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Ein Architekturbüro im Lernprozess „Ein längerer Weg, als wir alle gedacht haben”

Studio-Gold-Geschäftsführer Olaf Schilling (l.) und sein syrischer Kollege Alfred F. (Bild: Studio Gold)

In Syrien war Alfred F. ein etablierter Architekt. Das Leipziger Architekturbüro Studio Gold ermöglichte dem 37-Jährigen einen beruflichen Neuanfang. Den hatten sich beide Seiten allerdings einfacher vorgestellt.

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Olaf Schilling ist ein pragmatischer Mann. Er schätzt offene Worte und handelt statt lange zu lamentieren. Der Geschäftsführer des Leipziger Architekturbüros Studio Gold hatte daher vor eineinhalb Jahren nicht lange gezögert, als es darum ging, den aus Syrien geflüchteten Kollegen Alfred F. dabei zu unterstützen, in Deutschland beruflich Fuß zu fassen. Seit Anfang 2016 ist der 37-jährige syrische Architekt als technischer Zeichner bei Studio Gold tätig; er arbeitet bei der Entwurfs- und Umbauplanung mit, erstellt und entwickelt Grundrisse, Schnitte und Ansichten. Ein intensiver Lernprozess für beide Seiten, denn die Unterschiede in den Tätigkeitsfeldern hiesiger und dortiger Architekten seien größer als er vermutet habe, musste Olaf Schilling feststellen. „Die Fortschritte erfolgen nicht in der Geschwindigkeit, in der wir sie erwartet hätten“, lautet sein ehrliches Resümee nach 16 Monaten. „Der eingeschlagene Weg hat so nicht funktioniert. Jetzt müssen wir neue Wege gehen.“

„Die Aufgabe, Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren, können wir nicht an den Staat delegieren. Das müssen diejenigen leisten, die in der Lage sind, so einen Arbeitsplatz einzurichten und ihn mit Inhalt auszufüllen. Gerade kleine Büros wie wir sind hier gefordert. Das ist ein Teil der Verantwortung, die wir haben.“

(Olaf Schilling, 46, Geschäftsführer, Studio Gold Leipzig)  

Auch Alfred F. hatte gehofft, dass es ihm einfacher und schneller gelingen könnte, hier in Deutschland als Architekt Fuß zu fassen. „Ich habe damit gerechnet, dass es Unterschiede gibt, aber nicht, dass sie so groß sind.” Der Christ mit dem deutsch klingenden Vornamen Alfred („der kommt bei uns unter Christen recht häufig vor“) war nach seinem Architekturstudium mit einem eigenen Architekturbüro in seiner Heimatstadt Homs tätig und arbeitete auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Kuweit und im Libanon; zuletzt beschäftigte er elf Mitarbeiter in seinem Büro, das vor allem Wohngebäude und Läden plante und realisierte. Ein etablierter und erfolgreicher Architekt, der im Laufe der letzten 16 Monate die frustrierende Erfahrung machen musste, dass er sein Metier hier nochmal neu lernen muss. Bauformen, Bauphysik, Baustoffe – die Unterschiede beim Bauen sind gewaltig. „In Syrien wird kaum Holz verwendet, es gibt nur sehr wenige Schrägdächer und die hier übliche Dämmung kennt man dort überhaupt nicht“, zählt Alfred F. als Beispiele auf.

Bereits im Jahr vor der großen Flüchtlingswelle war Alfred F. im Februar 2014 gemeinsam mit seinen Eltern, seiner Schwester und deren Mann von der UN über den Libanon ausgeflogen worden, weil sich die Christen in Syrien zunehmender Gewalt und Verfolgung ausgesetzt sahen. Relativ schnell nach ihrer Flucht kam die Familie nach Leipzig; auch Alfred. F.s Bruder lebt inzwischen dort. „Ein großes Glück“ sei Leipzig für ihn gewesen, erzählt Alfred F. Er mag die lebendige, junge Stadt, hat hier viel Unterstützung erhalten, Freunde und Bekannte gefunden, wohnt inzwischen mit seiner deutschen Freundin zusammen in einer eigenen Wohnung. Er ist in seinem neuen Leben angekommen.

Die Studie fasst Erfahrungen und Erkenntnisse, die Unternehmen bei der Integration von Flüchtlingen in die Arbeitswelt sammeln konnten, zusammen.

Zu diesem neuen Leben gehört für Alfred F. – allen Anfangsschwierigkeiten zum Trotz – weiterhin die Architektur. „Ich bin Architekt und will als Architekt arbeiten“, zeigt er sich entschlossen. Die Tätigkeit beim Studio Gold sieht er als wichtigen ersten Schritt – auch wenn ihn dieser nicht wie erhofft auf direktem Weg ans Ziel gebracht hat. Denn trotz der hilfsbereiten und engagierten Kollegen und der „riesigen Unterstützung” durch Olaf Schilling war es im Rahmen des ganz normalen Arbeitsalltags nicht möglich, Alfred F. die Fähigkeiten zu vermitteln, die er für eine erfolgreiche Ausübung seines Berufes hier in Deutschland benötigt.

„Wir haben eine Grenze in der Vermittlung von Wissen, die wir offensichtlich nicht ausdehnen können”, konstatiert Schilling nüchtern, aber weit davon entfernt aufzugeben. „Den Weg haben wir gemeinsam begonnen. Wir wollen ihn auch gemeinsam zu Ende gehen.“ Nächste Etappe soll jetzt eine professionelle Ausbildung sein – idealerweise ein Architekturstudium an der Leipziger HTWK; die Aufnahmeprüfung dafür hat Alfred F. Ende April erfolgreich absolviert. In den Monaten zuvor hatte er. als Gasthörer bereits Hörsaalluft schnuppern können und einen Eindruck vom Hochschulbetrieb bekommen.

Zum Unternehmen (Studio Gold)

Dass Studio Gold Alfred F. weiter begleiten und ihn zum Beispiel während des Studiums als studentischen Mitarbeiter beschäftigen wird, steht für Olaf Schilling außer Frage. „Dass der Weg länger ist, als wir alle gedacht haben, ist kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen.“ Für den Architekten, der sich mit seinem Büro seit Mai 2016 im Netzwerk „Wir zusammen“ engagiert, ist das über den Einzelfall hinaus auch eine Frage der gesellschaftlichen Verantwortung. Ohne Geduld und langen Atem ließen die großen Herausforderungen bei der beruflichen Integration von Flüchtlingen nicht bewältigen, zeigt sich Olaf Schilling überzeugt: „Die Flüchtlinge werden nicht binnen Jahresfrist den Fachkräftemangel lösen. Wir müssen in diese Menschen investieren, nicht nur mit Geld, sondern vor allem mit Zeit und Mühe. Dann werden wir die Keime einsetzen, damit sie ihren Beitrag zu dieser Gesellschaft leisten können.“

Update (18.12.2017):
Mit der erfolgreichen Aufnahmeprüfung für das Architekturstudium im Frühjahr hatte Alfred Fayad eigentlich die Weichen gestellt, um in Deutschland doch noch als Architekt Fuß fassen zu können. Studio Gold wollte ihn dabei mit einem Darlehen finanziell unterstützen. „Wir waren deshalb überrascht, dass sich Alfred Fayad dann doch für einen anderen Weg entschieden hat“, sagt Sandra Brose vom Studio Gold. Der aus Syrien geflüchtete Christ strebt eine Ausbildung in der öffentlichen Verwaltung an und möchte danach Flüchtlinge in Deutschland beraten und unterstützen.

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