“ Es sei ja legitim, wenn Lobbygruppen um öffentliche Aufmerksamkeit kämpften. „Aber Herrn Resch fehlt Maß und Mitte.“