Finanzplatz Regionalbörsen im Schatten der Großmacht

Wie die Regionalbörsen ihren Platz eben der dominierenden Deutschen Börse AG suchen.

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Neuer Frankfurter Handelssaal: Parketthandel nur noch Kulisse für Fernsehkameras, dpa

Frankfurt investiert, Berlin reißt ab – irgendwie hat das Symbolcharakter: Für mehrere Millionen Euro renoviert die Deutsche Börse am Frankfurter Börsenplatz zurzeit ihren in die Jahre gekommenen Handelssaal. Am 26. Februar wird Börsenchef Reto Francioni ihn feierlich wieder eröffnen. Die Berliner Börse dagegen machte ihr Parkett gerade dicht. Computer, Maklerstühle, Lampen und Original-Parketthölzer wurden bei Ebay versteigert, für 7850 Euro. Vernünftiger ist das. Der Parketthandel, bei dem Makler an einer zentralen Börse Auge in Auge mit Aktienhändlern Kurse machen, verliert weltweit an Bedeutung. Vollelektronische Handelssysteme bringen Nachfrage und Angebot meist billiger und schneller zusammen. Schier unaufhaltsam ist deshalb der Siegeszug des Xetra-Systems der Deutschen Börse. 83 Prozent der Börsenumsätze laufen in Deutschland über Xetra. Die Regionalbörsen in Berlin, Hamburg, Hannover, Düsseldorf, Stuttgart und München verloren im Aktienhandel stetig Marktanteile. Auch das neue Frankfurter Parkett ist eher Kulisse für TV-Kameras als ein Ort, an dem große Deals gemacht werden. „Xetra ist über die Jahre immer stärker geworden“, muss Berlins Börsen-Geschäftsführer Jörg Walter einräumen. Völlig verloren hat der von Maklern unterstützteBörsenhandel seine Daseinsberechtigung aber dennoch nicht. Bei kleineren Werten, die selten gehandelt werden, stellt der Makler Liquidität zur Verfügung. Er sorgt dafür, dass die Spannen zwischen Ankaufs- und Verkaufspreis (Spreads) nicht zu groß werden und nimmt bei flauer Nachfrage Papiere auch schon mal auf eigene Rechnung ins Buch. „Bei Nebenwerten nutzen deshalb auch Profis noch den von Maklern gestützten Handel“, sagt Walter. Ein Börsenparkett brauchen aber auch die Makler nicht mehr, nur eine gemeinsame Handelsplattform, auf die sie theoretisch von überall her Zugriff haben. Allein durch den Handel von Nebenwerten können die Regionalbörsen nicht überleben. Zum einen ist das Gebührenvolumen hier viel zu niedrig. Zum anderen wird Xetra auch bei kleineren Aktien immer besser. Viele Papiere werden heute auch auf Xetra von sogenannten Sponsoren betreut, die im System bei Bedarf Liquidität spenden. Die Provinzbörsen müssen sich deshalb ständig verändern um im Schatten der Großmacht Frankfurt zu überleben. „Es reicht heute nicht mehr aus, einfach alte Besitzstände zu verwalten“, sagt Thomas Munz, Vorstand der Vereinigung Baden-Württembergische Wertpapierbörse. Ranglisten-Kämpfe. Die Stuttgarter haben den Wandel bis heute am besten gemeistert. Mit knapp 40 Prozent der Börsenumsätze im deutschen Parketthandel sind die Schwaben die unangefochtene Nummer zwei hinter Frankfurt. Wer dann kommt, ist nicht ganz klar. „Jeder behauptet von sich, er sei Nummer drei, und kann das auch irgendwie belegen“, spöttelt Berlins Walter – und reklamiert deshalb selbstverständlich den dritten Rang für die Hauptstadtbörse.

Wer auf welchem Platz rangiert, ist für alle Provinzfürsten wichtig. Im Börsengeschäft entfalten Marktführer eine Sogwirkung. Hohe Umsätze garantieren einen flüssigen Handel. Der wiederum signalisiert Anlegern, dass sie schnell und günstig auch größere Aktienpositionen kaufen und verkaufen können. Wiederholt waberten deshalb Gerüchte und Beschuldigungen durch die deutsche Börsenszene. Immer wieder mal wunderten sich Börsianer in den vergangenen Jahren über die hohen Umsätze, die andere Börsenplätze in Dax-Werten und Anleihen ausweisen. Letztlich sollen die nur » zustande gekommen sein, weil Makler Aufträge von Banken über ihre Orderbücher umleiteten. Das eigentliche Geschäft aber lief dann in Xetra. Der Umweg vom Computerhandel über das Parkett blähte dann die viel beachteten Börsenumsätze auf. Solche zweifelhaften Geschäfte sind seit zwei Jahren ausdrücklich verboten. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ermittelt deshalb jetzt wegen eines Verdachts auf Marktmanipulation in Hamburg und Stuttgart. Um Anlegern hohe Umsätze vorzugaukeln sollen dort Scheingeschäfte mit Fondsanteilen gelaufen sein. Auch in Berlin und Frankfurt soll es Auffälligkeiten gegeben haben. Konsolidierung hakt. Zwei Fusionen zwischen Börsenplätzen gab es schon: 1999 schlossen sich die Hamburger Börse und Hannover unter dem gemeinsamen Dach einer Börsen AG zusammen. Nach wie vor findet aber an beiden Plätzen Handel statt. Anders in Bremen: Die Hanseaten fusionierten 2003 mit Berlin und gründeten dann mit der US-Börse Nasdaq und mehreren Banken die Nasdaq Deutschland. Die neue Plattform, die kein halbes Jahr durchhielt, lief unter der Börsenlizenz der Bremer. Seitdem gibt es in Bremen keinen Börsenhandel mehr. Die Lizenz hat die Deutsche Börse gekauft. Die übrigen Börsen benutzen zumeist die gleichen technischen Systeme. Ansonsten aber hat sich wenig getan. Immer wieder gab es Versuche, sich zu einer Deutschen Regionalbörse zusammenzuschließen, auch zusammen mit Frankfurt. Alle scheiterten. Die Länderbörsen fürchteten, von den Frankfurtern erst umgarnt und dann erdrückt zu werden. „Wenn Börsen normale Industrieunternehmen wären, hätte es schon längst Fusionen geben müssen“, sagt Börsenmanager Munz. „Aber in unserem Geschäft spielt viel Politik mit. Leute, die Fusionen voranbringen müssten, würden damit an ihrem eigenen Stuhl sägen.“ Der Ministerpräsident, der dekorativ im alten Börsengebäude sein Grußwort sprechen kann, der wenig glamouröse Landesbanker, der Börsenpräsident spielt, der IHK-Chef im Börsen-Aufsichtsrat – keiner von ihnen hat Interesse daran, dass die eigene Provinzbörse verschwindet. Dasselbe gilt für die großen Maklerfirmen, die allein oder zu zweit eine oder mehrere Börsen dominieren und dort immer noch gute Geschäfte machen.

So gigantisch ist der Druck zur Veränderung auch deshalb nicht, weil alle Börsen sich ein weiteres Dahindämmern noch viele Jahre leisten könnten. „Die meisten Börsen sind stinkreich“, sagt ein Insider. Der Grund: Alle waren mal kräftig an der Deutschen Börse beteiligt. Der Börsengang der Frankfurter spülte den Provinzbörsen, die einst mit zusammen zehn Prozent an der Deutschen Börse beteiligt waren, durchweg zweistellige Millionenbeträge in die Kassen. Aus Not muss niemand fusionieren. Verbesserungen für Anleger. Eine fusionierte Deutsche Vereinigte Börse aus Deutscher Börse AG und den Regionalbörsen würde sicher in der Region Kosten sparen. In kleineren Aktien, die noch rege an mehreren Börsenplätzen gehandelt werden, würde die Liquidität gebündelt. Dies käme wiederum privaten Anlegern zugute. Die Kehrseite der Medaille: Ein gutes Stück Wettbewerbsdruck würde entfallen. Verbesserungen im Aktienhandel, insbesondere solche, von denen Privatanleger profitieren, kamen oft von den Regionalbörsen. Sie führten längere Handelszeiten ein und schufen die Möglichkeit, Aktien fortlaufend nicht nur in 50er-Blöcken, sondern in beliebiger Stückzahl zu handeln. Deutlich besser als Frankfurt informieren Regionalbörsen Anleger über Kurse. Stuttgartliefert kostenlos Echtzeit-Kurse. In Berlin können Anleger übers Internet sogar in das aktuelle Orderbuch des Maklers schauen. Sie sehen dort nicht nur, zu welchen Kursen eine Aktie angeboten wird, sondern auch in welchen Stückzahlen. Regionalbörsen gaben auch als erste Privatanlegern eine Bestpreis-Garantie: Die Kurse, zu denen sie bedient wurden, durften nicht schlechter sein als die an einer Referenzbörse. Kontrollieren, ob er wirklich den besten Preis bekommen hat, kann ein Anleger aber nur schwer. Allzu oft war „Best Price“ eher Marketing-Gag als seriöse Garantie. Mehr Durchblick soll die neue EU-Richtlinie Mifid bringen. Sie verpflichtet Banken ab Ende 2007, Orders immer dort ausführen zu lassen, wo Anleger den für sie günstigsten Preis bekommen – und dies auch zu dokumentieren. „Für uns bietet die Mifid eine große Chance“, heißt es unisono von den Regionalbörsen. Weniger erfreut ist man darüber, dass die Mifid es Banken erleichtert, Kundenorders intern gegeneinander zu verrechnen. Mit den Internalisierungsplattformen der Banken könnten neue Wettbewerber ins Spiel kommen.

Börsen für neue Produkte entstanden zuerst in der Region. Die erfolgreichste entwickelte Stuttgart. Die baden-württembergische Börse baute die Tochter Euwax zur marktführenden Plattform für Optionsscheine und Zertifikate auf. Die Deutsche Börse verschlief den Zertifikate-Boom und zog erst Jahre später mit ihrem Smart Trading genannten Projekt nach. Hannover hat eine Warenterminbörse und eine Plattform zum Handel von Krediten aufgebaut. Hamburg, Berlin und Düsseldorf führten auch vor Frankfurt den Fondshandel ein. Anleger sparen hier den beim Fondskauf über eine Bank üblicherweise fälligen Ausgabeaufschlag von bis zu fünf Prozent des Anteilswerts. Stattdessen zahlen sie die üblichen Wertpapierhandelsgebühren – und wiederum den Spread zwischen Ausgabe- und Rücknahmepreis des Fonds. Das muss nicht immer billiger sein, ist auf jeden Fall aber schneller. Wer Fonds bei seiner Bank oder Fondsgesellschaft verkauft, bekommt in der Regel nur den Kurs vom Folgetag und kann auch nicht sofort über sein Geld verfügen. Weil die Deutsche Börse es nach dem unrühmlichen Ende des Neuen Markts lange nicht wagte, eine Börse für junge Unternehmen zu gründen, preschten die Regionen vor: Stuttgart gründete das Mittelstandssegment Gate-M, Hamburg seinen Start-up-Markt, und München startete ein M:access getauftes neues Börsensegment – alle noch, bevor Frankfurt Ende 2005 den Entry Standard gründete. Seitdem saugt Frankfurt die meisten kleineren Börsengänge ab, die regionalen Mittelstandssegmente haben kaum eine Chance mehr. Ein Problem, das die Börsen schon kennen: „Für die Frankfurter ist das richtig gut. Sie haben ein Experimentierfeld für neue Ideen in den Regionen“, sagt Berlins Börsenchef Walter. Wenn dort ein Projekt danebengeht, kostet das Frankfurt nichts. Läuft eine neue Idee in der Region gut, können sie diese abgreifen und dann den Markt aufrollen. Nachdem Fusionspläne mit der Londoner Börse und mit der Euronext gescheitert sind, wird Frankfurts Francioni sich wieder stärker auf den Heimatmarkt und die lange vernachlässigten Privatanleger konzentrieren. Ein erstes Signal dafür ist die Zertifikatebörse Alex, die er mit der Schweizer Börse gründete. „Der Kampf um den Derivatehandel hat gerade erst begonnen“, schwant es Stuttgarts Börsenvorstand Munz, gegen dessen erfolgreiche Euwax sich Alex in erster Linie richtet. Von einem machtvollen „Hier kommt Alex“ kann dabei aber noch keine Rede sein. Die Frankfurter übersahen, dass der Internetbroker der niederländischen Rabobank ebenfalls Alex heißt. Jetzt müssen sie einen neuen Namen für ihr Baby suchen.

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