So funktioniert der Supermarkt-Service von Amazon
Mit ein paar Klicks wandern Tomaten, Eis und Salami-Pizza in den Warenkorb. Tags darauf wird aufgetischt. 85.000 Produkte bietet der Online-Primus Amazon über seinen neuen Lebensmittel-Lieferdienst Fresh an, der am vergangenen Donnerstag in Berlin und Potsdam startete. Die Auswahl ist groß, die Zustellung schnell, die Kosten halten sich im Rahmen. Kein Frage: Amazon drängt mit Verve in das rund 200 Milliarden Euro schwere Geschäft mit Lebensmitteln. „Wir glauben, dass unser Konzept Kunden einen Mehrwert bietet“, sagt Jeff Wilke, die Nummer zwei im Konzern hinter Gründer Jeff Bezos.
Das klingt bescheiden. Doch Branchenkenner trauen dem Internetgiganten zu, den Onlineanteil im deutschen Brot-und-Butter-Business von bisher mageren 1,2 Prozent entscheidend zu steigern. Dabei geht es um weitaus mehr als um Salatköpfe und frische Gurken per Post.
Schon heute schürt die Omnipräsenz des Konzerns Ängste. Amazon verkauft schließlich nicht nur Waren, sondern produziert eigene TV-Serien, drängt über eine Alexa getaufte Sprachsteuerung ins vernetzte Heim. Jetzt schickt sich der Gigant an, die letzte onlinefreie Bastion im Handel zu schleifen – zulasten stationärer Riesen wie Edeka, Rewe und Aldi. Amazon allmächtig?
Amazon Fresh wird ein Millionen-Geschäft in Deutschland
In Teilen Berlins und Potsdams können Amazon-Kunden über den neuen Dienst Fresh frische Lebensmittel über das Internet bestellen. Geliefert wird per DHL-Bote.
Mit Prime Now verspricht Amazon die Lieferung tausender Produkte des täglichen Bedarfs in 2-Stunden-Fenstern. Derzeit wird es in Berlin und München angeboten. Im Prime Now Sortiment enthalten sind unter anderem verpackte, frische und tiefgekühlte Lebensmittel, Getränke, verpacktes Obst und Gemüse, Artikel des täglichen Bedarfs, Elektronik, Kindle Geräte, Bücher, Spielwaren, Drogerieartikel, DVDs und Bekleidung.
Fresh: 0 Millionen Euro
Prime Now: 2,2 Millionen Euro
Quelle: LZ (LZ Retailytics)
Fresh: 11 Millionen Euro
Prime Now: 10 Millionen Euro
Fresh: 46 Millionen Euro
Prime Now: 35 Millionen Euro
Fresh: 66 Millionen Euro
Prime Now: 50 Millionen Euro
Fresh: 90 Millionen Euro
Prime Now: 70 Millionen Euro
Fresh: 120 Millionen Euro
Prime Now: 98 Millionen Euro
Anders als die deutschen Einzelhändler dürfte die Aussicht den Investor Peter Thiel kaum schrecken. Der in Frankfurt geborene Milliardär erzählt Gründern schließlich schon länger, dass ihr Ziel der Aufbau eines Unternehmens mit einer von der Konkurrenz unerreichten Profitquelle sein muss. Die könne dann alle anderen Aktivitäten stützen und finanzieren. „Monopole sind gut“, sagt Thiel. Allerdings gelte das nur für „kreative Monopole“, die Profite in immer neue Märkte stecken und so nicht nur die Wirtschaft, sondern – darunter macht er es nicht – auch die Menschheit voranbringen.
Beispiele dafür findet er im Silicon Valley etliche. So finanzieren die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin mit den Erlösen der Suchmaschine die Entwicklung selbstfahrender Autos, die Suche nach Medikamenten und – über eine Beteiligung am Start-up SpaceX von Tesla-Gründer Elon Musk – den kommerziellen Aufbruch ins Weltall. Auch Facebook-Schöpfer Mark Zuckerberg, in dessen Aufsichtsrat Thiel sitzt, will mit einer aus einem Teil der Einnahmen aus dem Netzwerk finanzierten Stiftung Krankheiten ausrotten.
Amazon-Chef Bezos passt perfekt in diese Reihe. Dabei hat er sich längst von den Wühltischen im Warenhaus entfernt. „Er formt aus Amazon einen Technologiekonzern mit angeschlossenem Onlinehandel“, sagt Mark Mahaney, Internetanalyst der Royal Bank of Canada. Fast 90 Prozent des Gewinns im ersten Quartal stammten aus dem Vermieten von Rechenleistung und Speicher via Internet an Unternehmenskunden wie Netflix und BMW. Dabei trägt die Sparte Amazon Web Services (AWS) bisher nur zehn Prozent zum Konzernumsatz bei. Bisher. „Es kann das größte Geschäft innerhalb Amazons werden“, sagt AWS-Chef Andy Jassy. „Wir sprechen von einem Markt, in dem Billionen von Dollar stecken.“
Kreative Monopole
Und in dem Amazon die absolut unangefochtene Nummer eins ist. „Weder Microsoft noch Google oder IBM reichen derzeit an sie heran“, meint John Dinsdale, Chefanalyst der Synergy Research Group aus San Francisco. AWS scheint eine schier unerschöpfliche Goldmine zu sein – und kommt Thiels Idee vom „kreativen Monopol“ damit ziemlich nahe.
Das sind Amazons nächste Projekte
Unter Amazon Dash versteht der Internetkonzern eine Art Einkaufsliste auf Knopfdruck. Die kleinen Aufkleber mit Taste können die Kunden einfach im Haus an das Waschmittel oder an das Hundefutter kleben - und wenn die Packung leer ist, per Knopfdruck schnell bei Amazon eine neue bestellen. Bisher ist der Service nur für Kunden des Premiumdienstes Amazon Prime in den USA und in Großbritannien erhältlich - für 4,99 US-Dollar je Button.
Mit "Amazon Handmade" macht der Online-Händler Anbietern wie Etsy oder DaWanda Konkurrenz. Auf dem Marktplatz will Amazon Künstler und Bastler versammeln, die individualisierbare Produkte verkaufen: Selbstgeschneiderte Kleider und Taschen, Schmuck, Armbänder, Möbel. Die Plattform befindet sich in den USA noch im Aufbau. Wer dort verkaufen will, kann sich jetzt schon bewerben. Allerdings kostet ein professioneller Verkäufer-Account knapp 40 Dollar im Monat, und Amazon will bei jeder Bestellung zwölf Prozent Provision einstreichen. Bei anderen Plattformen sind diese Konditionen weitaus günstiger für die Verkäufer - allerdings erreichen sie dort wahrscheinlich nicht so viele Kunden. Ob und wann Amazon Handmade auch nach Deutschland kommen soll, ist nicht bekannt.
Über seine Plattform "Amazon Home Service" vernetzt der Online-Händler in den USA Techniker, Handwerker und Trainer mit seinen Kunden in den Großstädten. Wer bei Amazon einen neuen Fernseher kauft, kann also gleich einen Techniker beauftragen, der den Fernseher anschließt und einrichtet. Auch Yoga-Stunden und Gitarren-Lehrer lassen sich über die Plattform buchen. Bis zum Jahresende will Amazons einen Service in 30 amerikanischen Großstädten anbieten.
In der Amazon-Heimatstadt Seattle fährt seit diesem Sommer der "Treasure Truck" - ein Lkw, vollgeladen mit Sonderangeboten. Kunden können die Waren auf dem Truck per App bestellen und direkt liefern lassen - zum Beispiel ein Surfboard für den Preis von 99 Dollar anstatt den üblichen 499 Dollar.
Prime Music ist der Musik-Streamingdienst von Amazon, eine Konkurrenz zu Spotify oder Apple. Wer Mitglied beim Amazon Premiumdienst Prime ist, kann den Service in den USA und auch in Großbritannien ohne Zusatzkosten nutzen. Allerdings verfügt Amazon bisher nur über eine Bibliothek von etwa einer Millionen Songs.
Amazon begnügt sich schon lange nicht mehr, Medien zu verkaufen - der Online-Händler produziert sie mittlerweile auch selbst. Über seinen Streamingdienst zum Beispiel hat Amazon die ersten Folgen der Serie "The Man in the High Castle" veröffentlicht. Darin geht es um die Frage: Wie würde die Welt aussehen, wenn die Nazis den zweiten Weltkrieg gewonnen hätten? Auch einen eigenen Kinofilm mit dem Titel "Elvis & Nixon" produziert Amazon. Was danach kommt? Wahrscheinlich ein eigenes Videospiel. Laut Medienberichten hat Amazon Entwickler von bekannten Spielen wie World of Warcraft oder Halo verpflichtet.
Mit den Erlösen von AWS kann Bezos seine als „Schwungrad“ bekannte Wachstumsformel weiter vorantreiben. Die besagt, dass ein immer größeres Angebot für die Kunden immer attraktiver ist, die deshalb immer mehr kaufen. Dadurch können die Preise sinken, die Logistik ist besser ausgelastet, die steigende Nachfrage erlaubt ein immer umfangreicheres Sortiment. Es entsteht ein Kreislauf, der sich selbst befeuert. Und Amazon immer wertvoller macht.
Während traditionelle US-Handelsketten wie Sears, Macy’s und Staples gerade einen Markt nach dem anderen schließen, könnte Amazon bereits 2018 mehr als 200 Milliarden Dollar umsetzen. Der Börsenwert liegt aktuell bei 453 Milliarden Dollar – fast doppelt so hoch wie der von Walmart, dem größten Einzelhändler der Welt.
Die Zahlen bestätigen Jonathan Taplin in der Ansicht, dass Thiels Monopol-Philosophie „eine gefährliche Irrlehre“ ist. Der ehemalige Professor für Kommunikation und Journalismus hat seine Wut über das Geschäftsgebaren der Hightechelite gerade in ein Buch gepackt, dessen Titel auf Deutsch etwa „Rasch handeln und plattmachen“ lauten würde. Bei aller Schönrederei, so sein Befund, ginge es den Konzernen letztlich nur um Kontrolle. „Google und Facebook sind die modernen Räuberbarone“, meint Taplin.
Wettbewerber, die den Giganten gefährlich werden könnten, würden einfach aufgekauft. So hat Facebook etwa Instagram und WhatsApp übernommen. Amazon wiederum kam beim Onlinewindelanbieter Quidsi erst zum Zuge, nachdem der Gigant den ursprünglichen Widerstand mit ruinösen Preissenkungen gebrochen hatte. Wer sich Offerten hartnäckig widersetzt, wird wie der Facebook-Wettbewerber Snapchat kopiert.
„Schon Obama wurde eingelullt“
Die Wurzel allen Übels sieht Taplin in der Annahme der Regulierer, dass Monopole unproblematisch sind, solange die Preise für Konsumenten nicht steigen. „Wir brauchen endlich eine vernünftige Wettbewerbspolitik“, fordert er. Doch daraus wird wohl nichts. „Der ehemalige Google-Chef Eric Schmidt hat mit dem Märchen vom kostenlosen Service schon Obama eingelullt“, klagt Taplin. Nachfolger Donald Trump hat sich zwar kritisch zur Macht der Webkonzerne geäußert, aber auch angekündigt, regulatorische Hürden einzureißen. Das ist ganz im Sinne von Investor Thiel, der Trump berät und mit seinem einflussreichen Schwiegersohn Jared Kushner befreundet ist.
Er wird beide in dem Glauben bestärken, dass europäische Wettbewerbshüter Google, Facebook und Amazon mit Ermittlungen gezielt schwächen wollen. Dabei betont Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager gerne, dass sie nichts gegen große Unternehmen habe. Nur wenn ein Konzern seine dominante Position ungerechtfertigt ausnutzt, schreiten die EU-Kartellhüter ein.
Schon seit 2010 prüft die Kommission, ob das bei Google der Fall ist. Die Suchmaschine, deren Anteil in Deutschland bei fast 90 Prozent liegt, soll Ergebnisse so manipuliert haben, dass Angebote eigener Unternehmen weit oben platziert wurden. Das Beispiel zeigt, wie schwer es ist, einer Branche Einhalt zu gebieten, die sich rasend schnell entwickelt. „Als der Fall begann, bedeutete eine Suche im Internet, dass wir am Tisch saßen und auf einen großen Schirm sahen“, sagt Vestager. „ Heute suchen wir zumeist auf unseren Smartphones – auf sehr viel kleineren Bildschirmen.“ Ihre Beamten arbeiten nun an Auflagen, die Angebote anderer Unternehmen sichtbar machen. Das ist eine Riesenherausforderung – nicht nur der kleinen Bildschirme wegen.