




Männer verdienen in Deutschland rund ein Fünftel mehr als Frauen. Skandal? Nein, denn wie bei jeder Statistik sollten wir genauer hinschauen. Ein wesentlicher Grund für diese „Lücke“ ist nämlich die hohe Zahl an Industriearbeitsplätzen. Im verarbeitenden Gewerbe, also im Maschinenbau und in der Autoindustrie, ist das Lohngefälle besonders ausgeprägt. Hinzu kommt, dass in dieser Branche deutlich mehr Männer als Frauen tätig sind. Für die Statistik heißt das zugespitzt: Wenigen Sekretärinnen stehen viele gut bezahlte Ingenieure gegenüber. Rechnet man alle Verzerrungen raus, so wie es das Institut der deutschen Wirtschaft Köln getan hat, schmelzen die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen auf rund zwei Prozent.

Das bedeutet nicht, dass wir untätig bleiben sollen. Wir Frauen möchten mit unserer Arbeit überzeugen und dafür selbstverständlich auch fair entlohnt werden. Daher müssen sich Politik und Wirtschaft der Frage nach Lohngerechtigkeit auch annehmen. Das geplante Entgeltgleichheits-Gesetz liefert dazu aber keinen substantiellen Beitrag. Vielmehr pauschaliert es in undifferenzierter Weise und konterkariert den Leistungsgedanken.
Es kommt auch auf den Beruf an
Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass wir den Fokus nicht nur auf das Geschlecht, sondern auch auf andere Aspekte wie die Berufswahl und die Lebensumstände richten. Fakt ist: Frauen entscheiden sich häufiger für Berufsfelder, in denen traditionell weniger bezahlt wird als in anderen Branchen. Wir sollten uns als Gesellschaft also kritisch fragen, warum wir in bestimmten technischen Studiengängen und Berufen bisweilen nur einen Frauenanteil von 10 bis 20 Prozent haben.
Viele Mütter arbeiten in Teilzeitbeschäftigung. Durch diese kommen sie vermeintlich für bestimmte Jobs, zum Beispiel eine Geschäftsführertätigkeit, nicht in Frage. In diesem Punkt müssen wir Unternehmer umdenken. Entscheidend ist aber, dass wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf signifikant verbessern. Es hilft nichts, wenn die Bundesfamilienministerin eine gleiche Entlohnung verordnen will, Mütter aber aufgrund ihrer Lebensumstände keine Möglichkeit sehen, sich für eine solche Stelle zu bewerben oder sich in Verhandlungen „unter Wert“ verkaufen. Um diese mentale Hürde zu überwinden, benötigen wir vernünftige Ganztagsbetreuungsangebote und zwar flächendeckend. Das wäre doch mal ein sinnvolles Projekt für Frau Schwesig.
Die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern
Die Berechnung stützt sich allein auf den durchschnittlichen Stundenlohn. Aus den 21 Prozent lässt sich also nicht ableiten, dass alle Frauen in Deutschland 21 Prozent weniger als Männer verdienen. Die Qualifikation der Beschäftigten und ob sie Voll- oder Teilzeit arbeiten, wird nicht berücksichtigt. Daran stören sich Kritiker. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall wendet zum Beispiel ein, die Berechnung sei „kein Indikator für mögliche Diskriminierung, denn er vergleicht eben gerade nicht vergleichbare Tätigkeiten miteinander“.
Die Statistiker führen rund zwei Drittel der Differenz darauf zurück, dass Frauen in eher schlechter bezahlten Berufen tätig sind - zum Beispiel als Reinigungskraft (Frauenanteil 85 Prozent) oder Verkäuferin (73 Prozent). Deutlich mehr Frauen als Männer arbeiten in Teilzeit, deutlich weniger in höheren Führungsebenen.
Das letzte Drittel der Lohnlücke zwischen den Geschlechtern lässt sich daraus aber nicht erklären: Dem Statistischen Bundesamt zufolge verdienen Frauen auch bei ähnlicher Tätigkeit und Qualifikation im Schnitt sieben Prozent weniger pro Stunde als ihre männlichen Kollegen. Das wird unter anderem damit erklärt, dass Frauen häufiger eine Auszeit vom Beruf nehmen - um sich um Kinder zu kümmern oder Angehörige zu pflegen. Und sie treten bei Gehaltsverhandlungen anders auf.
Denkbar schlecht. EU-weit betrug der Rückstand 2013 lediglich 16 Prozent. In Slowenien zum Beispiel verdienten Frauen im Schnitt 3,2 Prozent weniger als Männer, in Italien 7,3 Prozent. Nur in Estland (30 Prozent), Österreich (23 Prozent) und Tschechien (22 Prozent) war die Lücke noch größer als hierzulande.
Davon gehen Experten zumindest aus. „Wenn der Mindestlohn eingehalten wird, werden Frauen davon profitieren, weil eben der größere Teil derjenigen, die unter 8,50 Euro verdient haben, Frauen waren“, sagt Christina Klenner vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Auch Hermann Gartner vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erwartet einen solchen Effekt. Erhebungen gibt es aber noch nicht.
Union und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf festgelegt, die Entwicklung zumindest abzumildern. Ein Ziel ist demnach, dass Unternehmen ab 500 Beschäftigte künftig transparenter machen sollen, was Frauen und Männer verdienen. Einen Gesetzesentwurf gibt es allerdings noch nicht.
Es droht eine neue Ungerechtigkeit
In der Praxis schafft ein Entgeltgleichheits-Gesetz zudem neue Ungerechtigkeiten. Es beschneidet nicht nur unternehmerische Freiheiten, sondern stolpert schon über die Definition von „gleichwertiger Arbeit“. Ein früherer SPD-Gesetzentwurf zieht dazu als zentrales Kriterium die „Tätigkeitsbeschreibung“ vor. In der Realität ist es jedoch oft so – und zwar unabhängig vom Geschlecht –, dass Mitarbeiter mit gleichen Aufgabengebieten unterschiedliche Leistungen erbringen.
Als Familienunternehmerin entlohne ich eine erfahrene Mitarbeiterin besser als eine Neueinsteigerin, was Sinn macht. Zukünftig wird das vielleicht nicht mehr möglich sein, da ich allen Mitarbeitern mit der gleichen Tätigkeitsbeschreibung ohne Rücksichtnahme auf ihre individuellen Erfahrungen, Kenntnisse und Arbeitsergebnisse die gleiche Gehaltserhöhung geben muss.
Frau Schwesigs Absichten mögen ehrenwert sein - ihr Lösungsweg ist es nicht. Dass eine Form der Diskriminierung, wie die Ungleichbezahlung von Männern und Frauen, durch eine andere abgelöst wird, nämlich die, alle leistungsunabhängig gleichzuschalten, bringt unsere Gesellschaft nicht voran – am wenigsten gut ausgebildete Frauen.