Carsharing-Erfinder Wie ein Frühstarter den Mobilitätsboom verfolgt

Roller, Scooter, Autos: Die Auswahl ist groß. Auf den Straßen gibt es zahlreiche verschiedene Sharing-Anbieter. Quelle: dpa

E-Scooter kommen, Motorroller verschwinden: Das Jahr 2019 hat den Mobilitätsmarkt geprägt. Pionier Uwe Latsch startete schon in den 90er-Jahren mit Carsharing. Wie er sein Timing heute bewertet, verrät er im Interview.

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Seit dem Frühjahr sind elektrisch betriebene Tretroller auf den Straßen erlaubt – und zahlreiche Verleihdienste drängen auf die Straße: Mit Tier Mobility, Lime, Bird, Circ, Jump, Voi und Dott sind in Deutschland inzwischen sieben Anbieter unterwegs. Auch auf dem Markt für Roller-Sharing war 2019 ein bewegtes Jahr: Für das Berliner Start-up Coup ist drei Jahre nach dem Start wieder Schluss. Die Bosch-Tochter stellt ihren Dienst dieser Tage ein. In die Lücke springt Lokalrivale Emmy, der seine Flotte bis zum Sommer mindestens verdoppeln will.

Mittendrin im Umbruch tüftelt der Softwareentwickler Invers aus dem Siegerland am passenden Betriebssystem für die sogenannte Mikromobilität. Zu den Kunden der in den 90er-Jahren gegründeten Firma gehören auch die Berliner Roller-Anbieter Coop und Emmy. Dank eines entscheidenden Vorsprungs? Technologiechef und Gründer Uwe Latsch darf sich Erfinder des automatisierten Carsharings nennen – weil er vor mehr als 20 Jahren den notwendigen Bordcomputer für das Öffnen der Fahrzeuge und die Abrechnung zum Patent angemeldet hat.

Technologiechef und Gründer Uwe Latsch. Quelle: privat

Im Interview mit WirtschaftsWoche Gründer spricht der 56-jährige Elektrotechniker über seine Erkenntnisse zum richtigen Timing für den Marktstart – und die Vorteile, die er auf dem umkämpften Markt ausspielen will.

WirtschaftsWoche: Herr Latsch, Sie sind 1993 mit automatisiertem Carsharing gestartet – damals noch mit Prepaid-Telefonkarten, um das Auto aufzuschließen und die Fahrt abzurechnen. Erst heute nimmt der Markt so richtig Fahrt auf. Wünschen Sie sich, Sie wären mit Ihrer Erfindung ein bisschen später dran gewesen?
Uwe Latsch: Nein, wenn wir es damals nicht gemacht hätten, hätte es jemand anderes gemacht. Denn die Zeit war damals reif für die technische Entwicklung – auch wenn der Markt noch klein war. Aber um die richtige Idee zur richtigen Zeit zum Erfolg zu bringen, braucht es immer viel Durchsetzungsvermögen und auch ein bisschen Glück.

Eine Idee trotz unklarer Marktchancen voranzutreiben, ist vielen zu riskant. Wie profitieren Sie heute von der Entscheidung?
Es ist sehr hilfreich, dass wir über die Jahre viel gesehen haben. Aktuell passiert auf dem Markt für geteilte Mobilität sehr viel, wir können aber aufgrund unserer Erfahrung und finanziellen Unabhängigkeit etwas ruhiger und überlegter agieren als unsere Mitstreiter.

Wann haben Sie zum Beispiel anders reagiert als Konkurrenten?
Im Jahr 2015 beispielsweise war in der Mobilitätswelt alle Aufmerksamkeit auf Free-Floating-Carsharing und insbesondere das stark wachsende Uber gerichtet. Das Sharing von Motorrollern dagegen war zu der Zeit eine verrückte Idee, der man keinen großen Erfolg zutraute. Zu groß waren die Einwände, dass die Fahrzeuge gefährlich und unkomfortabel wären – insbesondere bei schlechtem Wetter. Trotz der Herausforderungen hatten wir gespürt, dass das Thema großes Potenzial hat und entwickelten unsere Technologie entsprechend weiter. Dadurch konnten unsere Kunden die ersten Roller-Sharing-Angebote früh auf den Markt bringen. Der Durchbruch mit starkem Wachstum kam dann erst ab 2017/2018.

von Benedikt Becker, Stefan Hajek, Stefan Reccius, Dominik Reintjes, Christian Schlesiger

Haben Sie keine Angst, die entscheidende Wendung zu verpassen?
Nein, wir beobachten natürlich die Märkte und machen uns Gedanken dazu. Der Unterschied zu früher: Am Anfang gab es für uns wenige potenzielle Kunden, deshalb mussten wir alles anbieten – im Prinzip sind wir jedem Kundenwunsch hinterhergelaufen, ohne ihn vorher gründlich für uns zu bewerten. Das führte oft in die falsche Richtung und zu Produkten, die schnell wieder gestorben sind. Als große Firma müssen wir darauf achten, nicht jedem Irrweg zu folgen – für uns geht es darum, zu agieren statt zu reagieren.

Heute beschäftigen Sie über 130 Mitarbeiter und zählen Mobilitätsanbieter wie Clevershuttle und Drivy zu Ihren Kunden. Wann ist Ihnen das letzte Mal aufgefallen, dass Sie von neuen Wettbewerbern überholt wurden?
Was unglaublich Geschwindigkeit aufgenommen hat, ist das Geschäft mit E-Tretrollern, getrieben durch Anbieter wie Lime und Bird. Die Start-ups haben bewiesen, dass sie die Tretroller mit Hilfe hoher Investments als attraktives Fortbewegungsmittel etablieren können. Technologieunternehmen wie wir mussten darauf zügig reagieren, um diese neue Art von Fahrzeug in unser Betriebssystem für geteilte Mobilität integrieren zu können – am Ende sollen Kunden zum Beispiel innerhalb einer App einfacher vom Tretroller aufs Auto oder den E-Roller umsteigen können.

Wie sieht Ihre Strategie aus, um langfristig nicht ins Hintertreffen zu geraten?
Unser Vorteil ist, dass wir schon jahrelang mit verschiedenen Sharing-Modellen gearbeitet haben – die Erfahrungswerte lassen sich zum Beispiel auf andere Transportmittel übertragen. Als die Tretroller aufkamen, mussten wir keine neue Infrastruktur aufbauen, sondern konnten auf unsere Lösungen für Autos und E-Roller zurückgreifen. Dadurch mussten wir nicht so schnell sein wie die Start-ups, die gerade mit auf den Markt drängen.

Dieses Interview erschien zuerst auf www.gruender.wiwo.de

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