Boreout Heul doch!

Ein neues Phänomen geistert durch die Arbeitswelt: Boreout. Die angebliche Langeweile im Job beschäftigt zahlreiche Medien – bleibt aber eine Erfindung.

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Golfen zwischen Büromöbeln ist auch eine Form, seine Arbeitszeit zu verbringen - vielleicht nicht wirklich im Sinne des Arbeitgebers, dpa

Es gibt 68 von ihnen. Sie tragen anonyme Namen wie Katzenliebhaberin, IchBinnichtswert oder SoSocrazy. Sie fühlen sich unterfordert in ihrem Job, sind gelangweilt und desinteressiert. Kurz: Sie leiden an Boreout. Ihr Problem kennen sie aus dem Buch „Diagnose Boreout“ der Schweizer Autoren Philippe Rothlin und Peter Werder. Im Internet-Forum zum Buch schreiben sie sich ihren Frust von der Seele: Fast alle haben den falschen Job gewählt, fühlen sich überqualifiziert und unterbeschäftigt. Es ist ein Opfer-Chor des Selbstmitleids. Langeweile im Job? Der Arbeitgeber ist schuld! Gesundheitsprobleme? Alles Folgen der Tristesse! Und natürlich fragen sich die Gelangweilten längst, ob Boreout von der Krankenkasse anerkannt wird. Mit ihren Thesen begeistern die Autoren derzeit die Blattmacher von Tageszeitungen und Wirtschaftsmagazinen. Fast hätte die Lektüre gar den „Wirtschaftsbuchpreis“ von Getabstract.com oder den „Deutschen Wirtschaftsbuchpreis“ der Frankfurter Buchmesse gewonnen. Doch die positive Resonanz auf das Buch ist mehr als fragwürdig: Experten bezweifeln nachhaltig, dass es das Massenphänomen wirklich gibt. Schon die Diagnose „Boreout“ bezeichnen Arbeitspsychologen als „populär-wissenschaftliches Wortgeklingel“. Untersuchungen, die die These der Buchautoren untermauern, gibt es nicht. Zwar ermittelte die Bundesagentur für Arbeitsschutz, dass sich rund 14 Prozent der Arbeitnehmer fachlich unterfordert fühlen und nur fünf Prozent überfordert. Das Verhältnis kehrt sich aber um, wenn die Befragten Angaben zu ihrer Arbeitsmenge machen: Hier geben sechs Prozent an, unterfordert zu sein, im Gegensatz zu 17 Prozent Überlasteten. Bei der breiten Masse hält sich der Stresspegel hingegen im Idealbereich. Auch die von den Autoren als Beleg angeführte Gallup-Umfrage zur Mitarbeiterzufriedenheit 2006 interpretieren die Autoren eigenwillig. Das Ergebnis der Umfrage, dass 87 Prozent der Deutschen sich nicht oder nur gering an ihr Unternehmen gebunden fühlen, werten sie als Beleg dafür, dass die 87 Prozent unterfordert sind und oft nur so tun als ob sie arbeiteten. Psychologen reagieren mit Schulterzucken, wenn sie auf das angebliche Phänomen Boreout angesprochen werden. Es ist zwar nicht falsch, was die Schweizer schreiben – Unterforderung komme gelegentlich vor –, es ist aber vor allem nicht neu: „Angestellte, die ohne eigene Entscheidungsbefugnisse jeden Tag das Gleiche machen müssen, sind nun mal schlecht motiviert“, sagt Rüdiger Trimpop, Arbeitspsychologe an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Wichtiger noch: Boreout ist ein Luxusproblem. Den Befreiungsschlag aus der Langeweile bekommt jeder problemlos selbst hin. Im Gegensatz zu Burnout-Geschädigten sind „Boreout-Kranke“ eben nicht krank. Jeder von ihnen kann aktiv werden und Verbesserungs- oder Veränderungsvorschläge beim Vorgesetzten einreichen. „Man muss sich Gestaltungsspielräume erkämpfen, in denen man eigenverantwortlich Entscheidungen treffen kann“, sagt Arbeitspsychologe Trimpop.

Ein Hexenwerk ist das nicht. Kaum ein Arbeitgeber wird Projekte ablehnen, die dem Unternehmen Vorteile bringen. Wer in seiner Argumentation die „Brille des Chefs aufsetzt“ und sich „als Problemlöser“ präsentiert, wird sich über Arbeitsmangel in der Zukunft kaum beklagen können, sagt Karriereexpertin Madeleine Leitner. Deshalb ist es wichtig, die Vorschläge entsprechend aufzupolieren: verbessertes Firmenimage, schnelleres Kundenwachstum oder effizientere Betriebsabläufe. Damit es überhaupt nicht zur Trägheit im Job kommt, fordert der Organisationspsychologe Hugo Martin Kehr von der TU München, schon bei der Stellensuche darauf zu achten, dass der anvisierte Job die Bereiche Kopf, Bauch und Hand anspricht. Für den Kopf muss sich der Bewerber überlegen: Was will ich wirklich? Was sind meine Ziele? Und: Ergibt die Tätigkeit für mich einen Sinn? Gerade bei kleineren Teilarbeiten hilft es, sich den größeren Rahmen vorzustellen, um zu sehen, dass man ein wichtiges Glied in der Kette ist. Für den Bauch gilt: Die Aufgaben im Job sollten ein inneres Feuer entzünden. Die Rückbesinnung auf Erfolgserlebnisse in der Vergangenheit, die man mit Leidenschaft gemeistert hat, offenbaren die inneren Bedürfnisse. „Viele Leute unterschätzen das und unterdrücken ihre Wünsche oder schätzen sich total falsch ein“, sagt Kehr. Bei der Hand-Komponente kommt es auf Fähigkeiten und Fertigkeiten an. Klar, dass es frustrierend ist, eine Tätigkeit auszuüben, die man handwerklich nicht beherrscht. Für die Zufriedenheit im Job sei es aber wichtig, „dass die Kopf- und Bauchmotive von der Tätigkeit angeregt werden“, sagt Kehr. Und im Zweifel, da sind sich die Psychologen einig, müssen Betroffene die Notbremse ziehen und kündigen. Wer feststellt, dass er den falschen Beruf gewählt hat, sollte sich nicht scheuen, etwas ganz Neues auszuprobieren. Vielleicht gibt es ja ein Hobby oder eine Leidenschaft, mit der man sich selbstständig machen kann (siehe WirtschaftsWoche 30/2007). Fest steht nur: Sich gemeinsam via Internet im Selbstmitleid zu suhlen, hat wenig Aussicht auf Erfolg.

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