Familien Mehr muss es nicht sein

Viele möchten auf Geld verzichten, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Union und SPD haben erklärt, diesen Trend auch künftig fördern zu wollen.

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So klappt es mit dem Teilzeitjob
Gesetzliche RahmenbedingungenIn einem Unternehmen mit 15 oder mehr Mitarbeitern haben Arbeitnehmer, die länger als sechs Monate angestellt sind,  prinzipiell einen Anspruch auf die Reduktion ihrer Arbeitszeit. So sagt es das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG). Ziel dieses Gesetzes ist explizit eine Förderung der Arbeit in Teilzeit. Quelle: Fotolia
AntragDen schriftlichen Antrag auf Verringerung der Arbeitszeit muss ein Arbeitnehmer stellen,  drei Monate, bevor er mit der Teilzeitarbeit beginnen möchte. Dabei sollte er bereits einen Vorschlag zur Verteilung der Arbeitszeit machen. Der Arbeitgeber ist aufgefordert, sich mit dem Arbeitnehmer auf eine für beide Seiten zufrieden stellende Lösung zu einigen. Ist ein Kompromiss nicht zu realisieren, muss der Arbeitgeber den Antrag des Arbeitnehmers schriftlich ablehnen. Die Frist dafür endet einen Monat vor dem gewünschten Beginn der Teilzeit. Versäumt der Arbeitgeber diesen Termin, gilt der Vorschlag des Arbeitnehmers als festgelegt. Quelle: Fotolia
AusnahmeArbeitgebern schreibt das Gesetz vor, dem Wunsch nach Verringerung der Arbeitszeit zuzustimmen, sofern nicht betriebliche Gründe dagegen sprechen. Ein solcher Grund, dem Antrag auf Teilzeit zu widersprechen, liegt vor, wenn die Verringerung der Arbeitszeit die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt. Außerdem dürfen dem Arbeitgeber keine unverhältnismäßigen Kosten entstehen. Quelle: Fotolia
GleichberechtigungEin teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber hat dafür Sorge zu tragen, dass auch Teilzeitbeschäftigte an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen können. Quelle: Fotolia
EinbußenGehalt sowie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld bemessen sich an der verkürzten Arbeitszeit. Gleiches gilt für Urlaubstage. Außerdem sollten Arbeitnehmer sich darüber im Klaren sein, dass sie aufgrund des geringeren Einkommens auch geringere Rentenansprüche erwerben. Quelle: Fotolia
Zurück in die VollzeitEin festgeschriebenes Rückkehrrecht für Teilzeitbeschäftigte in eine Vollzeitbeschäftigung gibt es nicht. Allerdings müssen Mitarbeiter, die diesen Wunsch äußern, bei der Besetzung einer neuen Stelle bei gleicher Qualifikation bevorzugt werden. Außerdem besteht die Möglichkeit, die Teilzeitarbeit von vorneherein zeitlich zu befristen. Quelle: Fotolia
Zwei TeilzeitstellenGrundsätzlich dürfen Arbeitnehmer für zwei Arbeitgeber in Teilzeit arbeiten. Der Zweitverdienst sollte den jeweiligen Arbeitgebern allerdings angegeben werden. Verboten sind allerdings Zweitjobs bei der Konkurrenz: Sie können den Arbeitgeber zur Abmahnung, fristlosen Kündigung oder sogar Schadenersatzansprüchen berechtigen. Quelle: Fotolia

Was ist wichtiger, Zeit oder Geld? Martin Neitzel hat die Frage vor vielen Jahren für sich beantwortet, und manchmal denkt er daran, wenn er am Mittwochmorgen sein orangefarbenes Trikot überstreift, auf sein Rennrad steigt und an Menschen vorbeifährt, die aussehen, als müssten sie gleich ins Büro.

Mittwoch ist Neitzels Fahrradtag, zumindest während der wärmeren Monate. Dann macht der Diplom-Informatiker aus Braunschweig mehrstündige Radtouren, oft fährt er hundert Kilometer oder mehr. Manchmal spielt er mittwochs auch Gitarre, oder er bastelt an uralten Rechnern herum, die in seiner Dreizimmerwohnung stehen. "Auf ein Haus oder ein Auto kann ich gut verzichten, aber nicht auf Zeit für mich", sagt Neitzel. Er habe schon früh herausgefunden, was ihn glücklich mache. Deshalb ist er seit elf Jahren Teilzeit-Chef, ohne Kinder, aber mit vielen Interessen. Gemeinsam mit drei Freunden hat er vor 21 Jahren ein Softwareunternehmen gegründet, das heute Dienstleistungen rund ums Internet anbietet. Und schon bei der Gründung schrieben die vier Geschäftsführer in ihre Verträge, dass keiner gezwungen werden dürfe, mehr als 20 Wochenstunden für die Firma zu arbeiten. Ein paar Jahre später reduzierten dann tatsächlich alle ihre Arbeitszeit, die drei anderen Geschäftsführer gründeten Familien, Neitzel wollte mehr Raum für sich. Damals habe man den Kunden zunächst viel erklären müssen, weil die einen Ansprechpartner rund um die Uhr wollten, sagt Christine Müller, die einzige Frau im Gründungsteam.

Aber das ist lange her. Inzwischen hat die Firma Gärtner Datensysteme 14 Mitarbeiter, Büros in einer schicken Fabriketage und Kunden, denen es egal ist, ob sie aus einem Büro, vom Spielplatz aus oder aus einer Privatwohnung zurückgerufen werden. Und die Teilzeitkultur ist ein Wettbewerbsvorteil geworden, sagt Müller, sie mache das Unternehmen für junge Bewerber attraktiv. Die Firmengründerin selbst arbeitet jede zweite Woche halbtags, genau wie ihr Mann. Als sie ein Pflegekind annahmen, haben beide ihre Arbeitszeit reduziert. Christine Müller will bei ihrer Stundenzahl aber auch dann bleiben, wenn das Kind erwachsen ist. "Man braucht Zeit für sich", findet sie. "Ich habe festgestellt: 30 Stunden sind ideal."

Die Informatikerin formuliert ziemlich genau, was viele Arbeitsmarkt- und familienpolitische Experten denken. Auch die Unterhändler von Union und SPD hat bei den Koalitionsverhandlungen kein Thema so elektrisiert wie die Idee, Eltern und ihre Kinder durch eine andere, bessere Verteilung der Arbeitszeit zu unterstützen.

Gleich mehrere Gesetze sollen das bewirken, falls eine schwarz-rote Regierung zustande kommt: Wer von einer vollen auf eine Teilzeitstelle wechselt, soll das Recht bekommen, seine Stunden wieder aufzustocken. Dadurch würde vermutlich vielen Beschäftigten die Angst genommen, mit dem Wechsel auf eine Teilzeitstelle dauerhaft alle Chancen auf Karriere oder auch nur auf eine ausreichende Rente zu verspielen. Pflegende sollen leichter in Teilzeit arbeiten können, und Elterngeld soll häufiger an Teilzeitkräfte gezahlt werden als bisher.

Fast hätten sich Union und SPD auch noch an einen etwas größeren Wurf herangetraut, den Wissenschaftler verschiedener Institute wärmstens empfehlen: die sogenannte Familienarbeitszeit. Dabei würde der Staat bis zu drei Jahre lang Paare mit Geld unterstützen, wenn sie wegen der Betreuung kleiner Kinder ihre Arbeitszeit auf achtzig Prozent reduzieren – und zwar beide.

Mütter in Teilzeitjobs wollen oft mehr arbeiten, Väter oft weniger

Wie viel Geld Kinder kosten - und wie viel sie bringen
Bis ein Kind volljährig ist, zahlen Eltern laut Daten des Statistischen Bundesamtes rund 117.000 Euro für ihr Kind: Für Kleidung, Essen, Miete, Bildung, Taschengeld etc. Monatlich geben Paare mit Kindern demnach 550 Euro mehr im Monat aus, als Kinderlose. Das zweite Kind ist allerdings nicht mehr ganz so teuer wie das erste, das dritte ist rechnerisch günstiger als das zweite und so weiter. Schließlich muss nicht pro Kind eine neue Wickelkommode oder ein neuer Kinderwagen angeschafft werden. Quelle: dpa
Allein für Kleidung und Windeln geben Eltern bis zum 18. Geburtstag eines Sprösslings durchschnittlich 9101, 80 Euro aus. Laut Statistik summieren sich die Kosten für Windeln auf gut 1000 Euro pro Kind. Quelle: REUTERS
Um die Lebenshaltungskosten für die Familie decken zu können, gehen in zahlreichen Familien beide Elternteile arbeiten. Die Kosten für die deshalb notwendige Kinderbetreuung belaufen sich im Schnitt auf 3368,59 Euro. Bei vielen Familien frisst der Krippenplatz oder der Kindergarten wahlweise das Kindergeld oder das Gehalt eines Elternteils wieder auf. Quelle: dpa
Obwohl es in Deutschland Lehrmittelfreiheit gibt, die Schulen also Bücher kostenlos stellen, zahlen Eltern bis zum 18. Geburtstag ihres Kindes durchschnittlich 3525 Euro für Bildung. Dazu gehören Zusatzlektüre für den Deutschunterricht, Hefte, Stifte, Malblöcke und Farben, Schulausflüge und Kopiergeld. Hinzu kommen nochmal geschätzte 1,4 Milliarden Euro, die Eltern in Deutschland jährlich in Nachhilfestunden investieren. Quelle: dpa
Immer mehr Eltern zahlen ihren Kindern laut einer Forsa-Studie regelmäßig Taschengeld. Bis zum 18. Geburtstag kommen so 2496 Euro zusammen - wenn sich die Eltern die Empfehlungen des Jugendamtes halten. Demnach sollten Kinder zwischen vier und fünf Jahren 50 Cent pro Woche bekommen, Sechs- bis Siebenjährige 1,50 bis zwei Euro pro Woche und Acht- bis Neunjährige zwei bis 2,50 Euro wöchentlich. Kinder im Alter von zehn bis elf Jahren sollten monatlich 13 bis 15 Euro bekommen, Zwölf- und 13-Jährige 18 bis 20 Euro und 14- bis 15-Jährige 23 bis 26 Euro im Monat. Jugendliche von 16 und 17 Jahren sollten 32 bis 42 Euro im Monat bekommen, empfiehlt das Jugendamt. Quelle: dpa
Dafür bekommen Eltern allerdings auch Geld für ihre Kinder. So bekommen Mütter sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt das sogenannte Mutterschaftsgeld (MSchG). Derzeit bekommen gesetzlich versicherte Frauen von ihrer Krankenkasse bis zu 13 Euro pro Tag. Den Rest legt der Arbeitgeber drauf, bis der durchschnittliche Nettoverdienst der vergangenen drei Monate erreicht ist. Das Geld müssen die Frauen bei ihrer Krankenkasse beantragen. Privat Krankenversicherte und Geringverdienerinnen beantragen das Mutterschaftsgeld dagegen beim Bundesversicherungsamt in Bonn. Schwangere, die privatversichert sind, bekommen allerdings keinen Tagessatz sondern einen einmaligen Zuschuss. Quelle: dpa
Seit 2007 greift der Staat jungen Eltern auch noch mit dem sogenannten Elterngeld unter die Arme. Die Höhe der Unterstützung bemisst sich nach dem Nettoeinkommen der letzten zwölf Monate. Maximal gibt es 1800 Euro pro Empfänger und Monat, ausgezahlt wird maximal 14 Monate lang. Anspruch auf Elterngeld haben Arbeiter, Angestellte, Beamte und Selbstständige, die ihren Beruf (teilweise) ruhen lassen um sich um ihren Nachwuchs zu kümmern. Quelle: dpa

Am Ende scheiterte diese Idee am Geldmangel, und ein wenig auch an der Abneigung einiger Unionspolitiker, Paaren eine spezifische Arbeitsteilung nahezulegen. Tot ist das Konzept aber noch nicht, heißt es bei den Familienpolitikern in Berlin. Experten arbeiten schon an Konzepten, wie sich das Modell ohne Steuergeld umsetzen ließe. Und konservative Skeptiker will man mit dem Verweis auf die Vätermonate überzeugen, die von Angela Merkels erster Großer Koalition eingeführt wurden.

Seit dieser Zeit wird Elterngeld 14 statt 12 Monate lang gezahlt, wenn Vater und Mutter beide im Job aussetzen. Damals empörten sich vor allem CSU-Politiker über das "Wickelvolontariat" (Verkehrsminister Peter Ramsauer). Mittlerweile nehmen in keinem anderen Bundesland so viele Männer die Vätermonate wie in Bayern.

In jedem Fall gilt Zeitpolitik als das wichtigste familienpolitische Thema der kommenden Regierung. Das liegt auch daran, dass in anderen Bereichen entweder gerade einiges gelungen ist oder Fortschritte besonders mühsam sind.

Familien brauchen Zeit, Geld und Infrastruktur, sagen Soziologen. In die Infrastruktur, vor allem in Kitas, ist gerade viel Geld geflossen. Bei der Verteilung von Geld kommen die Familienpolitiker über fantasielose Maßnahmen wie die Erhöhung des Kindergeldes nicht hinaus. Ihnen fehlen Kraft und Mut, die verwirrend vielen staatlichen Familienleistungen neu zu ordnen. Damit eine Regierung Zeitpolitik für Familien machen kann, müssen Arbeits- und Familienpolitik zusammenwirken. Das war in der vergangenen Legislaturperiode schon deswegen schwierig, weil die zuständigen CDU-Ministerinnen Ursula von der Leyen und Kristina Schröder nicht harmonierten.

In einer Großen Koalition wären die Voraussetzungen dafür besser, und das liegt vor allem an drei Frauen, die mit großer Wahrscheinlichkeit wichtige Ämter bekommen: von der Leyen, SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles und die stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Manuela Schwesig. Alle drei gehören vermutlich dem künftigen Kabinett an, und alle drei sind davon überzeugt, dass sich vor allem die Arbeitswelt ändern muss, damit es Familien leichter haben. Außerdem kennen sie sich mit den dafür notwendigen Maßnahmen aus.

Schwesig war als Landesministerin in Schwerin sowohl für Arbeit als auch für Familie zuständig. Von der Leyen hat nacheinander beide Ressorts geprägt. Und Andrea Nahles, die gern Arbeitsministerin werden will, schrieb der SPD die Lohnkostenzuschüsse für Teilzeit-Eltern ins Wahlprogramm. Alle drei haben zudem selbst Kinder, kennen also den Alltagsstress berufstätiger Väter und Mütter, wie er gerade auch im Kino zu besichtigen ist. Der kürzlich angelaufene Film Eltern zeigt, wie sehr Chaos, Erschöpfung und Schlaflosigkeit, aber auch Glück, Spaß und Erfüllung das Lebensgefühl von Familien mit zwei berufstätigen Eltern prägen.

Sie könne sich nicht vorstellen, wie zwei Eltern, die jeweils an fünf Tagen pro Woche voll arbeiteten, auch noch Kinder erziehen könnten, sagt Jutta Allmendinger, Bildungssoziologin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin. Auch sie gehört zu den Wissenschaftlern, die sich von Zeitpolitik viel versprechen. Alle Umfragen zeigten, dass Mütter in Teilzeit meistens gern mehr Stunden arbeiten wollten – junge Väter oft weniger, sagt Allmendinger.

Retraditionalisierung der Beziehungen

Warum die Deutschen keine Kinder wollen
KostenVon der Spielpuppe bis zum Studium - Kinder kosten viel Geld. Diese finanzielle Belastung schreckt viele Deutsche vom Kinderkriegen ab. Das hat eine Umfrage der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen ergeben. Demnach glauben 67 Prozent der Befragten, dass das Geld viele von der Familiengründung abhält. Der Wert habe sich besorgniserregend erhöht, 2011 seien es lediglich 58 Prozent gewesen, sagte der wissenschaftliche Leiter der Stiftung, Professor Ulrich Reinhardt. Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes geben Familien rund 550 Euro im Monat für ein Kind aus. Quelle: AP
Freiheit und Unabhängigkeit Am Wochenende feiern gehen, Freunde treffen, reisen: Die Deutschen wollen nach Ansicht von 60 Prozent der Befragten ihre Freiheit und Unabhängigkeit nicht für ein Kind aufgeben. Da scheinen auch finanzielle Anreize durch den Staat kein Argument zu sein. Eine Frau in Deutschland bekommt im Schnitt 1,36 Kinder, im EU-Durchschnitt sind es 1,57. Für die Untersuchung wurden 2.000 Personen ab 14 Jahren gefragt, warum so viele Deutsche keine Familie gründen. 
KarriereEin Karriereknick ist für 57 Prozent das Totschlagargument gegen Kinder. Auch wenn die Politik um flexible Arbeitsmodelle, einen leichteren Wiedereinstieg in den Job und Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen kämpft, so wollen die Deutschen ihren Job nicht für Nachwuchs in der Familie gefährden.
Auch die Meinung, Karriere lasse sich nur schlecht mit Familie vereinbaren, wurde öfter angegeben als noch vor zwei Jahren (54 statt 48 Prozent). Gefordert sind, so heißt es im Fazit der Studie, sowohl die Politiker, die Rahmenbedingungen zu stellen, als auch die Unternehmen, endlich flächendeckend mit der Möglichkeit einer Karriere mit Kind ernst zu machen. „Die Unsicherheit, ja fast schon Angst vor der Familiengründung hält bei vielen Bundesbürgern an“, resümiert Stiftungsleiter Reinhardt. Quelle: dpa
Staatliche Unterstützung Auch wenn es ab dem 1. August einen Rechtsanspruch für unter Dreijährige auf einen Kita-Platz gibt - den Deutschen reicht dies längst nicht aus. 45 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass der Staat immer noch zu wenig tut, um die Geburtenrate in Deutschland zu steigern. Das Argument sei im Westen deutlich öfter zu hören gewesen als im Osten, teilte die Stiftung mit. Der Wert blieb in den vergangenen zwei Jahren unverändert.  Quelle: dpa
Unsichere ZukunftWirtschaftskrise, Klimawandel, Demografie: 39 Prozent der Befragten denken, dass eine unsichere Zukunft der Grund ist, warum sich viele Deutsche gegen ein Kind entscheiden. Der Stiftung zufolge hat das Argument jedoch deutlich an Bedeutung verloren (−7 Prozentpunkte).   Quelle: dpa
Der richtige PartnerManchmal ist es auch ganz simpel, warum kein Nachwuchs geplant ist - es fehlt einfach der richtige Partner. Für 39 Prozent der Befragten sei dies der Grund, warum die Deutschen so wenig Kinder kriegen. Seit zwanzig Jahren nimmt die Anzahl der Single-Haushalte in Deutschland zu, besonders Singles im Alter zwischen 30 und 59 Jahren leben immer öfter allein. Fast ein Drittel der deutschen Singles ist mit dem Alleinsein unzufrieden und wünscht sich einen Partner. Quelle: dpa

Bisher hat die Geburt von Kindern auf die Arbeitszeit von Vätern und Müttern immer noch extrem unterschiedliche Wirkungen, und zwar weit über die Stillzeit und die Kleinkindjahre hinaus: 51 Prozent aller kinderlosen Frauen arbeiten Vollzeit, aber nur 26 Prozent aller Mütter, so eine noch unveröffentlichte Studie des Soziologieprofessors Carsten Wippermann für das Bundesfamilienministerium. Von kinderlosen Männern hingegen haben 79 Prozent eine volle Stelle – aber 91 Prozent der Väter. In Deutschland gingen Männer und Frauen als modernes Paar in den Kreissaal hinein und kämen als Fünfziger-Jahre-Paar wieder heraus, sagt Jakob Hein, der Schriftsteller und ehemalige Väterbeauftragte des Berliner Krankenhauses Charité.

Wissenschaftler sprechen von einer Retraditionalisierung der Beziehungen, die in Deutschland nach der Geburt von Kindern besonders ausgeprägt sei. Der Grund dafür ist der deutsche Sozial- und Steuerstaat mit Ehegattensplitting, beitragsfreier Mitversicherung bei der Krankenkasse für nicht berufstätige Ehepartner und Verdienstgrenzen für Minijobs. Alles zusammen führt schnell dazu, dass es sich für Frauen zumindest kurzfristig oft nicht rechnet, mehr als einen Minijob zu übernehmen.

Allmendinger schwärmt davon, wie viele Probleme mit einer anderen Verteilung der Arbeit gleichzeitig angepackt würden: die drohende Altersarmut vor allem von Frauen, die steigende Zahl von Berufstätigen, die wegen Burn-out ausfallen, sowie die in Deutschland besonders geringen Chancen von Frauen, in Führungspositionen zu gelangen. Von Teilzeitjobs redet Allmendinger in diesem Zusammenhang gar nicht mehr. "32 Stunden sind die neue Vollzeit", sagt sie.

Viele Teilzeitarbeiter haben mehrere Jobs, weil das Geld sonst nicht reicht

Statistisch gesehen, ist der deutsche Arbeitsmarkt von diesem Ideal gar nicht weit entfernt. Zumindest liegt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Deutschland bei nur 30,11 Stunden. Gleichzeitig sind so viele Menschen erwerbstätig wie noch nie. Fast genau dreißig Jahre nachdem die Gewerkschaften in Deutschland für die 35-Stunden-Woche auf die Straße gingen, scheint es also, als sei ein altes Ziel der Arbeiterbewegung erreicht: mehr Jobs, weil viele weniger arbeiten.

Dass es so weit gekommen ist, hat allerdings nichts mit Tarifpolitik zu tun – und es ist erstaunlich für ein Land, in dem Menschen ihre Berufe noch auf ihren Grabstein schreiben lassen und sich beim Kennenlernen sofort mit ihrer Tätigkeit vorstellen. Die Bedeutung des Berufs für das Selbstbewusstsein nimmt Umfragen zufolge sogar zu – vor allem für junge Frauen ist er wichtiger als noch vor fünf Jahren.

Die niedrige Stundenzahl kommt dadurch zustande, dass Deutschland im vergangenen Jahrzehnt beinahe Teilzeit-Weltmeister geworden ist. Unter den Industrieländern haben nur die Niederlande prozentual deutlich mehr Beschäftigte mit wenig Wochenstunden, einige andere Nationen wie Norwegen und Dänemark liegen in etwa gleichauf. Allein in der Dekade von 2000 bis 2010 stieg die Zahl der deutschen Teilzeitjobs um drei Millionen – und die Zahl der Vollzeitstellen ging um 700.000 zurück.

Teilzeit muss man sich leisten können

Zehn Sofortmaßnahmen gegen Stress
Abwarten und aufschreiben Quelle: Fotolia
Tief durchatmenWenn Ihnen alles über den Kopf zu wachsen droht, atmen Sie erst einmal tief durch und beruhigen sich selbst. 1. Machen Sie die Augen zu 2. Atmen Sie tief ein 3. Sagen Sie sich im Stillen (wahlweise*): "Ich werde..." 4. Atmen Sie aus 5. Sagen Sie dabei im Stillen: "...meinen Chef nicht töten." Nach ein paar Wiederholungen fühlen Sie sich gelassener.*alternativ geht natürlich auch: "Ich bin total entspannt", "ich werde das schaffen" oder was Sie sonst gerade beschäftigt. Quelle: Fotolia
Sorgen Sie für Ruhe Quelle: Fotolia
Sorgen Sie für guten Duft Quelle: dpa
Kurze Wutpause einlegenUnd wenn Sie an Ihrem Arbeitsplatz gerade alles kurz und klein schlagen könnten, stehen Sie auf und holen Sie sich einen Kaffee, einen Tee oder Kakao. Trinken Sie den ganz in Ruhe in der Küche oder vor dem Gebäude und genießen Sie die kurze Auszeit. Erst danach sollten Sie zurück an den Schreibtisch. Quelle: Fotolia
Meditation in der MittagspauseWer es mit Meditation versuchen möchte, kann das App-sei-Dank mittlerweile sogar von unterwegs. Smartphone-Anwendungen wie "Headspace" bieten Schritt-für-Schritt-Anleitungen zur Tiefenentspannung. Quelle: AP
Bewegung in der PauseWem das zu esoterisch ist, dem sei ein wenig Bewegung ans Herz gelegt, das macht den Kopf frei: In der Mittagspause oder nach Feierabend ein paar Runden durch den Park joggen, kann Wunder bewirken. Quelle: dpa

Eine deutsche Besonderheit ist, wie stark sich Frauen und Männer in ihrer Lust auf Teilzeit unterscheiden. Fast jede zweite berufstätige Frau in Deutschland hat eine Teilzeitstelle, aber nur fünf Prozent der Männer. Außerdem arbeiten die deutschen Teilzeit-Frauen besonders wenige Wochenstunden. So kommt es, dass Deutschland beim Anteil der berufstätigen Frauen an der Bevölkerung sogar Frankreich abgehängt hat, das Land der Ganztagsschulen und Kleinkindkrippen. Trotzdem sind Umfragen zufolge viele Teilzeit-Frauen unzufrieden – sie würden gern mehr arbeiten, um finanziell unabhängiger zu sein.

Die traditionelle Einverdienerehe, so scheint es, wurde in Deutschland durch einen Haushalt mit eineinhalb Einkommen abgelöst. Früher arbeitete Papa Vollzeit, und Mama machte den Haushalt – heute macht Papa weiter wie die Generation zuvor, und Mama hat einen Minijob und später eine Minirente. Ginge es nach Wissenschaftlern wie Allmendinger würden beide vier Tage pro Woche arbeiten. Ungefähr so wie Martin Neitzel, der Braunschweiger Informatiker, der immer mittwochs Fahrrad fährt.

Das Problem der neuen Zeitpolitik-Ideen besteht darin, dass die meisten Beschäftigten nicht so gut verdienen wie der Geschäftsführer aus Norddeutschland. Wer mit seinem Geld gerade so über die Runden kommt, verzichtet aber nicht leicht auf ein Fünftel des Gehalts für eine Viertagewoche.

Insofern machen es sich jene Wissenschaftler zu leicht, die generell "vollzeitnahe Teilzeit" empfehlen. Und es sind auch längst nicht alle Arbeitnehmer glücklich, die in solchen Beschäftigungsverhältnissen stecken. "Ich würde sehr gern mehr Stunden arbeiten, und auch für die meisten Kollegen wäre das ein Segen", sagt die aus der Ukraine stammende Olena Derzyan, die schon seit 14 Jahren in einem McDonald’s-Restaurant in Berlin-Friedrichshain arbeitet.

Derzyan hat einen Vertrag über 130 Stunden im Monat. In ihren ersten Jahren bei McDonald’s hatte sie eine volle Stelle, dann wurde sie gedrängt, auf einen Teilzeitvertrag zu wechseln. Der ist bei dem Schnellrestaurant keine Ausnahme, sondern die Regel. Wenn viel los ist, wird die Stundenzahl kurzfristig erhöht, so kann der Arbeitgeber leichter auf schwankende Nachfrage reagieren. Außerdem spart er Weihnachts- und Urlaubsgeld, dessen Höhe immer von der Wochenstundenzahl im Arbeitsvertrag abhängt.

Derzyan verdient bei McDonald’s wegen ihrer langen Betriebszugehörigkeit 8,55 Euro pro Stunde, Anfänger bekommen 7,51 Euro. Viele McDonald’s-Arbeiter sind Aufstocker, eben weil sie nur Teilzeit arbeiten können, sie bekommen also neben ihrem Gehalt noch Geld vom Staat. Derzyan hat lieber zusätzlich zwei Putzjobs angenommen. Außerdem teilt sie sich eine Wohnung mit ihrer berufstätigen Tochter. So kommt sie mit dem Geld zurecht. Aber eine begeisterte Teilzeitkraft ist sie nicht.

Bizarre Regeln des Sozialstaats Schuld an Teilzeitquote

So viel kostet eine Stunde Arbeit in Europa
Supporters of the ultranationalist Bulgarian party Ataka (attack) wave national flags during a anti-government rally in central Sofia, Bulgaria Quelle: dpa/dpaweb
A woman peers through a Romanian flag during a protest against President Traian Basescu in Bucharest, Romania, Quelle: dapd
Die Flagge der Europäischen Union weht neben den Nationalfahnen der EU-Mitglieder Spanien Niederlande, Irland und Griechenland sowie Rumaenien (hinten v. l.), Portugal, Tschechien und Schweden Quelle: dapd
Die deutsche Flagge weht am 09.08.2012 an einem Schiff der Reederei Hiddensee vor der Silhouette der historischen Altstadt von Stralsund Quelle: dpa
Eiffelturm Quelle: gms
Der Dannebrog, die dänische Flagge, weht am 27.06.2012 an einem Ferienhaus in Henne Strand Quelle: dpa
Boddenhafen von Barth Quelle: ZB

Britta Kramer* aus Lübeck geht es ähnlich. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet sie in einer kleinen Apotheke. Als ihr Sohn geboren wurde, handelte sie eine Teilzeitstelle mit 20 Wochenstunden aus, inzwischen kommt sie viermal pro Woche. Sie könnte leicht mehr arbeiten, ihr Chef würde sich freuen, seine Geschäfte laufen gut. Doch für Kramer ist es viel attraktiver, am fünften Tag in einer Apotheke im Nachbarort auf 450-Euro-Basis auszuhelfen.

In ihrem Hauptjob verdient sie 1272 Euro netto im Monat. Würde sie ihre Arbeitszeit auf 36 Stunden erhöhen, bekäme sie 1440 Euro heraus. Sechs zusätzliche Arbeitsstunden pro Woche würden ihr also 168 Euro mehr im Monat einbringen. Die Arbeit bei der Apotheke im Nachbarort rentiert sich mehr: Bei einem Stundenlohn von 16 Euro hat sie ein monatliches Zusatzeinkommen von 384 Euro, weil bei einem Minijob keine Sozialabgaben fällig sind.

Es liegt also auch am Sozialstaat mit seinen oft bizarren Regeln, dass Deutschland so viele Teilzeitstellen hat. Britta Kramer hat 228 Euro im Monat mehr zur Verfügung, wenn sie ihre Arbeit auf zwei Apotheken und zwei Arbeitsverträge verteilt statt auf einen. In der Statistik erscheint sie als Teilzeitkraft, tatsächlich arbeitet sie nicht weniger als andere Vollzeitbeschäftigte. Es spricht viel dafür, dass Zehntausende von Arbeitnehmern rechnen wie sie: 2,6 Millionen Deutsche haben neben ihrer eigentlichen Erwerbstätigkeit noch einen Minijob.

Es gibt also verschiedene Typen von Teilzeitkräften: Geringverdiener, die gern mehr verdienen möchten und deshalb manchmal mehrere Jobs gleichzeitig haben. Eltern, die ein verringertes Einkommen hinnehmen, weil sie Zeit für ihre Kinder brauchen. Und dann gibt es noch Gutverdienende, deren Einkommen so hoch ist, dass sie auch mit einem Achtzig-Prozent-Gehalt gut zurechtkommen. Teilzeit, zeigt das, muss man sich leisten können.

* Name geändert

Dieser Artikel ist auf Zeit Online erschienen

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