ARD-Doku über Pierre Wauthier Tatort Zurich: Selbstmord eines Managers

Der Finanzvorstand Pierre Wauthier hinterließ zwei Abschiedsbriefe: für seine Familie und gegen den Ex-Chef der Deutschen Bank. „Joe Ackermann is so far the worst Chairman I ever met“, schrieb er. Dann erhängte er sich.

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Der Finanzvorstand der Zurich-Gruppe hat sich 2013 selbst das Leben genommen. Quelle: dpa

Düsseldorf Es geschah am 26. August 2013. Wenige Tage später tritt Josef Ackermann, der ehemalige Chef der Deutschen Bank, als Verwaltungsratspräsident des Finanzkonzerns Zurich zurück. Jegliche Mitschuld am Selbstmord von Pierre Wauthier, damals Finanzvorstand der Gruppe, weist er von sich.

In Wauthiers Brief steht, Ackermann habe „unerträglichen Druck“ ausgeübt. Die Schweizer Finanzaufsicht untersucht später die Vorwürfe – und entlastet Ackermann. Wauthiers Angehörige aber geben sich mit diesem Ergebnis nicht zufrieden. Der Journalistin Tina Solimann haben sie erzählt, wie sie sich bis heute immer wieder die eine Frage stellen: Warum?

Aus den Gesprächen entstand der Film „Tod eines Managers – der Fall Pierre Wauthier“, der am Mittwochabend in der ARD lief. Die aktuelle Themenwoche im Ersten will eigentlich die Zukunft der Arbeit zeigen. Soliman hingegen blickt in die Abgründe der Arbeit. Ihr Film wirkt über lange Strecken so, als habe sie sich nicht entscheiden können, was das wichtigere Thema ist: das Leid der Angehörigen nach einem Selbstmord. Oder der immense Druck, dem Manager heute ausgesetzt sind.

Erst im Verlauf der Dokumentation wird klar, wie eng hier beides zusammengehört. Soliman konfrontiert den Zuschauer gleich zu Beginn mit der Trauer einer Familie, die einen geliebten Menschen verloren hat. Eine Ehefrau und zwei Kinder, die viele Fragen haben. Und wenige Antworten.

„Er war für mich der Fels in der Brandung“, sagt Alexander Wauthier über seinen Vater. Er hat Tränen in den Augen: „Ich wollte immer so sein wie er.“ Wauthiers Witwe Fabienne sagt: „Ich weiß nicht, was in dieser Nacht passiert ist.“ Sie schüttelt den Kopf und wiederholt den Satz. Für die Familie kam der Selbstmord völlig unerwartet.

Am Abend zuvor hatte Fabienne Wauthier noch mit ihrem Mann telefoniert. Alles war normal. Auch ehemalige Kollegen können bis heute nicht begreifen, dass der Mensch, den sie kannten, sich selbst das Leben nahm. Sie alle beschreiben ihn ähnlich: als korrekt, diszipliniert, makellos. Ein Perfektionist und Workaholic. Pierre Wauthier, das wird deutlich, war niemand, der einfach aufgibt.


Aus der Zurich-Gruppe sollte eine Gelddruckmaschine werden

2011 steigt Wauthier zum Finanzchef der Zurich-Versicherung auf. Es ist der Job, den er immer haben wollte. Er könnte glücklich sein. Dann wird Josef Ackermann Präsident des Verwaltungsrats. Ackermann habe ein feindseliges Klima geschaffen, sich haltlos und inkorrekt gegenüber dem Management verhalten, schreibt Wauthier in seinem Abschiedsbrief. Seiner Frau erzählt er, Ackermann wolle der Versicherung die Philosophie einer Bank überstülpen. Aus der Zurich-Gruppe solle eine Gelddruckmaschine werden. Ihr Mann habe das nicht gewollt.

Andere Zurich-Manager bestätigen Wauthiers Vorwürfe. „Man kann nicht einfach reinplatzen und mit Macht und Einschüchterung die ganze Kultur umkrempeln“, sagt Mhayse Samalya, damals in der Geschäftsführung bei einer US-Tochter. Er berichtet von einem Treffen in Los Angeles, das Ackermann streitlustig dominiert – während Finanzvorstand Wauthier und Unternehmenschef Martin Senn schwiegen. Viele Führungskräfte kündigen. Wauthier sieht darin keine Option, er bleibt.

An dieser Stelle schließlich setzten im Film die Erklärungsversuche ein. Hat sich Pierre Wauthier das Leben genommen, weil der Druck zu stark war – oder weil er gar so seinem Unternehmen helfen wollte? Ihr Mann wusste, dass er Ackermann nicht mit normalen Methoden loswerden könne, sagt Fabienne Wauthier: „Dann setzte er sein Leben dafür ein.“ Mhayse Samalya äußert sich ähnlich: „Vielleicht wollte er seinem Arbeitgeber eine Lektion erteilen.“ Dass es Folgen habe, wenn man mit seinen Mitarbeitern so umgehe.

Josef Ackermann wollte sich für den Film nicht vor der Kamera äußern. Schriftlich erklärt der ehemalige Chef der Deutschen Bank, was er seit drei Jahren immer gesagt hat: „Meine Beziehung zu Herrn Wauthier war zu jeder Zeit kollegial-professionell.“ Die anderen Vorwürfe: „bösartige Verleumdungen“.

Warum habe ihr Mann diesen Brief über Ackermann geschrieben, wenn er nicht in der Nacht seines Selbstmordes an ihn gedacht habe, fragt Fabienne Wauthier. Ihre Tochter Laura will Ackermann zwar „nicht die direkte Schuld geben“, aber er könne seine Hände auch nicht in Unschuld waschen: „Ich denke, er ist verantwortlich in dem Sinn, dass er zu viel Druck ausgeübt hat.“

Es folgt der Moment, in dem sich die Autorin gezwungen sieht, Distanz zu schaffen. „Bei allen Fehlern und Problemen – der innere Antrieb eines Selbstmörders ist immer die eigene Verzweiflung“, sagt Toni Soliman. Dann lässt sie wieder ihre Protagonisten sprechen. Es wird nun deutlich, dass die Suche nach dem Warum nie enden wird. Dass Erklärungsversuche den Schmerz der Angehörigen nicht lindern können.

Selbstmord sei egoistisch, sagt Alexander Wauthier. „Es macht alles nur viel schlimmer für die diejenigen, die übrig bleiben.“ Das vorgezogene Schlusswort ganz im Sinne der ARD-Themenwoche Zukunft der Arbeit hat schließlich Fabienne Wauthier. Ackermanns Nachfolger habe mal zu ihr gesagt, ihr Mann sei gut genug bezahlt worden, um dem Druck standzuhalten. Fabienne Wauthier antwortete: „Zahlt ihnen weniger und respektiert sie mehr.“

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